2. Juni 2014

"'Slut' ist einfach ein Wort mit vier Buchstaben"

Interview geführt von

Der eine oder andere hatte sie vielleicht schon vergessen, da erschien im Sommer letzten Jahres tatsächlich ein neues Album der bayerischen Indie-Institution Slut. Eine Wintertour schloss sich an, jetzt spielten die Ingolstädter ein paar weitere Daten. Grund genug, sich mit ihnen zu einem Gespräch zu treffen.

Wunderschönes Frühsommerwetter herrscht in Essen, die Sonne lacht, als ich an der Zeche Carl eintreffe. Drinnen versucht ein Techniker verzweifelt, den Beamer zum Laufen zu bringen, auf dem später das DFB-Pokalfinale übertragen werden soll. Slut haben beschlossen, erst nach Ende des Spiels aufzutreten und hoffen so auf mehr Zuschauer. Die Band ist gerade zu Tisch. Frisch gestärkt begrüßt mich Sänger Christian Neuburger anschließend, wir sitzen draußen unter einem schönen Laubbaum.

Ich war etwas überrascht, dass die Planung dieses Interviews direkt über den René (Arbeithuber, Keyboard/Gesang) gelaufen ist. Organisiert ihr eure Touren immer selbst?

Christian Neuburger: Nein. Der René macht so ein bisschen Beihilfe. Wir haben eigentlich eine offzielle Tour-Agentur, aber was wir tun können, tun wir gerne. Alles, was mir selbst machen können, dabei ist uns meist wohler. Wir sind glaube ich im Laufe der letzten Jahre wieder zusehends zu einer DIY-Band geworden. In gewissen Belangen. Andere Sachen muss man abgeben, da hat man keine Chance. Und das ist auch gut so.

Wie geht ihr denn bei der Auswahl der Konzert-Locations vor? Sind das alles Läden, wo ihr in der Vergangenheit nett behandelt worden seid?

Ja. Es gibt Städte, da fährt man gerne hin, die stehen dann immer auf der Liste. Und es gibt Orte, da waren wir noch nie, die möchten wir auch mal bespielen. Aber wir haben das etwas eingegrenzt. Wir spielen jetzt nicht mehr in jeder Kleinstadt oder Ortschaft, sonder nur da, wo wir wissen, dass es eine Nachfrage gibt.

Könnt ihr von der Band denn noch leben?

Wir haben irgendwann aufgehört, nur Musiker zu sein. Da kamen uns die angestammten Studien oder Berufe und Berufungen nicht in die Quere, aber die kamen dazu. Und das ließ sich alles immer hervorragend miteinander vereinbaren. In sofern war das keine Konkurrenz, sondern eine feine Ergänzung. Wenn wir die Schlagzahl, die es heute einzuhalten gilt, mitmachen würden, dann könnten wir vielleicht von der Musik leben. Aber das ist nicht unser Interesse, weil wir eine sehr langsame Band sind. Wir brauchen für die Musik lange Zeit.

Ist mir aufgefallen, dazu hab ich später noch ein, zwei Fragen. Spielt ihr denn noch im Ausland oder beschränkt sich das auf Deutschland momentan?

Auf Deutschland, Österreich und die Schweiz. Zeitversetzt kann man immer mal im Ausland spielen. Wir waren schon in Italien, Belgien, Holland und einem bisschen Skandinavien. Je nachdem, wie es wo läuft, das muss man vorab überprüfen.

Wie macht man das denn? Ruft man irgendwo an und fragt den Veranstalter, ob er einschätzen kann, wie viele Leute zu einem Auftritt kämen?

Das machen wiederum nicht wir. Da kontaktiert unsere Tour-Agentur eine Agentur vor Ort und fragt nach, ob das denn denkbar wäre, dass sie uns da hinschicken. Dann wird das ganze wissenschaftlich untersucht. (lacht)

Auf Facebook habe ich gelesen, dass einige Fans schreiben, sie würden gerne T-Shirts kaufen, aber der Name der Band Slut wäre ihnen auf der Straße unangenehm. Hast du dazu eine Meinung? Wie findest du den Namen heute?

Es ist ein Name, ein Wort mit vier Buchstaben. Und das sieht so aus, wie es aussieht. Da haben wir schon längt aufgehört, drüber nachzudenken. Am Anfang war das mal ein Thema, wurde aber von außen an uns rangetragen. Zu dieser Facebook-Geschichte: das habe ich mitbekommen. Ich finde, das ist eine Koketterie mit dieser Geschichte. So schlimm ist das wirklich alles nicht. Das Ganze klingt fast etwas spießig und neo-konservativ. Jedenfalls seltsam.

