laut.de-Kritik

Der erste US-Latino-Emcee kam ins Game wie ein Boss.

Review von

Als der 16-jährige Armando Christian Pérez, besser bekannt unter dem Namen Pitbull, in Miami 1997 den "Soul In The Hole"-Soundtrack in die Stereoanlage schiebt, erwarten ihn Banger von Wu-Tang, Mobb Deep und Co - den klassischen New York-Rapstars jener Tage. Auch der fünfte Track des Albums tanzt mit dem Piano-Loops von Michael Jacksons "With a Childs Heart", den straighten Drums und der Hook - "You ain't a killer, you still learning how to walk / From New York to Cali all the real niggas carry chalk..." - nicht weiter aus der Reihe. Vorerst. Es ist nicht überliefert, ob es sich so zugetragen hatte und wo der wandelbare Club-Rapper kubanischer Abstammung die Straßensingle "You Ain't A Killer" zum ersten Mal wirklich hörte, nur, dass es ihn bis ins Mark erschütterte. "Das war der erste Song, den ich von Big Pun kannte. Zuerst dachte ich, es handele sich um einen Typen vom Clan, ich checkte noch nicht mal, dass dies der berühmte Big Punisher sein sollte – geschweige denn ein Puerto Ricaner. Als mir dies dann klar wurde, fühlte ich: Oh, Shit, der Typ ist wirklich unser Retter."

Oh Shit. Genau. So wie es Pitbull es bei allhiphop.com beschreibt, fühlten neben seinen lateinamerikanischen Landsleuten viele Emcees jener Tage. Der erste US-Latino-Emcee mit einem Platin-Album kam ins Game wie ein Boss. Vor Pitbulls Aha-Moment vom Soundtrack, der sich natürlich auf "Capital Punishment" wiederfindet, rollt Christopher Rios New York ab 1996 von der Straße der Bronx her auf. Mentor Fat Joe holt ihn zuerst mit Raekown und Armageddon auf sein "Firewater" und Pun zerstört mit seinem Style von Anfang an.

"Yo, I'm all about business and enterprisin' / Advisin' financial advisors on franchisin' the wider than horizons." Danach folgt mit bewährtem Rezept die komplette Vernichtung von "Off Da Books" - den größten Hit der Beatnuts. Pun überzeugt vor allem mit einem atemlosen Silbenfeuerwerk, immer nah dran am Kollaps, verschachtelten X-fach-Reimen sowie einem unwiderstehlichen Mix aus Gangster, Humor und Hip Hop-Kultur. "Er war immer höflich und locker, wollte aber trotzdem alle anderen Emcees vernichten und dominieren. Das war der Job seines Lebens."

Der Junge hatte also einen Plan und das Potential für den nächsten King Of New York, die legitime Nachfolge Biggies. Anders als später 50 Cent holte sich Pun den Respekt aller, auch wenn er sie raptechnisch zerstören wollte. Der zweite Schritt, das erste Album "Capital Punishment" sollte dann sein Klassiker, seine Throneroberung werden. Frei nach Eminem: "You only get one shot, do not miss your chance to blow / This opportunity comes once in a lifetime yo". Leider sollte sich diese Einmaligkeit später auf ganz anderer Weise verwirklichen.

Die ersten offiziellen Singles "I'm Not A Player" und das Sequel "Still Not A Player" fungieren dabei als tödlicher Doppelschlag. Der erste Teil fegt mit O'Jays-Sample und brutalen Kopfnicker-Drums den P. Diddy- und Jay-Z-Rap-And-Bullshit jener Tage aus Cyphers und Clubs, während "Still Not A Player" danach als trojanisches Pferd mit Sänger Joe im buttersüßen Hook in die Schlafzimmer und Frauenherzen reitet. "I'm not a player / I just fuck a lot".

Das Album erscheint kurz darauf im April 1998 und steigt sofort auf der Fünf ein, 400 Pfund wiegt das Schwergewicht damals und benötigt genau zwei Tracks, um auch die restlichen Rap-Fans aller Farben und Formen für sich zu gewinnen. Der von Beatnuts-Juju produzierte Opener "Beware" ist so straight, gefährlich und böse boom bappend, dass er als Blueprint für den 90er Eastcoast-Sound alle Zeiten übersteht. Auf dem folgenden "Super Lyrical" vom Rockwilder legt er sich mit Roots Black Thought an. Black Thought ist ja seit jeher neben Jadakiss und Pharoahe Monch bekannt, andere auf deren Tracks an die Wand zu rappen. In Big Pun findet er jedoch seinen Meister.

"Just call me Baby Jesus cause lately niggaz be praisin me / Just for the way I blaze the beat crazily, tape to CD lasery / It pays to be amazingly flavor / Gaaaaze into my rhymes that basically hypnotize you occasionally".

