laut.de-Kritik

Chöre und asynchrones Klatschen: So kennt man das deutsche Publikum.

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Es ist wenig verwunderlich, dass Billy Talent für ihr erstes Livealbum seit 15 Jahren ein Konzert in Deutschland auswählten, schließlich haben sie hier neben Kanada ihre stärkste Fangemeinde. Wie der Zufall es will, spielten sie am Release-Wochenende bei den Schwesterfestivals Hurricane und Southside. Nicht nur dort herrschte eine ausgelassene Stimmung, auch bei ihrem Konzert am 25. November 2022 in der Festhalle Frankfurt. Die Setlist ist wenig "Crisis Of Faith"-zentriert: Unter den 21 Tracks befinden sich lediglich fünf des zur Zeit des Konzert noch frischen Albums. Dafür holen die Kanadier eine Menge Lieder aus ihren frühen Tagen hervor.

Den Abend starten sie mit einem Song ihrer zweiten Platte. "Devil In A Midnight Mass" heizt dem Publikum ein und funktioniert live noch besser als aus dem Studio. Nur im Outro macht sich bemerkbar, dass sich bei der Stimme von Benjamin Kowalewicz in den 16 dazwischen vergangenen Jahren etwas getan hat. So mühelos wie früher klingt es nicht mehr, stattdessen quetscht er die Zeilen heraus.

Doch bereits zu diesem Zeitpunkt merkt man, dass Billy Talent mit der Aufnahme dieses Konzerts eine gute Wahl getroffen haben: Das ausverkaufte Haus ist voll mit dabei. Zumindest scheint es so, denn der Sänger bedankt sich zwischen dem mitgrölbaren "I Beg To Differ (This Will Get Better)" und "Afraid Of Heights" überschwänglich bei den Zuschauern. "This is amazing, thank you so much for coming tonight", ruft er ins Mikro. Das Recording fängt es jedoch nicht in diesem Ausmaß ein, der Gesang der Crowd ertönt eher zaghaft im Mix.

Als die Band wieder in ihrer Diskografie zurückgeht und "Perfect World" anstimmt, braucht man sie gar nicht zu hören, um zu wissen, dass die Halle mitfeiert und dazu auf und ab springt. Live blüht der Song auf und macht sich genauso gut wie beim Release vor mittlerweile 17 Jahren. Der Hinweis auf die Konzert-Etikette - O-Ton: helft denjenigen, die sich unwohl fühlen und den Leuten, die hingefallen sind - zeigt die gute Schule der Gruppe. Während des folgenden "Hanging Out With All The Wrong People" ging es aber vermutlich eher ruhiger zu. Sie liefern eine gute Live-Version des unaufgeregten, auf Dauer sehr repetitiven Stücks ab. Die Setlist bereichert es aber nicht. Ganz im Gegensatz zum Klassiker "Try Honesty", den anfangs viel Jubel und ein inbrünstiger Schrei eines weiblichen Fans im Intro begleitet. Die supportenden Vocals von Ian D'Sa verschluckt der Mix jedoch ein wenig.

Kurz vor Halbzeit stecken sie ihre gesamte Energie in "Rusted From The Rain", in dem die Harmonie zwischen den Bandmitgliedern zum Vorschein kommt. Es saß mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nur niemand auf den Rängen der Festhalle still, auch unter der Band merkt man die Hochstimmung - das alte Material erweckt alle Lebensgeister in Benjamin Kowalewicz, Ian D'Sa, Jonathan Gallant, Aaron Solowoniuk und Jordan Hastings. Auf dem gleichen Level - und gleichen Album - bleiben sie mit "Saint Veronika".

"The Wolf", das sie Gord Downie, dem 2017 an einem Hirntumor verstorbenen Sänger der kanadischen Band The Tragically Hip widmen, sorgt auf andere Weise für einen weiteren denkwürdigen Moment. "Diamond On A Landline" vertreibt den Kloß im Hals sogleich wieder und bringt erneut Schwung in die Sache. Dahingegen springt der Funke bei "End Of Me" und "Forgiveness I" nicht so wirklich über. Ältere Songs kommen einfach besser zur Geltung, wobei "Reckless Paradise" vom neuen Material noch am meisten abholt.

Anders als in "Reckless Paradise" muss Kowalewicz die Crowd an den entsprechenden Stellen von "Fallen Leaves" nicht zum Mitsingen animieren, bei solch einem Banger klappt das ganz von allein. Dazu kommen "Billy Talent"-Chöre und asynchrones Klatschen: Das ist das deutsche Publikum, wie man es kennt. "Devil On My Shoulder" und "Viking Death March" halten anschließend Energie und Laune bis zum Closer "Red Flag" hoch. Der bestätigt das Sprichwort "Das Beste kommt zum Schluss". Ihr größter Hit bringt den Konzertsaal ein letztes Mal zum Beben.