Ihr feiert dieses Jahr Jubiläum: 20 Jahre Slut. Gibt es aus der ganzen Zeit Dinge, die ihr bereut und gerne anders gemacht hättet?

Im Nachhinein kann man sowas sagen, aber es ist nicht sonderlich schlau. Denn sonst hätte man diese Dinge ja nicht gemacht. Natürlich gibt es da Erfahrungen, auf die man gerne verzichtet hätte. Aber rückgängig machen würde ich jetzt auch nix wollen. Die Erfahrungen haben einen auch ein bisschen dahin gebracht, wo man heute ist. Man kann eh nicht so viel falsch machen. Man sollte nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Und wenn sich die Dinge dann als richtig oder falsch herausstellen... das zu beurteilen, ist im Nachhinein müßig.

"Wir bezahlen das nicht selbst"

Euer aktuelles Album "Alienation" ist inzwischen schon eine ganze Weile draußen. Ihr habt euch fünf Jahre dafür Zeit gelassen, unterbrochen vom dem "Schallnovellen"-Projekt mit Juli Zeh. War das so geplant, dieser lange Zeitraum?

Wir planen sehr, sehr wenig. Und wenn dann ein Lied auftaucht, das zukunftsträchtig und ausbaufähig ist, ist das meistens der Startschuss, weiterzumachen und ähnliche Lieder anzufügen. Es dauert eben, bis so ein Lied kommt. Da kann man sich auf den Kopf stellen, das kann man nicht forcieren. Und das werden wir auch nie tun. Uns da hinzusetzen, um einen Rhythmus einzuhalten oder eine Frist, das geht nicht bei uns. Wir möchten gerne ein Album vermeiden, das nur so okay ist. Vor allem ist es schlimm, wenn man sich selbst als Referenz nimmt und einen zweiten Aufguss eines Vorgängeralbums abliefert. Das würden wir sehr bereuen. Es muss für unsere Verhältnisse immer neu genug sein, um damit rauszugehen.

Ist das auch der Grund, warum ihr auf der "Alienation" mit so vielen verschiedenen Produzenten gearbeitet habt?

Das ist eigentlich zwei Ursachen geschuldet. Erstens haben wir uns gedacht, dass es ja nicht mehr Usus ist und für uns in Frage kommt, sich sechs bis acht Wochen in ein Studio zu begeben und da mit einem Produzenten aufzunehmen, bis ein Album fertig ist. Ich glaube, dieses Schnappen nach Luft zwischendrin ist extrem wichtig. Insofern haben wir das nicht nur auf Städte und Produzenten, sondern auch auf Zeiträume hin gestaffelt. Das war eine weise Entscheidung. Wenn mal zwei bis vier Wochen zwischen Studioblocks liegen, macht man die Lieder ganz anders als ursprünglich geplant. Der zweite Grund war, dass die Lieder von Anfang an so heterogen waren, dass es unmöglich schien, sie nur einem Produzenten in die Hände zu geben, damit der sie dann wieder auf Spur bringt und nivelliert. Wir wollten diese Unterschiedlichkeit und Diversität hörbar erhalten.

Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass die Songs ziemlich fertig sind, bevor ihr ins Studio geht, oder? Ich kann mir bei euch schlecht vorstellen, dass ihr stundenlang jammt.

Wir haben immer einen Grundstock an Liedern dabei, wenn wir ins Studio gehen. Einen Grundstock nur, weil wir immer gerne bereit sind, dass noch ein paar Songs dazukommen. Und das war auch dieses Mal so. Zwei Lieder, die auf die Platte gefunden haben, gab es vorher gar nicht. "Holy End", der letzte Song auf dem Album, sowie "Broke My Backbone". Das ist einfach so entstanden.

Zu "Broke My Backbone" habt ihr gerade aktuell ein sehr interessantes Video gemacht. Was ist das für eine Technologie, die da zu sehen ist?

Den Aufnahmen beizuwohnen war nicht sonderlich spektakulär. Die haben eine Kamera benutzt, die für Videospiele eingesetzt wird. Ich weiß den Namen gerade nicht. Da wird man verpixelt und kann neu zusammengefügt werden. Das haben die in vier oder sechs Wochen Post Production gemacht. Für uns waren es vier Stunden, für die sechs Wochen.

Rentiert sich so ein Video eigentlich? Die kosten doch eine Stange Geld und es gibt keine Musiksender mehr, die sie im großen Stil spielen würden. Nur noch per Abfrage im Internet.

