laut.de-Kritik

Straßenkötercharme, Disco und Schaumkrone im Bart.

Review von

Erik Cohen, Kieler Urgestein und Smoke Blow-Fronter, frönt auf seinen Alben einer mal mehr und mal weniger opulent ausstaffierten Variante des Deutschrock. Die letzte Platte mit dem schlichten Titel "III" präsentierte schnörkellose und auf das Wesentliche reduzierte Rockmusik.

Auf "Northern Soul" pflegt Cohen seine Affinität für die Achtziger in das Klangbild ein und bewegt sich back to the Doompop sozusagen. Die Einflüsse reichen von The Cult, Danzig oder Type O Negative über Depeche Mode bis hin zu New Wave und NDW. Alles garniert mit der nötigen Gang-Mentalität und einem räudigen Straßenkötercharme.

Los gehts mit Meeresrauschen, gefolgt von einer tänzelnden Elegie zu der ein Chor den Albumtitel intoniert, die klingt als hätte Morricone für ein Schifferklavier geschrieben. Zu "Nach Dem Sturm" lässt sich der Blick auf die kräuselnden Wellen genießen, während der Wind zärtlich die Schaumkrone im Bart umspielt.

"Millionenstadt" weist einen majestätischen Refrain auf, der vor allem durch die weiblichen Backings gewinnt. In "Lokomotive" mischt die Band dreckige Riffs mit dadaistischen Einwürfen, während der "Junge Matrose" mit Glöckchen und Klimbim in den Hafen einläuft.

Kalle Stietzel, Urgestein des Punk, der auch im abschließenden "Cafè Stietzel" seine Würdigung erfährt, führt in persona durch das urige Video zum Oi-Poppunk-Knaller "Bomberjacken". Diese Fußball-Hommage toppt in Sachen Hook noch "Millionenstadt" und markiert das Highlight der Platte. Die Heimat-Hymne "Schleswig Holstein" treibt ein simpler Beat und eine sphärische Dängel-Gitarre an. Melancholisch und doch voller Tatendrang ist Cohen kein Weg zu weit, um zurück zum Deich zu kommen.

Type O Negative und insbesondere Peter Steele erhalten ihre Würdigung in "Halloween", aus dessen Orgelnebel im Hintergrundgesang Farin Urlaub-Chöre erklingen. "Doomrider" hätte in seiner knochentrockenen Anlage auch auf dem Vorgänger seinen Platz gefunden, bis im Refrain jemand plötzlich die Stroboskop-Lichter einschaltet und die Disco-Kugel illuminiert.

Diese Songs gehören auf die Bühne. Ein Streaming-Event oder die ApoCARlypse schlechthin in Form eines Autokino-Konzerts sind zu einfache Formate für die Energie, die die Kieler Jungs entfachen. Ein Mangel an Aktivität kennt Daniel Geiger alias Jack Letten alias Erik Cohen nicht. Der fünffache Familienvater arbeitet neben der Mucke als Erzieher. Und hier wie dort bringt er Ordnung ins Chaos und hilft bei der Bewältigung des Alltags.

Trackliste

  1. 1. Intro (Northern Soul)
  2. 2. Nach Dem Sturm
  3. 3. Millionenstadt
  4. 4. Lokomotive
  5. 5. Junger Matrose
  6. 6. Bomberjacke
  7. 7. Schleswig-Holstein
  8. 8. Halloween
  9. 9. Doomrider
  10. 10. Alcatraz
  11. 11. Café Stietzel

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