laut.de-Kritik

Tanz die Bonner Republik.

Review von

Am Anfang war die Härte. Eine unglaubliche Härte. In den Geräuschen, in der Sprache, in den Bildern: Auf "Alles Ist Gut" ist das Schlagzeug so hart wie der Gesang, der Gesang so hart wie das Schlagzeug, genauso der elektronische Bass, genauso die Synthies. Und genauso das Bild der verschwitzten, nackten Oberkörper des kurzhaarigen Gabi Delgado-López auf der einen und Robert Görl auf der anderen Seite der Schallplattenhülle.

Die Musik gewordenen Geräusche auf dieser Platte klangen wie nichts vorher - und brachen mit so ziemlich jeder ungeschriebenen Popmusik-Regel: Der elektrische Bass wiederholt stoisch eine Tonabfolge, ebenso die spärlich eingesetzten Synthies. Robert Görl spielt ein zackiges, schnörkelloses Schlagzeug, nimmt fast ausschließlich Snare, Bassdrum und Toms her und verzichtet so gut wie komplett auf Hi Hat und Becken. Gabi Delgado bringt seine repetitiven und oft nur aus drei, vier Sätzen bestehenden Texte im Befehlston hervor.

Und nicht nur die Wörter, nicht nur die Bass- und Synthielines, auch die Songstrukturen an sich wiederholen sich, wiederholen sich und wiederholen sich nochmal. Seltsamerweise langweilt das aber nicht, vielleicht, weil das alles Sinn macht, angesichts der Härte und der Strenge des gesamten Sounds und des gesamten Konzepts von D.A.F. und "Alles Ist Gut".

Mit dieser Härte und Strenge erklärten D.A.F. der verkrampften Kuscheligkeit und dem verordneten Frohsinn der Bonner Republik anno 1981 den Krieg. Denn die reichte von Fernseh-Shows wie "Am laufenden Band" und "Dalli Dalli" bis zu Ralph-Siegel-Kompositionen wie "Dschingis Kahn" und Didi-Hallervorden-Blödelhits wie "Du, die Wanne ist voll" und bohrte sich tief in den Alltag hinein. D.A.F. hielten dagegen, mit Zeilen wie "Schwitzt meine Kinder / Schwitzt meine Kinder / Verbrennt euch die Hände / Kämpft um die Sonne" ("Sato-Sato") und einem genauso konfrontativen Sound. Das passte weder ins Samstagabend-Fernsehprogramm, noch in die Diskotheken.

Mit ihrer Härte und Strenge weckten D.A.F. aber auch unterdrückte Erinnerungen an ein ganz anderes Deutschland. Ein Deutschland, das noch gar nicht so lang besiegt war, und das Härte und Strenge zum Menschheitsideal erklärt hatte. Wer bei "Sato-Sato" ein mulmiges Gefühl bekam, machte bei "Der Mussolini" den Plattenspieler aus: "Geh in die Knie / Und klatsch in die Hände / Beweg deine Hüften / Und tanz den Mussolini", später kommt der Adolf Hitler noch dazu, der Jesus Christus und der Kommunismus. Nur wer die Musik und Texte von D.A.F. als Spiegel verstand, konnte das - dann aber mit absoluter Begeisterung - hören.

Beides - der Angriff auf den Frohsinn der BRD und die Erinnerung an die Härte des Dritten Reichs - steckten auch schon im Namen von D.A.F. - Deutsch-Amerikanische-Freundschaft, das klang damals nach Herankuscheln einer sich geläutert gebenden Republik an den Westen einerseits und nach aufgezwungenem Zweckbündnis eines geschwächten Deutschlands mit dem übermächtigen ehemaligen Feind andererseits.

Aber die Härte und Strenge war auch Ausdruck und Weiterentwicklung eines Kerngedankens von Punk. Und der hieß Reduktion, was wiederum vor allem bedeutete: Schluss mit bedeutungsschwangerer Pennälerpoetik, Schluss mit endlosen Gitarrensoli, Schluss mit der ganzen Hippie-Kacke. Schluss aber auch mit dem Angestellten-Rock von Fleetwood Mac bis Supertramp, von BAP bis (okay, dem etwas späteren) Udo Lindenberg.