Die kosten Geld, aber wir bezahlen das nicht selbst. Uns wurde ein überschaubares Budget zur Verfügung gestellt und danach mussten wir uns dann richten. Unser Vorhaben war: fünf Produzenten, fünf Städte, fünf Singles mit fünf Videos. Jetzt sind wir bei Nummer drei, zwei fehlen noch. Eins ist noch geplant, dann schauen wir weiter.

Zu welchem Song?

Zu "Holy End".

Wo nehmt ihr denn eigentlich diese interessanten Ideen her? Zum Beispiel beim Songwriting. Diese Sitar in "Silk Road Blues", das finde ich persönlich super.

Da sind mein Bruder und ich nicht ganz unschuldig. Wir wuchsen mit einer gehörigen Portion Weltmusik auf. So würde man es heute nennen, damals war es einfach Musik aus aller Herren Länder, die unser Papa immer gehört hat.

Ravi Shankar?

Ravi Shankar war natürlich das Highlight, aber von jeder Reise, die wir als Familie gemacht haben, wurde eine Vinylplatte mitgebracht. Aus Südamerika, aus Afghanistan, aus Persien. Das stand alles im Plattenschrank und hat uns offensichtlich nachhaltig geprägt. Und irgendwann wollten wir ein derartiges Lied machen.

Ich finde ja, dass die "Alienation" ziemlich melancholisch klingt. Hat sich das so ergeben oder was ein bisschen die Ausrichtung vorher?

Nach dem recht euphorischen "StillNo1" war das quasi der Ausschlag des Pendels auf die andere Seite. Das muss wohl immer so sein und bedingt einander gegenseitig. Da können wir gar nicht anders. Aber eine Grundmelancholie ist uns immer schon zu eigen gewesen und die geht anscheinend auch nicht weg.

Du schreibst sehr abstrakte Texte teilweise. Wie machst du das? Oder sehe ich das falsch und sie sind doch gegenständlich?

Ich fände es zu einfach, wenn man das mundgerecht verabreichen würde. Es sind eigentlich schon konkrete Tatbestände beziehungsweise Geschichte. Teilweise selbst erlebte, aber auch erdachte. Und die gilt es dann, zu verklausulieren, weil wir mit der Musik genau dasselbe machen. Die ist auch auf eine gewisse Weise abstrahiert und nicht voll ausgespielt. Sie lässt genug Luft, damit man sich selbst als Hörer noch was dazudichten kann. Das finde ich ganz wichtig. Es darf nie fertig sein. Texte und Musik sind bei uns immer ein Stück weit unfertig.

Das heißt, live werden die auch noch etwas variiert?

Teilweise machen wir das, ja. Aber manchmal wäre es nur überflüssiges Gefuddel, wenn man sich eine spezielle Live-Version ausdenken würde. Interessant wird es, wenn man für gewisse Auftritte umarrangieren muss. Anderes Instrumentarium oder nur zu zweit oder dritt. Dann macht man eigentlich eine Cover-Version des eigenen Songs. Das finde ich in Ordnung. Aber für die Vollbesetzung auf einer etwas größeren Bühne alles umzuarrangieren, nur damit sich Live- und Studioversion unterscheiden, das ist vergebene Liebesmüh.

"2020 verfallen die Rechte der Brecht-Erben ..."

Jetzt hast du schon eure anderen Auftritte angedeutet. Wie wichtig ist es euch, zwischendurch andere Sachen zu machen als die klassische Rockband? Ich denke da speziell an das Projekt mit Juli Zeh.

Komischerweise ist das immer wiedergekehrt, ohne dass wir es großartig drauf angelegt hätten. Immer, wenn eine Platte ein bis zwei Jahre draußen war, kam ein Anruf oder eine Anfrage, die nicht direkt mit der Band Slut zu tun hatte. Sondern mit dem Einbezug einer anderen Person, einer anderen Materie, wie auch immer. Es ging immer um das Beackern eines anderen Feldes, nicht des eigenen. Ich glaube, dass wir da selten fehlgegangen sind, weil uns diese Arbeiten auch herrlich von uns selbst ablenken. Wir sind gezwungen, unsere Instrumente, Texte, Musik in ein anderes Korsett zu gießen. Es war jedes Mal ein Lehrstück für uns, das uns weitergebracht hat. Hätte es Juli Zeh nicht gegeben, hätte es die neue Platte nicht gegeben. Hätten wir nicht an der "Dreigroschenoper" gearbeitet, wäre "StillNo1" nie erschienen. Das ist alles aufeinander aufgebaut. Deswegen sind wir auch weiterhin interessiert, sowas zu machen, sei es Film, Theater, Literatur, was auch immer. Geplant ist gerade aber noch nichts.

