laut.de-Kritik

Die kompromisslose Erotik der Aggression.

Review von

Die Deftones sind und waren mitnichten die Schrittmacher des grässlichen Phänomens Nu Metal. Sie sind eine Band mit distinktiver künstlerischer Ausdrucksweise, die kein verzweifeltes Haareraufen in Videoclips braucht, kein Image, um sich besser zu vermarkten und keine armseligen Raps zwischen den Refrains.

Dabei funktioniert ihr musikalischer Ansatz wie ein Teilchenbeschleuniger, in dem zwei bekannte Elemente mit großer Wucht aufeinanderprallen und etwas sichtbar machen, das mehr als die Summe seiner Teile ist. Wenn schroffe, trockene Metalaggression und sehnsüchtiger Dreampop auf weit ausholenden Flächen zusammenknallen, entsteht im Kern die faszinierend schwirrende Energie, die den ungebrochenen Reiz der Deftones ausmacht.

Nachdem offen ist, ob der paralysierte Bassist Chi Cheng nach seinem schweren Autounfall vor eineinhalb Jahren jemals wieder einen Ton spielen wird, hat die Band 2010 mit dem ungeplanten Album "Diamond Eyes" eine ziemlich irre Geschichte über freigesetzte Energie zu erzählen. Die noch mit Chi aufgenommene, fast fertige Platte "Eros" kam vorerst zu den Akten, zugunsten eines Neustarts.

Nur sechs Monate später ist ein neues Album im Kasten – aus dem Stand zusammengerührt mit den Gedanken beim gefallenen Bandbuddy, Sergio Vega von Quicksand als veritable Aushilfe am Bass und dem stimmigsten Konzept seit dem weißen Pferd. Nach einem unausgegorenen selbstbetitelten Nachfolger zum Überalbum "White Pony" und dem etwas angestrengten "Saturday Night Wrist" scheint es nun, als sei das Gefüge trotz Schock gestärkt und geschlossen aus der Tragödie hervorgegangen.

"Ich wollte nicht wie ein Opfer rüberkommen – alles, nur kein trauriges Album servieren", erläutert Chino Moreno den Anspruch an sich selbst. An sein Publikum bringt der Sänger diese Ambition einerseits in kanalisiert brachialen Brettern, hart und elektrisierend: "Prince" beginnt in klassischer Deftones-Manier mit latent bedrohlich brodelndem Bass, hypernervösem rhythmischen Unterbau und liegt irgendwo zwischen "Digital Bath" und "RX Queen", um dann haushohe Riffwände aufzutürmen. Und die Vorab-Single "Rocket Skates" wütet, grollt und faucht wie zu alten "Around The Fur"-Zeiten – nur präziser gespielt.

Andererseits sind auf "Diamond Eyes" die wirklichen Perlen in den harmonischen Zwischentönen zu finden, was nicht bedeutet, dass die Band ihre Wucht eingebüßt hätte. Im Gegenteil, die Platte als Ganzes ist ein kühnes und unerschrockenes Album - lebensbejahend auf den zweiten Blick.

Etwa das rotzig synkopierte "CMND/CTRL", das sich breitbeinig in den Weg stellt und verkündet: "I switch commands – just because I can!" oder die leicht verschleppte Bluesigkeit von "You've Seen The Butcher". Oder die zweifellos erhebende Atmosphäre von "Risk", das trotz aller Bildhaftigkeit als Appell und Versicherung für Chi daherkommt: "I'm right here, just come outside and see it".

Das Verhältnis von schweren Gitarren und besungener Liebe war schon immer ein angespanntes. Chino Moreno löst diesen Konflikt, indem er sich thematisch den verschwommenen Grenzgebieten von Sex und Gewalt widmet. Kartographisch erkundet der Frontman mit der ungewöhnlichen Stimme Spannungen in düsteren Ecken und stellt sie in immer poetischeren, vagen Bildern dar. Es ist eben wirklich keine Selbstverständlichkeit, nach 22 Bandjahren unpeinliche Texte wie im hochmelodisch sirrenden "Beauty School" zu schreiben und den eigenen, fließenden Stil so weit entwickelt zu haben, dass das Material immer noch taufrisch klingt. Und trotzdem gilt wie bisher: einen Deftones-Song erkennt jeder Depp nach wenigen Takten.