D.A.F. waren ein Kind der jungen und noch sehr offenen Szene des von Jürgen Teipel im Standardwerk "Verschwende deine Jugend" nicht ganz zu unrecht zur deutschen Punk-Hauptstadt gemachten Düsseldorf. Vom Wuppertaler Kulturzentrum Die Börse zog es sie bald in die Nachbarstadt, an den Tresen und auf die Bühne des Szenetreffs und Konzentrationspunkts Ratinger Hof.

Dort hingen sie mit den Fehlfarben-Vorgängerbands Mittagspause und Charley's Girls ab, mit der Toten Hosen-Vorgängerband ZK, mit Male und S.Y.P.H und wie sie alle hießen - und spielten sogar teilweise in dieser oder jener Band mit. Es waren kurze, aber umso intensivere Jahre, in der ein großer Teil der interessantesten Musik aus Deutschland entstand - und die mit der nurmehr zur schlechten Karikatur all dessen geronnenen Neuen Deutschen Welle von Nena bis Markus ein jähes Ende fanden.

Alle diese Bands und Zusammenschlüsse auf Zeit versuchten, neue, ungehörte Musik zu machen - ohne sich dabei in der Jamsession-Seligkeit oder im Muckertum von Kraut- bzw. Progrock zu verlieren. D.A.F. waren dabei im Vorteil - hatten sie mit Görl doch verbotenerweise einen am Konservatorium ausgebildeten Klassik- und Jazz-Musiker dabei.

Vielleicht auch deshalb zogen sie das Punk-Programm auf ihre Weise am konsequentesten durch: Auf "Alles Ist Gut" gibt es keine Gitarre mehr, wie noch beim ersten, Formfindungs-Skizzen-Album "Ein Produkt der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft" (1979). Es gibt auch kein Saxofon mehr, wie noch beim zweiten, Krautrock-als-Punk-Album "Die Kleinen und die Bösen" (1980). Und es findet sich nur noch das Nötigste an Synthesizern. D.A.F. fahren ihren Vorrat an Möglichkeiten auf ein absolutes Minimum herunter.

Diese Reduktion auf das Nötigste war aber nur halb bewusste Entscheidung: Denn auch die ursprünglich fünfköpfige Band war bei Album Nummer drei auf den Kern geschrumpft. Schon nach dem Debüt verließ Kurt "Pyrolator" Dahlke die Band in Richtung Fehlfarben und Der Plan; Chrislo Haas übernahm seinen Posten am Synthesizer. Bassist Michael Kemner stieg aus, als D.A.F. in London den großen Durchbruch probten. Das gelang mit "Die Kleinen und die Bösen". Nach einer England-Tour, bei der die Band unter anderem im Vorprogramm von Wire auftrat, drängten Delgado und Görl schließlich aber auch noch Haas und Gitarrist Wolfgang Spelmanns aus der Band.

Die zum Duo geschrumpfte Band fand mit "Alles Ist Gut" zu ihrer Höchstform – die sie auch für die zwei nächsten Alben "Gold und Liebe" und "Für Immer" halten sollte. Und sie hatte einen erschreckend zukünftigen Sound entwickelt, der zunächst als Electronic Body Music eine kurze Karriere machen sollte und der später bei der Geburt von Techno, speziell bei dessen härterer Detroiter Spielart, eine wichtige Rolle spielen sollte.

Trotz – oder wegen – der Strenge, der Reduktion und der Repetition sind die Songs auf "Alles Ist Gut" aber auch Musik von und für Körper. Das Body in Electronic Body Music hat seine Berechtigung: Denn einerseits lässt sich zumindest zu den schnelleren Stücken wie "Der Mussolini" oder "Als Wär's Das Letzte Mal" äußerst gut tanzen – und mit einigen Verrenkungen und Zuckungen auch zu den restlichen.

Andererseits äußert sich im Gesang und im Gesungenen von Delgado ein unglaubliches körperliches Verlangen, fast als würde er mit seinem Befehlston nur schwer hetero- wie homoerotische Begierden unterdrücken können. Am deutlichsten homoerotisch wirds natürlich im heimlichen Hit "Der Räuber Und Der Prinz". Aber auch mit einem stets an der Körperoberfläche kleben bleibenden Liebeslied wie "Mein Herz Macht Bum" scheint Delgado nicht nur das andere Geschlecht zu meinen.

