laut.de-Kritik

Dänemarks Tokio Hotel blasen zum Angriff.

Review von

Eines ist sicher: Wenn der ganze 80er Elektro-Retroclash mal so richtig am Ende ist, wenn sich niemand mehr an die OMD-Reunion erinnert und Oliver Geißen höchstens noch Moderatorenjobs für Sendungen bekommt wie "Die peinlichsten Revivalshows von RTL, Pro Sieben und Sat.1 zusammen" (weil so authentisch), dann haben auch Carpark North nix zu lachen.

Doch vorerst ist es leider noch nicht soweit. Vielmehr lässt "All Things To All People" in beängstigender Deutlichkeit durchblicken, wer im Hier und Jetzt erstmal nix zu lachen hat: wir nämlich. Meine Güte, wo ist nur die Schlitzohrigkeit abgeblieben, mittels derer das dänische Trio auf ihrer Vorabsingle "Human" samt knackigem "My Sharona"-Zitat in uns berechtigte Hoffnungen auf die erste coole Poprock-Platte 2006 aufkeimen ließen? Tja, vermutlich liegt die an irgendeinem finsteren Ort begraben, wo man die zehn Drumcomputer, zwanzig Synthies und dreißig Gitarren, die die Band wohl zum Einspielen benötigte, gleich dazu werfen sollte.

Was mich neben dem musikalischen Offenbarungseid am meisten bestürzt, ist meine Menschenkenntnis. Mir will einfach nicht in den Kopf, dass diese zurückhaltenden, braven Jungs, die ich Ende letzten Jahres zum Interview in einer viel zu großen Hotelsuite traf, tatsächlich diesselben sind, die auf "All Things To All People" einen Sound fabrizieren, für den man eigentlich mindestens so böse rumlaufen muss wie Project Pitchfork, oder wenigstens Apoptygma Berzerk heißen sollte.

Nun scheren sich Carpark North herzlich wenig um doofe Konventionen, was wir bei "Human" ja noch klasse fanden. Aber außer drei weiteren Songs ist hier leider nichts mehr ernst zu nehmen. Im Opener "Berlin" wird sogar exemplarisch vorgeführt, wo die eigenen Stärken liegen: Eine ruhige Pianomelodie führt den pathetischen Strophengesang ein, der sich in einem angenehm ausgewogenen Refrain aus 80er Pop-Melancholie und moderner Gitarren-Kraftmeierei entlädt.

Im rockigen Refrain vom ansonsten elektronischen "Best Day" legen Carpark North noch eine Schippe Rührseligkeit drauf, aber das geht alles in Ordnung, auch die vereinzelten Vocoder-Einschübe fügen sich stimmig ins Kompositionsbild. Gänzlich ohne triefenden Schmalz kommt dann die Ballade "Fireworks" aus, die niemanden kalt lassen sollte, dem bei Morten Harkets oder Chris Martins Stimme Tränen in die Augen steigen. Bis hierhin ließ sich das also richtig gut an mit Carpark North, man hätte sich auch im Freundeskreis für die Newcomer stark gemacht.

Aber keine Chance. Was nun folgt, ist eine schwer zu ertragende Schnittmenge, die auf melancholischen Momenten alter Elektronikbands (A-ha, Depeche Mode) und grobschlächtigen Riffs diffusester Gitarrenbands basiert (The Rasmus, Linkin Park, Evanescence, Europe!), und dabei auch genauso originell klingt. Geschmacklose Gothic-Refrains runden das ohnehin getrübte Bild vollständig ab ("Transparent & Glasslike", "The Beasts").

Trotz glasierter Überproduktion sind die Songs natürlich melodisch bis zum Abwinken, so dass es nicht schwer fällt, sich vorzustellen, dass der Traum dänischer Schwiegermütter in der Heimat seit drei Jahren an jedem Ort eine Massenpanik auslöst wie hierzulande nur Tokio Hotel. Toll wäre es halt gewesen, beruhte der Hype auf musikalischer Klasse. Wer aber das absolut lächerliche Gebolze mitsamt den prahlerisch geloopten Beats in "Song About Us" anhört, der mag kaum glauben, dass hier diesselbe Band am Werk ist wie in "Human". Ob die Band auf der Bühne Lidschatten und Rouge aufträgt, ist nur eine der Fragen, die dieses Debütalbum hinterlässt.

Trackliste

  1. 1. Berlin
  2. 2. Human
  3. 3. Best Day
  4. 4. Fireworks
  5. 5. Run
  6. 6. Transparent & Glasslike
  7. 7. Song About Us
  8. 8. Newborn
  9. 9. Wild Wonders
  10. 10. There's A Place
  11. 11. The Beasts
  12. 12. Heart Of Me

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