laut.de-Kritik

"Ich hab deine Muschi rasiert ..."

Review von

Der Mann mit dem charismatischen Vornamen lässt sich mit 60 noch längst nicht aufs Altenteil schieben. Ein eigenes Album wollte er eigentlich nicht mehr machen. Doch der ebenso sanfte wie unnachgiebig werbende Druck von Spezi Uli Salm alias Rudolf Rock hat Balder seit längerem zu einer Art Dauergaststellung in der Band Rudolf Rock Und Die Schocker gebracht.

Schöne Ausgangsposition. Er hat alle künstlerische Freiheit für seine Musik; dazu als Haus- und Hofband eine renommierte Kapelle, die auch mal gern mit Größen wie Chuck Berry kollaboriert.

Einen Hugo Egon in Hochform kann das Land immer gebrauchen. Wer den verdienten Entertainer, Edelkabarettisten und Conferencier auf seine durchwachsene Rolle im deutschen Privatfernsehen reduzieren möchte, hat wenig bis nichts verstanden von dem, was der Mann in den letzten 35 Jahren als Pionier auf die Beine stellte.Hat er es immer noch drauf? Er hat. Doch zeigt er es nur in Teilen.

Musikalisch bewegt sich das Album überwiegend im typischen Radio-Rock'n'Roll der betulicheren Sorte. Das kann man der ehrwürdigen Combo gleichwohl nicht anlasten. Ist es doch erklärtermaßen Teil des Balder-Konzepts, provokanten Worten einen Mantel scheinbarer Harmlosigkeit zu umhängen. Eine Art Liedermacheralbum mit Textfokus soll es also sein. Das ist ihm wichtig. Solch ein Rezept geht indes nur auf, so man über entsprechend pfiffige Lyrics verfügt.

Und gleich im unmissverständlichen Opener "Arschloch" ätzt er seine gewohnt deutlichen Säuresilben unter das Volk. Ich hab deine Muschi rasiert, deine Titten bezahlt, hab dich verwöhnt. Du hast nicht mal gestöhnt. Es kotzt mich an. Arschloch! Florett geht anders. Das hier ist sprachlich schon ein derber Bi-Händer, wie man ihn eher bei Punkbands oder Unterschichten-Rap erwarten würde. Nun verdienen die Tussis dieser Welt ebenso wenig Schonung wie die männlichen Pappköppe. Geschenkt. Dennoch wird man das Gefühl nicht los, HEB brezele hier ein uraltes, wenig originelles Sujet mit der Brechstange zum kalkulierten Mini-Aufreger hoch, damit überhaupt noch jemand zuhört.

Bei Themen wie der Persönlichkeitsverflachung durch Internetsucht verliert sich der eben noch breitbeinige Barde in seit Jahren abgedroschenen Allerweltsphrasen a la Statt zu lachen, sag ich einfach 'lol'. Ich sag 'CU', wenn ich 'Tschüss' sagen soll. Schon geht die skeptische Augenbraue des Hörers in die Höhe. Man möchte dem Sänger direkt ein Lorio-artiges "Ach was?" an den Kopf werfen, ob der lyrischen Gähnstrecke.

Nicht weniger ausgelatscht sind die Pfade jener Titel, die lang und weilig auf die S&M-Szene einschlagen. "Schlag mich. Bitte, bitte schlag mich. Trau dich. Hau mich" erinnert fatal an ein Ärzte-Ripoff im Fahrwasser von "Bitte, bitte, lass mich dein Sklave sein". Nur ist jener Bart eben schon ganze 23 Jahre alt. Man fragt sich unwilkürlich. Wo ist der Mann, der sich sogar neben einer wortgewaltigen Ursuppenkabarettistin wie Lore Lorentz als eloquenter Pointenkönig etablierte? Hier jedenfalls ist er nur in Spurenelementen sichtbar. Für einen Mann, der sein Leben der Unterhaltung des Publikums verschrieben hat, ist das einfach zu wenig amüsant.

Zum Glück hat das Album auch noch ein gänzlich anderes Gesicht. "Club Juche" richtet gekonnt die Schmeißfliegen menschenverachtenden Yellowpress-Journalismus hin. "Ist das ihre Frau oder nur ne Schlampensau?" - wer sich so was jahrelang bieten lassen muss, darf gern mit der groben Kelle zurückkeilen. "Deutschland Sucht" nimmt in pointierter Verachtung die grassierende Casting-Manie auseinander. Georg Danzers großartiger Wixerblues interpretiert er kongenial. Und die herrlich dadaistische Systemkritik "Wenn Du Ni Arbeit, Muttu Geh" zaubert zumindest mir ein herzhaftes Schmunzeln auf die Lippen. Erleichterung macht sich breit. Der alte Wolf ist eben doch nicht vollständig ergraut.

Ganz nebenbei haut er uns auf dieser LP den mit Anstand besten Song seiner Karriere um die Ohren. "Die Letzte Fahrt" bringt tatsächlich ein schweres Singer-/Songwriter-Pfund auf die Waage. Ein zurückhaltend akustisches arrangement, die simple doch dramaturgisch perfekt intonierte Melodie und Zeilen wie "Die letzte Fahrt ist immer in nem Kombi. Du wirst ein Engel oder bleibst ein Zombie. Es ist zum Kotzen, man kann nicht in Frieden ruhen."

So zeigt sich die Platte schlussendlich als Halbedelstein. Balder beweist, dass er auch weiterhin an guten Tagen unverzichtbar ist.

Trackliste

  1. 1. Arschloch
  2. 2. Ist Das Schön
  3. 3. Der Frühe Vogel (Feat. Jan Fedder)
  4. 4. Internet Junkie
  5. 5. Die Letzte Fahrt
  6. 6. Sonst Nix (Der Legendäre Wixerblues)
  7. 7. Club Juche
  8. 8. Deutschland Sucht
  9. 9. Sitzen Auf'm Sofa
  10. 10. Hottest Girl In Town
  11. 11. Sexappeal
  12. 12. Schlag Mich
  13. 13. Gemüsemann 91
  14. 14. Kühl
  15. 15. Haus In Altona (Feat. Susi Salm)
  16. 16. Alles Steht Still
  17. 17. Sittin' In A Limo
  18. 18. Wenn Du Ni Arbeit

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