Genauso verzweifelt und nur mit Mühe scheint er faschistische und deutsche Begierden zurückhalten zu wollen: "Unsere Kleidung ist so schwarz / Unsere Stiefel sind so schwarz / Links den roten Blitz / Rechts den schwarzen Stern." ("Alle Gegen Alle") Klar, nichts verweist hier konkret auf den Nationalsozialismus. Aber vieles klingt nach Totalitarismus, nach Uniform und Körperkult, nach roher Gewalt und edlem Kampf. Da wundert es nicht, dass sich diese Begierden schon auf dem Cover finden: Im Schweiß, der den beiden nackten Oberkörpern herunterrinnt, in den gestählten, jungen Männerkörpern.

Diese unterdrückten Begierden spiegelten die nervöse Paranoia in der BRD. Eine Paranoia, die die graue Geschäftigkeit der Städte, die biedere Gemütlichkeit der Wohnzimmer und der fahle Glanz der Fernsehgalas nur schwer verdecken konnten. Unter den Menschen der Bonner Republik lebten noch jede Menge Nazis, unter der Fröhlickeit und Weltoffenheit schlummerten noch immer rassistische Vorurteile und heimliche Weltmachtsträume. Über all dem schwebte die zudem Angst vor einem Dritten Weltkrieg und vor der Bombe. D.A.F. schafften es mit "Alles Ist Gut", all das in schauderhafte, aber unwiderstehliche Tanzmusik zu verwandeln.

Tanzmusik, die auch heute noch ziemlich frisch klingt - und immer noch ein wenig schauderhaft. Tanzmusik, die in ihrer Radikalität und Kompromisslosigkeit und in ihrer Stringenz heute vielmehr ihresgleichen sucht. Tanzmusik nicht zuletzt, die ganz und gar zeitgenössisch und dabei ihrer Zeit ungeheuer weit voraus war. Es wird sich zeigen, ob jemals wieder ein so hartes, strenges Album erscheint - zu dem man auch so hervorragend tanzen kann.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Sato-Sato
  2. 2. Der Mussolini
  3. 3. Rote Lippen
  4. 4. Mein Herz Macht Bum
  5. 5. Der Räuber Und Der Prinz
  6. 6. Ich Und Die Wirklichkeit
  7. 7. Als Wär's Das Letzte Mal
  8. 8. Verlier Nicht Den Kopf
  9. 9. Alle Gegen Alle
  10. 10. Alles Ist Gut

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11 Kommentare mit 50 Antworten

  • Vor 8 Jahren

    Es war für uns damals in der Schulzeit ein völlig neuer Sound. Diese monotonen programmierten Bässe mit dem gehetzen Sprechgesang. Das war Punk goes Elektro. Viele Synth-Pop Bands haben sich davon inspirieren lassen. Aber musikalisch gäbe es da sicher Besseres aus der Zeit, was auch 5 Sterne verdient hätte. Aber witzig war schon ^_^! "Unsere Kleider sind so schwarz...Alle gegen Alle"!

  • Vor 4 Jahren

    Der Autor der Review bringt es ja auf den Punkt. Es geht hier bei der Platte weniger um Musikalität als um Ausdruck, Kraft aber auch Verzweiflung, mit einer Radikalität, die nötig war u dies in dieser Intensität rüber zu bringen. Es spiegelte ja genau die Sehnsüchte und Ängste, die damals brodelten. Ein politisches Album und ein Kunstwerk, dass von Unterdrückung handelt und von vielen als plumpe Party Musik angetan wird. Ich finde man kann Parallelen zu Throbbing Gristle - 20 Jazz Funk Greats ziehen.

  • Vor 11 Monaten

    Danke für diese fantastische Beschreibung. Ich hatte DAF live im Rockpalast Hohenlimburg gesehen, da war ich 16 und hatte mich von meinem Vater hinfahren lassen. Das Konzert hat bei mir zu 100 Prozent so gewirkt, wie es in der Rezension beschrieben ist. Minimalistisch, reduziert, aber mit einer ungeheuerlichen Kraft gegen der unerträglichen Biederkeit der damaligen Zeit. Ich habe danach meine Jugend verschwendet, den Mussolini getanzt und mein Herz macht bis heute BUM.