Wobei insbesondere für die instrumentale Leistung von Gitarrist Steven Carpenter und Frank Delgado der Hut gelüpft werden muss. Letzterer zeichnet sich durch eine subtile Produktion und Ambient-Untermalung aus, die sich nie 90er-mäßig aufdrängt, sondern den Bandsound wie eine zarte Hülle zusammenhält und gleichzeitig vor Metal-Muffigkeit schützt. Meshuggah-Fan Carpenter dagegen hat viel Platz zum Arbeiten bekommen und spielt in enormer Varianz mit einer angeschraubten achten Seite.

Ein würdiges sechstes Album voller guter Nachrichten, das am Hörer wächst und die Deftones auf ihre Essenzen herunterkocht: Die kompromisslose Erotik der Aggression, hübsch verschnürt in einer knappen Stunde Seufzen und Brettern. Chino Moreno klingt übrigens super und sieht auch nicht mehr aus wie ein Germknödel. Und das Tollste: Wenn wir von diesem Album genug haben, gibt’s direkt das nächste hinterher.

Trackliste

  1. 1. Diamond Eyes
  2. 2. Royal
  3. 3. CMND/CTRL
  4. 4. You've Seen The Butcher
  5. 5. Beauty School
  6. 6. Prince
  7. 7. Rocket Skates
  8. 8. Sextape
  9. 9. Risk
  10. 10. 976-EVIL
  11. 11. This Place Is Death

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18 Kommentare

  • Vor 13 Jahren

    Viel Lob in der Review, warum dann "nur" 4 Sterne?

  • Vor 13 Jahren

    Das Album hat definitiv 5 verdient, in dem Review kann ich sonst auch nur positives finden?

    Und warum wird Nu Metal wieder als "grässliche[s] Phänomen" beschrieben und danach erzählt wie wunderbar die Deftones (dieses Phänomens) doch sind? Schraubt mal die Bretter von der Stirn, Laut.de . In jedem Genre gibt es viel Schrott, aber genau bei diesem Review zeigt sich doch wieder, dass ihr erstmal das Vorurteil rausposaunen müsst, um dann festzustellen was für "Diamanten" das Genre doch bietet ;)

  • Vor 13 Jahren

    "armseligen Raps zwischen den Refrains" - schonmal "Broke" von (hed) Planet Earth gehört, ihr Vögel? Allein schon eine Review zu beginnen, indem man erstmal schön auf dem Genre rumtrampelt, ist ziemlich dämlich. Natürlich gibts im Nu Metal viel Schrott, aber das ist in anderen Genres nicht anders.

    Das Album an sich ist aber wirklich fett, da kann man der Review voll und ganz zustimmen.

  • Vor 13 Jahren

    Immer dieses "beste Album" generve. Alle Alben sind eine kontinuierliche Weiterentwicklung. Bis auf SNW..das war ein Schritt nach "links" und nicht besser oder schlechter. Das hier ist wieder mehr die "alten" Deftones...und btw, das Selftitled Album hat solche krassen Perlen. Rauher war Deftones noch nie!

  • Vor 13 Jahren

    Die Scheibe ist sehr fein geworden, es macht Spaß, sie zu hören und jedesmal entdecke ich neue Kleiigkeiten. Im Gesamtbild betrachtet fällt der erste Song jedoch dadurch besonders auf, das er entweder gesondert gemischt und/oder gemastert wurde, denn er ist lauter und direkter und frischer als der Rest des Albums mit Ausnahme von Rockt Skates.

  • Vor 13 Jahren

    Ein exzellentes Album. Energiegeladen, vielschichtig, durchdacht, Deftones. Ganz klar: 5/5