laut.de-Kritik
Mehr solche Alben, und Reggae fände medial stärker statt.
Review von Philipp KauseDer Vintage-Klang wirkt beim ersten Anhören wie mit Hipster-Absicht fabriziert. "Judgement Day" verläuft, meist auf Uptempo-Beats, sehr stringent und in betriebsamer Ruhe. Es klingt teils dubbig, teils rockig, teils bläserbetont abgemischt, und wechselt innerhalb der Songs gerne die Klangfarben. Zwischen den einzelnen Stücken hingegen bleiben die Brüche gering und die Kanten weich. Alles wird eins, besonders die ersten neun Tunes lassen sich in einem Flow durchhören.
Betriebsame Ruhe heißt hier: Es ist sehr viel Bewegung im Spiel, viele kurze Passagen mit kleinen Bläserriffs und Gitarrenakzenten. Alles wirkt fiebrig, aber doch auch sehr konzentriert eingespielt. Für die Hörerschaft bedeutet das, dass man trotz des schnellen Tempos der Platte gut abschalten kann.
Die Stimmung ist mellow, die Abmischung funky. Gerade wegen des hohen spielerischen Niveaus entführt einen die Musik in eine eigene Welt, in der das Analoge King ist und das Jazzige seinen Platz hat. Alle Offbeat-Musik kommt ja vom Jazz.
Dass die Band ihre Vorgeschichte hat, macht die Sache noch ein bisschen interessanter. Capital Letters sind eng mit dem spannenden Geschehen des Punkrock und TwoTone-Ska und der britischen Jugendkulturen Ende der '70er, Anfang der '80er Jahre verknüpft.
Einer der Fans ihres ersten Albums ist zu jener Zeit der damalige Drummer von The Selecter, also genau der Typ, der den Beat auf "Too Much Pressure" und "On My Radio" und dem James-Bond-Ska-Theme trommelte. Nun, 39 Jahre später auf "Judgement Day", macht er seine Sache super.
Die Texte auf "Judgement Day" handeln zum Beispiel von der Vorstellung vom Jüngsten Gericht. Dieses Motiv entspricht in etlichen Bibelübersetzungen und Koran-Versionen dem Tag, an dem über jeden Menschen ein Urteil gefällt wird. In der Rasta-Philosophie kommt dieser Gedanke gar nicht so oft vor, obwohl religiöse Statements dort recht oft anzutreffen sind.
"Follow Rastafari" verweist unter wunderschönem Schlagzeug-Gescheppere und schrägen Saxophon-Linien auf den "Higher One", den Schafhirten, dem wir als (gläubige) Herde nur zu folgen bräuchten, um "Higher Feeling" zu spüren. Ein E-Bass-Solo durchbricht den Song, eine Synthie-Schleife rundet ihn ab.
Die vielen schnittigen Keyboard-Patterns und der Gesangsstil erinnern wiederholt an eine stets tourende Band aus jener Zeit, als Capital Letters ihre ersten Hits hatten: an Steel Pulse, auch sie eine britische Rock-Reggae-Band. Capital Letters jedoch machen einiges anders. Zwar liefern sie ebenfalls conscious lyrics ab. Die Musik von Steel Pulse jedoch birgt wesentlich weniger black music, wenn man den Begriff hier einmal verwenden darf, sondern klingt eher rockig.
Capital Letters verbreiten dagegen neblige Dub-Effekt-Schleier und geben der Musik etwas meditativ Getriebenes. Im über sechs Minuten langen "The Roots" merkt man das sehr schön. Das Album macht genau das vor, was mir bei Rebelution im Juni 2018 als entscheidender Schliff fehlte.
Für eine besondere Überraschung sorgt die an Lovers Rock geschulte Schnulze "Your Heart And Mind", die an Boris Gardiner, Aswad und im Sound an Prince Buster erinnert. Hier wirkt alles wie 1980 stehen geblieben. Der Kitsch des Songs ist gerne gestattet, weil der Rest des Albums so rau ausfällt.
Live war die Band bis zum Erscheinen von "Judgement Day" noch nie in Deutschland. Das ist schade, denn Konzerte beherrschen sie auch. Außerdem: Mehr solche Alben, und Reggae fände allgemein medial stärker statt.
1 Kommentar
Würde mich wirklich brennend interessieren, ob keine_Ahnung dazu in seinem Baumhaus so richtig hot abtoasted.