9. August 2001

"Pop wird heutzutage mit Wegwerfmusik verwechselt"

Interview geführt von

Wie sich das Soloprojekt zur "Hauptband" Deine Lakaien verhält, und wie der Kontakt zu Nico-Produzent David Young zustande kam, erzählte uns Alexander Veljanov vor seinem Konzert in Mainz.

Als erstes würde mich natürlich interessieren, worin du den Unterschied siehst, zwischen ...

Dir und mir? (grinst)

Öhh, eigentlich eher zwischen "The Sweet Life" und den Scheiben von Deine Lakaien. Auf "The Secrets Of The Silver Tongue" hast du doch wesentlich mehr mit Gitarren gearbeitet.

Da kann ich dir nur teilweise zustimmen. Ich denke, das Album klingt wesentlich elektronischer als es wirklich ist. "The Secrets Of The Silver Tongue" war recht frei von Elektronik, aber auch auf der neuen Platte haben wir wieder viel mit Gitarren gearbeitet. Viele Sachen verschmelzen einfach derart, dass sie sehr elektronisch klingen. Gerade bei "Fly Away" könnten aber viele denken, sie hören einen Synthesizer, dabei sind es Gitarren. Wir haben auch wieder viel mit echten Drummern gearbeitet, die dann halt mit Loops und so was vermischt wurden.

Es ist doch eine sehr ausgewogene Mischung, weswegen wir auch bei der Live-Umsetzung vor einigen Problemen standen. Der Hauptunterschied zu Deine Lakaien ist aber mit Sicherheit der, dass die Stimme im Mittelpunkt steht, dass die Musik für mich und meine Stimme da ist. Bei den Lakaien werden bestimmte Themen immer wieder aufgenommen und weiter gesponnen, bei meinen Soloscheiben sind die persönlichen Texte mehr mit der Musik verbunden.

Unterscheiden sich dann auch die Entstehungsprozesse zwischen den Lakaien und deinen Solo-Scheiben?

Hm, bei Deine Lakaien gibt es Songs, die Ernst alleine schreibt, dann arbeiten wir manche auch zusammen aus. Oft ist ein Text von mir schon da und dann entsteht die Musik dazu. Das läuft aber auch ab und zu anders herum ab. Bei "The Sweet Life" sind die Songs eigentlich alle in einer Art Klausur in London bei meinem Freund und Produzenten David Young entstanden. Er wollte, dass ich nach London komme, um mit ihm dort zusammen am Album zu arbeiten, da ich nach Abschluss der "Kasmodiah"-Tour doch in einem kreativen Loch war. Diese anderthalb Jahre waren doch sehr anstrengend und so bin ich nach einer kurzen Pause dann nach London geflogen. Wir haben angefangen zu arbeiten, ohne zu wissen, was dabei rauskommt. Wir kennen uns zwar schon sehr lange, haben aber noch nie gemeinsam Songs geschrieben.

Tretet ihr heute als Band auf, also mit Gitarre, Schlagzeug und Bass?

Ja auf jeden Fall, das ist mir auch sehr wichtig. Ich hasse Playback-Shows. Selbst bei Deine Lakaien gab es so etwas nie, obwohl das im Elektronik-Bereich ja öfters passiert. Ich hab mit meinem Produzenten 'ne Band aus Berliner Musikern zusammengestellt, jetzt sind wir insgesamt zu sechst auf der Bühne.

Sind auf "The Sweet Life" eigentlich Songs, die du mit Deine Lakaien nicht hättest verwirklichen können?

Öh, na ja, sie wären ohne David Young wohl erst gar nicht entstanden, da alle in Kooperation entstanden sind, natürlich bis auf die Coverversionen. Die Texte habe ich aber alle selber geschrieben, wobei das natürlich so 'ne Sache war, da David sie, als Muttersprachler, sehr kritisch unter die Lupe genommen hat. Da dachte ich dann auch: "Öha, pass mal auf, dass Du da keinen Blödsinn zusammentextest." Aber er mag meine Texte und die Bilder die ich beschreibe. Er sagt, sie seien denen von Jim Morrison und David Bowie sehr ähnlich, was natürlich ein Riesen-Kompliment ist. Manchmal hat er mich auch dazu angespornt, an diesem oder jenem Text noch zu feilen, aber die meisten fand er recht gut.

In "Fly Away" singst du die Zeilen " ... I close my eyes to see the picture of your hand." Ist es nicht eher das Gesicht eines Menschen, an das man sich erinnert?

Kann ich so nicht sagen. Es ist eine wahre Begebenheit und ich habe diese Hand als so erinnerungswürdig erachtet, dass ich das in diesen Text habe einfließen lassen. Es gibt ja auch wunderschöne Hände, nicht nur Gesichter. Mehr möchte ich darüber aber nicht erzählen. Ich denke es reicht, dass ich es in Musik passe. Ich liebe die Metapher, das Verklausulieren und das Mehrdeutige.

Warum ist der Titeltrack zweimal vertreten und vor allem, in welcher Sprache ist die zweite Version?

Das ist so etwas wie die Klammer des Albums und die zweite Version ist in meiner Heimatsprache Makedonisch. Die Stimmung des Songs hat mich sehr an dieses Land erinnert, deshalb wollte ich ihn auch in dieser Sprache aufnehmen. Ich finde es auch sehr spannend, Musik in einer Sprache anzubieten, die kaum einer versteht.

Im Presseinfo wirst du mit den Worten zitiert, dies sei deine Definition von Pop Musik. Meinst du, die Käuferschicht geht damit über die von Deine Lakaien hinaus?

