laut.de-Kritik

Selbstreflektion streitet mit Naturgewalt - auf hessisch!

Review von

Scheiß auf virales Marketing. Als ich jüngst durch Frankfurt flanierte, erfüllten altmodische Sticker, die einem dafür an jeder Ecke ins Auge sprangen, den gewünschten Zweck vollauf: Eine U-Bahn-Fahrt genügt, und ich wünsche mir ein deftiges "Azphalt Inferno". Ich will die geballte Faust des Nordwestens mit Schmackes in die Fresse. Sofort.

Was dann bescheiden als "Streetalbum" deklariert wird, befriedigt diese Gier über weite Strecken. Untadelig komponiert präsentiert sich "Azphalt Inferno" als am Stück zu genießende, runde Angelegenheit. Über jeden Zweifel erhabene Cuts und Scratches aus den weltmeisterlichen Händen DJ Rafiks krönen die Parade wuchtiger Beats mit einem Sahnehäubchen.

An den Reglern verrichten unter anderem STI, M3 & Noyd, Brisk Fingaz, Shuko und Benny Blanco Schwerstarbeit. Füllmaterial braucht niemand, gibts deswegen gar nicht erst. Selbst Zwischenspiele wirken nicht, wie oft anderswo, wie unfertige Schnipsel aus der Ideenwerkstatt, sondern glänzen durch die Bank mit ausgefeilter Eleganz.

Schwer stampfende Bässe treffen auf Streicher- und Piano-Sounds. Gelegentlich piekst der stechende Klang eines Cembalos ins Trommelfell. Konträr dazu bedienen sich die Herren Produzenten im Screw oder hupen mit schrillenden Sirenen einen kurzen Gruß Richtung Basement.

Azad selbst lässt sich von seinen Labelgenossen von 349, von Jeyz, von Manuellsen flankieren, die alte Warheit-Truppe taucht mit dem Remix von "Hölle Auf Erden" wieder auf. Auffällig, wie der Bozz dieses gar nicht peinliche Umfeld stets mühelos dominiert. Er muss sich nicht in den Vordergrund drängen. "Halb Mensch, halb Beton" überragt er seine Kombattanten wie der Messeturm ein Pfadfinderzeltlager.

Auf Augenhöhe begegnen ihm nur wenige. Veteran Kool G Rap macht zwischen Brisk Fingazschen Synthies in "Das Leid & The Light" eine exzellente Figur. Freeman und Savant Des Rimes spucken ihre Stinkwut in "Das Verhör" auf Französisch unters Volk. STI kreiert dazu mit einem unheilschwangeren Beat beinahe greifbares Ungehagen.

Ohne Kinderchor an den Hacken dreht Azad an der Seite Kool Savas' richtig auf. Warum diese jetzt wahrhaft unaufhaltsame Kollabo verschämt im Abspann verscharrt wurde, verwundert weit mehr, als dass "Der Bozz & Der Baus" gemeinsame Sachen machen. Zwar habe ich Sprüche des Kalibers "Dein Name ist ein No-No" respektive "Das wars mit dir, Azad", noch gut im Ohr. Doch schon immer hat sich Pack schließlich auch wieder vertragen, das sich vorher kräftig auf die Nase hieb, "von unten nach oben, wie'n verfickter Uppercut".

"Who The Fuck": Ein einziges charakteristisch zischendes Einatmen, ein einziger Vers des Reimroboters - und mir tropft der Zahn. Tone wird bis zum nächsten Album doch nicht wirklich wieder zehn Jahre ins Land gehen lassen wollen? Dann leg' ich Feuer, der Fireman ist ohnehin schon da. Zwar nicht, wie sich das gehört hätte, in "Deutschland Brennt", wohl aber, um die "Liberation Time" zu feiern.

Tausendmal lieber höre ich Capletons Gesang, der die Tür zur Dancehall einen Spalt weit aufstupst, als 08/15-R'n'B-Gejaule, das, zwischen knüppelharte Battleansagen geklebt, jeglichen Schwung raubt und Azads berührende Statements in "Alles Wird Gut" verkleistert.

Nix gegen Jeyz, wirklich nicht. Aber eine Nummer wie "Gib Mir Ein Zeichen" will ich nicht hören, wenn rund um mich das Inferno tobt. Die "Eskalation" gerät für meine Begriffe viel zu artig, und ich möchte nicht, dass mitten in der Straßenschlacht unvermittelt und Musical-mäßig in Gesang ausgebrochen wird. Wo bleibt der Respekt vor dem Gefecht?

Trotzdem: In seiner Kombination aus Naturgewalt und kritischer Selbstreflektion bleibt Azad unerreicht. Der unverhohlene hessische Einschlag ("Des is Frankfurt!") unterstreicht da nur seine Kredibilität. Und auch sonst schließe ich mich an: "Wo sind die Skills hin / Ey, mach' die Ohren auf, du Depp!" Dass insgesamt eher posiert als erzählt wird, stört letztlich kaum: Im Nordwesten eben wenig Neues.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Azphalt Inferno
  3. 3. G-Muzik
  4. 4. Bozz feat. Jeyz & 439
  5. 5. In dein Hirn feat. 439
  6. 6. Unerreicht
  7. 7. Gib Mir Ein zeichen (Jeyz)
  8. 8. Alles Wird Gut Remix
  9. 9. Das Leid & The Ligt feat. Kool G Rap
  10. 10. Marschmuzik
  11. 11. Klartext feat. Hanybal
  12. 12. Multikriminell feat. 439
  13. 13. Who The Fuck feat. Tone & Manuellsen
  14. 14. Das Verhör feat. Freeman & Savant Des Rimes
  15. 15. Credibil Cut
  16. 16. Hölle Auf Erden (Warheit)
  17. 17. Deutschland Brennt Cut
  18. 18. Blockfeuer feat. Manuellsen & 439
  19. 19. Der Bozz & der Baus feat. Samy Deluxe
  20. 20. Liberation Time (Blanco Remix) feat. Capleton
  21. 21. Direkt Aus Dem Viertel (Adem)
  22. 22. Ghetto Sound Cut
  23. 23. Eskalation (439)
  24. 24. Durchgriff feat. Manuellsen & 439
  25. 25. Mein Weg Cut
  26. 26. Betonklassik Remix
  27. 27. Alles Lügen Remix
  28. 28. Outro

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LAUT.DE-PORTRÄT Azad

Azads Hip Hop-Roots lassen sich bis ins Jahr 1988 verfolgen. Als kurdisches Flüchtlingskind findet er schwer Anschluss in den kalten deutschen Landen.

28 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    wie geil du hast es wahr gemacht und es gibt ein Azad Review und freddy :).

    Review passt soweit ganz gut, nur das mir der autogetunede Capleton Track garnicht abgeht und man sicherlich auch das ein oder andere mal gut ohne jeyz oder die 439er ausgekommen wäre, die ich aber nicht so unhörbar finde wie auf älteren Releases von Azad.

    Und insgesamt: FRANKFURT! (wer nicht hüpft ist Offenbacher!)

  • Vor 15 Jahren

    *hüpf*

    ja. insgesamt wars mir einfach nicht derbe genug.

    frankfurt ... macht dich aggressiv, auch wenn du es nicht bist. :D

  • Vor 15 Jahren

    Hmmm... So viel positive Resonanz. Da bin ich ja fast gezwungen, nochmal reinzuhören. Die ersten 2 Durchläufe haben irgendwie gar nicht gezündet. Ich meld mich morgen mal mit einer konstruktiven Meinung...