laut.de-Kritik

Trocken, überheblich, dreckig und kriminell.

Review von

Jup, hier geht es um Kokain - ganze 48 Minuten lang: trocken, überheblich, dreckig und kriminell. Das weiße Pulver regiert eben nicht nur Konstantin Weckers und Rainhard Fendrichs Welt. Dass das weiße Pulver als Thema für ein gesamtes (Rap-)Album taugt, ist spätestens seit Raekwons "Only Built 4 Cuban Linx" klar. Dabei habe ich auch kein Problem, den Klassiker von 1995 als qualitativen Maßstab heran zu ziehen. Ich will nicht lange um den heißen Brei reden: "Hell Hath No Fury" ist stärker als fast alles, was den VÖ-Stempel 2006 auf dem Rücken trägt.

Im Intro "We Got It For Cheap" heißen Clipse die Hörer zum besten Produkt des Genres Cocaine Rap seit dem erwähnten "OB4CL" willkommen. Elektro-Bongos trommeln los, Synthies schleichen sich fies züngelnd in die Gehörgänge, ein Unterleibsbass brodelt mit dem Pusha T Anliegen vorträgt: "No serum can cure all the pain I've endured. From crack to rap to back to sellin' it pure. For every record I potentially sell in the store, it's like Mecca to the dealer that's sellin' it raw." Schon nach dieser ersten Line ist der Mund-Rachenraum staubtrocken. Und er bleibt es.

Das liegt in erste Linie an Pharrell Williams und Chad Hugo, die Clipse einen Sound auf den Leib schneidern, der zwischen roher Simplizität und mannigfaltiger Verspieltheit wahrlich die Grenzen sprengt. Schon klar, wieso Kollegin Fromm mittlerweile die Produktionen der Neptunes zum Hals heraus hängen. Die Beatperlen bleiben nämlich daheim in Virginia.

"Momma I'm Sorry" kreuzt Drums mit Maultrommeln und überfahrenem Akkordeon. Auf "Wamp Wamp (What It Do)" erklingt der Beweis, dass Hip Hop-Musik mit karibischem Einschlag nicht zwangsläufig auf die Eier gehen muss. "Ain't Cha" kitzelt mit anstrengenden Drum-Spielereien an der Schmerzgrenze, wie viele Schlaginstrumente den Takt vorgegeben dürfen. Zum Old School-Break von "Dirty Money" schließlich könnte sich jeder B-Boy aus den Achtzigern in Pose werfen.

Auf "Keys Open Doors" bricht das eingestaubte Ego jedoch schnell in sich zusammen und Panik-Attacken übernehmen kurzweilig den "Hell Hath No Fury"-Trip. Bei paranoidem Klingeln und Kinderchören aus der Unterwelt sehnt man sich schnell nach einem neuen Hochgefühl. Bei einem Album ohne Ausfälle ist das natürlich kein Problem.

Neben Neptunes-Großtaten tragen die eigentlichen Protagonisten Malice und Pusha T zum kohärenten Meisterwerk bei. Mit einer unglaublichen Nonchalance nölen die Brüder ihre Geschichten runter, erzählen mal vom Struggle auf den Straßen, dann vom großen Los des großen Geldes. Man macht eben schon was mit als Kokain-Dealer. Clipse posen so selbstbewusst und eigenwillig, dass Kritik hier gar nicht auf den Tisch kommt. Nicht dass Kritik die Jungs überhaupt interessieren würde. Immerhin behaupten sie sich gegenüber den pop-orientierten Wünsche ihrer Plattenfirma so weit, dass sogar Boss Pharrell sein Falsett zu Hause lässt.

Zumindest fast: Für die Hook von "Hello New World" säuselt Pharrell versöhnliche Ghetto-Poesie, erschafft jedoch im Zusammenspiel mit einem treibenden Beat, Space-Geigen und Malice und Pusha T in Bestform einen meisterlichen Track, der das Kokain-Thema schließlich doch noch irgendwie relativiert: "I can't wait for the next N***a from my hood to say: "Lookout world I'm on my way!" Bei Clipse hat es geklappt.

Trackliste

  1. 1. We Got It For Cheap (Intro)
  2. 2. Momma I'm So Sorry
  3. 3. Mr. Me Too
  4. 4. Wamp Wamp (What It Do)
  5. 5. Ride Around Shining
  6. 6. Dirty Money
  7. 7. Hello New World
  8. 8. Keys Open Doors
  9. 9. Ain't Cha
  10. 10. Trill
  11. 11. Chinese New Year
  12. 12. Nightmares

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104 Kommentare, davon 76 auf Unterseiten

  • Vor 10 Jahren

    Rower hat es hier vor 6 Jahren bereits quasi vorausgesehn: Alex hat inzwischen die Juice uebernommen, gibt dort 'Hinterland' die vollen 6 Kronen und bezeichnet es noch als "rap". Aber egal: wann kommt denn jetzt endlich Pusha T-Rezi? Der Mann rappt sich da schier um den Verstand.

    Dass das hier mindestens das drittbeste coke rap-Album aller Zeiten ist: geschenkt. Der letzte echte moderne Klassiker, bevor dann 'Flockaveli' kam. Was mich interessieren wuerde: Sodhahn, Meinung 7 Jahre spaeter? :D

  • Vor 10 Jahren

    ich höre grad die neue Pusha t Platte. Ist schon was ganz anderes als dieser Neptunes Wahnsinn anno 2006.

  • Vor 3 Jahren

    Nightmares mit dem smoothen Gitarren/Orgel-Beat + Bilal-Hook ist so chillig ♥