"Es war wie, als ob Pun sagen würde: 'Ihr könnt es nicht mit mir aufnehmen'. Er reimte fast jedes Wort mit dem folgenden, Alter", so Pitbull.

Mag auch Jay-Z für Mädchensong und Kinderlieder auf "Vol. 2... Hard Knock Life" den Grammy gewinnen und DMX zum absoluten Superstar aufsteigen, der legitime Nachfolder von Biggie konnte damals nur Big Pun heißen – wie er selbst im ultraharten "The Dream Shatterer" auch klarmachte. "Drain a quart of blood out your brain and leave you insane in the dark / The king of New York / Lays his crown in the Boogie Down / And sprays the town, with a Mac hoodied down". Dass Pun in diesem Zeilen mal eben noch Cypress Hill – die erste Platinum-Rap-Gruppe mit lateinamerikanischen Wurzeln – sowie Krs-One ehrte, setzte ihm erst recht die Krone auf.

Pun holt auf "Capital Punishment" wirklich alles aus sich heraus. Er gründet mit Wyclef die reggae-infizierte "Caribbean Connection", packte den Paten für "Glamour Life" und den sozialkritischen auf dem Titeltrack aus. Selbst die anfangs erwähnten Rapstars um Mobb Deep und Wu-Tang sind nur Gäste auf seinem Ritt in die Geschichtsbücher. Auf dem von Rza produzierten und mit Roc Raida-Scratches versehenen "Tres Leches (Triboro Trilogy)" duelliert er sich erfolgreich mit Prodigy und Inspectah Deck. Abgerundet und einen weiteren Schlusspunkt über den Wirtschaftskrieg und medial aufgeblasenen Eastcoast/Westcoast-Beef setzend wird das Album durch das legendäre Snoop und Dre-Cover "Twinz (Deep Cover 98)". Fat Joe und Big Pun gehen mit viel Respekt an den Classic-Track, übernehmen gar die komplette Chorus-Struktur, und Pun liefert einen der krassesten Gangster-Rap-Zungenbrecher aller Zeiten ab.

"Meet me at Vito's with Noodles, we'll do this dude while he's slurping spaghetti / Everybody kiss the fucking floor, Joey Crack / Buck em all if they move, Noodles shoot that fucking whore / Dead in the middle of Little Italy little did we know / That we riddled some middlemen who didn't do diddly".

Fat Joe erzählt auf nahright.com die schwierige Geburt der Zeilen. "Ich musste ihn förmlich zum Einrappen der Zeilen zwingen. Er meinte immer nur, ich sei verrückt und dass es nur ein Witz, eine Übung sei und dass alle über ihn lachen würden. Trotzdem tat er es dann zum Glück und es wurde zum krankesten Scheiß überhaupt."

New York hatte seinen neuen König und die lateinamerikanische Community ihren Helden. Vom missbrauchten Kind über die Stationen Schläger und Drogendealer zum überall geliebten Superstar – die Geschichte des Christopher Lee Rios hätte wahrlich mehr Jahre oder gar ein Happy End verdient gehabt. Leider wurden in den Jahren des Erfolgs aus den 400 Pfund fast 700, selbst seinem großen Herz war das zu viel. Am 7. Februar 2000 hörte es auf zu schlagen, und "Captial Punishment" blieb sprichwörtlich sein einziger Schuss zu Lebzeiten, der ihn jedoch für immer in den Rap-Himmel hob. So platzierte zum Beispiel The Source ihn noch Jahre später in der ersten Hälfte der Top 50 Lyricists Of All Time, und für alle nachfolgenden Rapper aus Puerto Rico, Kuba und Co blieb er ohnehin unsterblich. Noch mal Pitbull über "You Ain't A Killer":

"Damals hieß es bei uns in Miami, dass es ja nur Rapper aus New York an die Spitze schaffen. Aber Pun posaunte im Hook einfach raus: "It's not where you from it's where's your gat". Und dafür liebten wir ihn."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Beware
  3. 3. Super Lyrical
  4. 4. Taster's Choice
  5. 5. Still Not A Player
  6. 6. Intermission
  7. 7. The Dream Shatterer
  8. 8. Punish Me
  9. 9. Pakinamac Pt.I
  10. 10. You Ain't A Killer
  11. 11. Pakinamac Pt.II
  12. 12. Caribbean Connection
  13. 13. Glamour Life
  14. 14. Capital Punishment
  15. 15. Uncensored
  16. 16. I'm Not A Player
  17. 17. Twinz (Deep Cover 98)
  18. 18. The Rain & The Sun (Interlude)
  19. 19. Boomerang
  20. 20. You Came Up
  21. 21. Tres Leches (Triboro Trilogy)
  22. 22. Charlie Rock Shout
  23. 23. Fast Money
  24. 24. Parental Discretion

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