Trackliste

  1. 1. Devil In A Midnight Mass
  2. 2. This Suffering
  3. 3. I Beg to Differ (This Will Get Better)
  4. 4. Afraid Of Heights
  5. 5. Perfect World
  6. 6. Hanging Out With All The Wrong People
  7. 7. Try Honesty
  8. 8. Pins And Needles
  9. 9. Rusted From The Rain
  10. 10. Saint Veronika
  11. 11. The Wolf
  12. 12. Diamond On A Landmine
  13. 13. End Of Me
  14. 14. Surrender
  15. 15. Forgiveness I
  16. 16. Reckless Paradise
  17. 17. Surprise Surprise
  18. 18. Fallen Leaves
  19. 19. Devil On My Shoulder
  20. 20. Viking Death March
  21. 21. Red Flag

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3 Kommentare mit 13 Antworten

  • Vor 9 Monaten

    Wer auch immer dachte die Festhalle würde sich für Konzerte eignen, hatte wirklich mal so absolut keine Ahnung von Musik und Akustik. Es ist schlichtweg nicht möglich in dem Ding ein auch nur halbwegs gut klingendes Konzert zu spielen.

    • Vor 9 Monaten

      Was erlaube? Depeche Mode 1993 war unerreicht. Allerreinste ungetrübteste Erinnerung!

    • Vor 9 Monaten

      Die machen ja aber auch nur Piep und Pup.

    • Vor 9 Monaten

      Tool letztes Jahr für Indoor, verhältnismäßig weit links platziert und eben Festhalle FFM auch ziemlich untadelig, mMn nach gar nahe am optimal zu erreichenden Indoor-Sound von Hallen dieser Größe.

      Dieselbe Band in der Benz-Arena Berlin 2019 fand ich trotz vermeintlich besserer, weil mittiger Platzierung sogar noch nen Tacken schlechter.

    • Vor 9 Monaten

      ...also allein vong Klang her.

    • Vor 9 Monaten

      Es mag am Acid gelegen haben, aber ich fand den Sound in der Festhalle auch besser als in der Mercedes Benz-Arena. Kann aber auch daran gelegen haben, dass die Erwartungen, aufgrund des vorauseilenden Rufs der Festhalle, recht niedrig waren.

    • Vor 9 Monaten

      Achso, jeweils bei tool, sollte klar sein.

    • Vor 9 Monaten

      Hab auch Tool letztes Jahr gesehen, fand den Sound sehr gut. Ein Freund, der hingegen auf der Tribüne saß, sagte,er habe außer Schlagzeug nicht viel gehört.

    • Vor 9 Monaten

      Innenraum ist meist noch okay, auf den Rängen ist die Akustik ziemlich grottig. Bei den Arctic Monkeys war es in diesem Jahr ein einziger Soundbrei. Wahrscheinlich hatten die Tontechniker aber auch einen besonders schlechten Tag. Würde behaupten, dass man eine Live-Aufnahme aus der Festhalle besonders gut bearbeiten muss.

    • Vor 9 Monaten

      "Es mag am Acid gelegen haben,..."

      Fand auch, Sound war gut.
      Habe aber auch immer eher fasziniert auf die Background VFX geguckt. :koks:

    • Vor 9 Monaten

      Haha, war denn die halbe laut.de-Userschaft letztes Jahr bei Tool in Frankfurt?

    • Vor 9 Monaten

      Ich war vor nen paar Wochen bei Peter Gabriel in der Festhalle und fand den Sound leider auch sehr dürftig. Kann natürlich an den Plätzen gelegen haben(saß hinten in der Mitte, siehe hiesiges Coverartwork), aber man hat den Gesang teilweise nicht mal im Ansatz verstehen können. Lediglich bei den ruhigeren stücken war es okay. Fand ich sehr sehr schade :(

    • Vor 22 Tagen

      War zweimal in der Festhalle: etwa 2004/2005 bei Britney. Ein furchbarerer Soundbrei, die Songs waren teils erst beim 2-3 Refrain erkennbar.

      2024 bei Deichkind: Monster Sound, vom Pit vorne bis hinten seitlich bei den Bierstände...bestes Arbeit vom Mischpult her!

  • Vor 9 Monaten

    Da muss ich korrigieren: Tears for Fears und beide Rush Konzerte waren dort tadellos. Ich denke man muss sich einfach etwas mehr Mühe in Sachen Tontechnik geben.

    • Vor 9 Monaten

      Zumal das Rush Konzert von 2004 auf DVD (R30) verewigt wurde. Grandios. David Bowie im selben Jahr, ebenfalls Top.
      2 Jahre später waren RHCP hingegen eine riesen Enttäuschung.
      Tontechnik, lustlose Band? Mit der Festhalle hat das nichts zu tun.

  • Vor 9 Monaten

    Tolles Live Album mit einer guten Setlist. Jedes Album ist vertreten. Hab sie auf der gleichen Tour in Stuttgart gesehen, auch ein Wahnsinns Konzert :)