Gibt es eine Chance, dass die restlichen "Dreigroschenoper"-Songs jemals offiziell das Licht der Welt erblicken?

Ja, 2020. Dann verfallen die Rechte der Erben. Ist nicht mehr weit hin.

Eines eurer vielen Seitenprojekte ist ja Pelzig. Auf der Homepage hab ich gelesen, dass ein neues Album kommen soll? Oder wie lange steht die Ankündigung da schon?

(lacht) Länger als unsere Albenankündigung. Zehn Songs sind fertig, sie kümmern sich jetzt allmählich um die Veröffentlichung. Gender Bombs, die neue Band von René, kamen ein bisschen dazwischen. Er hat inzwischen dreieinhalb Bands und kümmert sich gerade um den Aufbau einer vierten. Da ist er entsprechend verbucht, von daher weiß ich nicht, wie der Zeitplan bei Pelzig aussieht. Wäre schön, wenn es bei denen mal wieder klappen würde, wir haben ja zeitgleich angefangen.

Wo du die Gender Bombs ansprichst: Wäre das für euch auch mal was, mit weiblichen Vocals zu arbeiten?

Ich hab auch mal überlegt, ob man sowas macht. Aber ich glaube, es ist genug Arbeit, eigene Musik zu machen, die man selber vorträgt. Ich weiß auch nicht, ob es funktionieren würde, wenn ich jemandem Songs auf den Leib schneidern würde. Das ist dann ja doch nur Fremdmaterial für denjenigen, der nur Interpret und nicht Komponist und Autor des Songs ist. Wenn, dann müsste es schon von der Person selbst kommen und man featuret das Ganze ein wenig. Aber das jetzt vorsätzlich zu tun, habe ich nicht vor.

Ein kleiner Ausblick in die Zukunft. Habt ihr schon ein, zwei neue Lieder geschrieben?

Nein, haben wir bisher nicht. Wir touren jetzt erstmal die Platte in Ruhe zu Ende. Es gibt aber schon Diskussionen, welches Stück auf dem Album das zukunftsträchtigste ist. Man überlegt ja immer, wo es hingehen soll in Zukunft. Da hat sich aber auch nichts herauskristallisiert.

Da fällt mir wieder ein, was ich am Anfang gefragt haben wollte: Seid ihr mit der Resonanz auf die "Alienation" denn zufrieden? Vor allem nach der längeren Zeit?

Sehr. Wir waren überrascht, eben ob der langen Zeit, die seit "StillNo1" verstrichen ist. Die Platte wurde ziemlich gewürdigt, fast schon feuilletonistisch. Das ist ein neuer Aspekt, der sich hinzugesellt hat. Man hat gemerkt, dass es den Leuten, die die Platte hören, genauso ging wie uns. Man muss sie oft hören, aber dann verschwindet sie auch nicht mehr so schnell. Das war der grundlegende Tenor. Es wurden auch Stimmen laut, es sei die beste aller Slut-Platten. Das könnte ich nicht teilen, aber ich kann das eh nicht gut beurteilen. Für mich sind sie aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit alle gleichwertig und stehen für den jeweiligen Lebensabschnitt.
Was die Resonanz angeht, ist der Zuspruch auf der Tour maßgeblich und bis dato lief das fantastisch.

Christian, vielen Dank für das Gespräch.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Slut

Aus Ingolstadt kommen nicht nur Autos, auch musikalisch hat die Stadt in Bayern seit Mitte der 90er eine Band, die langsam zum Aushängeschild wird: Slut. 1995 …

2 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 10 Jahren

    Gute Band, aber Alienation leidet als Platte unter zuviel Einfluss von Tobias Siebert. Auch ihn live dazu zu holen hat der Band nicht gut getan. Elektronischem Gefrickel bin ich nicht abgeneigt, aber das ist mehr, als der Band gut tut. Es wirkt teilweise sehr aufgesetzt, eher so wie eine erste Euphorie dafür, die leider nicht mehr zurückkorrigiert wurde und die man nun mitschleppt. Auch in dem Kontext, dass elektronische Sound bei Rockbands jeder Hans Franz macht und ich Slut eigentlich individueller und origineller schätze. Beim Konzert in Köln hat man sehr wohl gemerkt, dass die neuen Song nicht alle so tauglich sind.

  • Vor 10 Jahren

    welche arten von vögeln nisten den bei ihm?