Mit Definition von Pop meine ich ja nicht kommerziellen Pop. Das war auch eher so ein flapsiges Statement, da Pop heute mit Wegwerfmusik verwechselt wird. Deshalb sind die Songs auf dem Album eine Hommage an frühere Jahrzehnte. Popmusik war mal was ganz Großartiges, heutzutage wird an billigen Computern mit billigen Sounds, billige Drecksmusik gemacht und an die Leute verkauft.

Was würde passieren, wenn die Plattenverkäufe von Veljanov die von Deine Lakaien überholen?

Wäre doch schön, haha. Wenn man seit fünfzehn Jahren Musik macht und veröffentlicht, aus dem Nichts gekommen ist und sich immer weiter hoch gearbeitet hat, dann weiß man gar nicht so recht, wieso das so ist. Es hängt von Geldern ab, die die Firmen zur Verfügung stellen, oder auch nicht, und dann gibt es da noch die schwer zu knackende Nuss namens Charts. Der ganze Medienapparat ist natürlich auch verdammt wichtig. Ich sehe das eher so: Die Lakaien sind mein halbes Leben und mein Solo-Projekt ist der Luxus, den ich mir dank Deine Lakaien leisten kann.

Gab es für die Cover-Version von "Black Girl" einen besonderen Grund?

Das war Davids Idee. Leadbelly ist für ihn ein sehr wichtiger Mensch gewesen und nach ein paar Gläsern Wein fasste er dann den Entschluss, den Song mit mir zu machen. Die Entfremdung gefällt mir sehr gut. Dass Nirvana den Song auch schon gecovert hatten, haben wir beide erst nach der Veröffentlichung des Albums erfahren. Ich finde es aber schön, dass ich auf meinen Soloplatten eben auch Songs verarbeiten kann, die im ersten Moment völlig untypisch für mich erscheinen. Deswegen ist das Album so vielseitig, was nicht heißt, dass wir uns mit Deine Lakaien limitieren würden. Wir sind einfach eine Band, die ihren Stil gefunden hat und bisher mit keiner anderen verglichen wurde. Viele deutsche Elektrobands wurden immer wieder mit Depeche Mode verglichen, wir dagegen noch nicht.

Was hat es eigentlich mit dem deutschen Track auf dem Album auf sich? Für mich klingt der Song sehr im Stile alter Balladen und hat für mich schon Ansätze von Minnegesang.

Das Lied hat einen mittelalterlichen Touch, da hast du recht. Das Lied ist ursprünglich aus den 40ern und wurde schon von Hildegard Knef und Marlene Dietrich gesungen. Ich kannte den Song von Nico (Velvet Underground). Das letzte Album von Nico, welches Mitte der 80er aufgenommen wurde hieß "Camera Obscura" und auf dieser Scheibe ist dieses Lied drauf. Als ich David dann vor acht oder neun Jahren kennen lernte, erzählte ich ihm irgendwann, wie sehr ich dieses Album liebe. Er erzählte mir dann, dass er es mit John Cage zusammen produziert hatte.

Da ist mir dann erst mal mein Herz in die Hose gerutscht und jetzt haben wir uns eben wieder daran erinnert, kramten die Platte heraus und hörten sie uns an. Er erinnerte sich dann hauptsächlich an die damals schlimme Zeit, da John Cale und Nico beide böse auf Drogen waren und er versuchte, die beiden irgendwie zu retten. Die eigentliche Idee, das Stück zu covern stammt auch von David. Ich wollte eigentlich gar nicht mehr, denn mit Göttinnen wie Marlene Dietrich und Hildegard Knef willst du doch nicht verglichen werden, das geht in die Hose. Aber ich habe mich dann gezwungen, das Lied einzusingen und im Endeffekt sind wir damit sehr zufrieden.

In einigen Kritiken, in denen mein Album nicht sehr gut abschneidet, wird dieser Song trotzdem als äußerst gelungen bezeichnet, was mich auf der einen Seite wundert, auf der anderen natürlich stolz macht, wenn gerade der Song, bei dem man selber am meisten Zweifel hat, so gut ankommt. Wahrscheinlich ist da dann aber der eigene Anspruch auch höher. Aber was du sagtest mit Minne und so, das ist schon richtig, da die Original-Komponisten Heilmann und Gilbert schon bei irgendeinem Mittelalterlied geklaut haben. "Das Mädchen von Thule", glaube ich hat einen ähnliche Melodie, aber ich finde auch den Text des Liedes einfach großartig. Sogar meine Tochter liebt das Lied.

Wie stehst du zu Internet und Napster?

Die sollen sich nicht so anstellen. Organisierte Raubkriminalität ist natürlich bekämpfenswert. Aber das Geschrei der Plattenfirmen, die selber so viel Kohle machen und die Künstler ausbeuten, die sollen sich nicht so anstellen. Bei den CD-Preisen muss sich doch keiner wundern. Früher wurden Kassetten kopiert, heute sind es eben CDs. Welches Kid kann sich denn 20 CDs die Woche kaufen? Wenn man auf eine CD wirklich steht, kauft man sich doch trotzdem das Original.

Welche CDs besorgst du dir?

Ich werde mir auf jeden Fall die neue Radiohead besorgen. Die neue Nick Cave liegt bei mir zu Hause rum, habe ich aber noch nicht angehört. Coldplay finde ich klasse und auch Senor Coconut hat mir gut gefallen.

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