laut.de-Kritik

Ein locker aus der Hüfte geschossenes Spätwerk.

Review von

Nachdem bereits das eine Dickschiff des Deutschpunk sein neuestes Oeuvre unters Volk brachte, legt das andere heuer nach.

Die Düsseldorfer biegen immer mehr in Richtung Spätwerk ab, was man auch gut an den behandelten Themen auf "Ballast Der Republik" ausmachen kann. Aber nicht nur dort, denn auch die Covergestaltung bietet ein Sammelsurium aus vergangenen Tagen. Jene der Hosen und jene von Deutschland. Am nationalen Thema haben sich Campino und Co. jahrelang abgearbeitet und lassen in 16 Songs ihre Sicht des Erlebten Revue passieren.

Der Einstieg leitet dabei auf eine falsche Fährte. "Drei Kreuze (Dass Wir Hier Sind)" ufert mit Streichern in ein Soundtrack-Ungetüm aus, das schon Schlimmes befürchten lässt, ehe sich dann doch alles zum Guten wendet. Zu Beginn des Titeltracks werden Assoziationen mit der Akustikgitarren-Wand der Gipsy Kings wach, aber dann knallts doch noch schön und die Post geht ab.

In zweieinhalb Minuten fegen die Hosen alle Bedenken beiseite, die mit der Vorab-Single "Tage Wie Diese" aufkamen. Der furchtbar blutleere Auftritt bei der Echo-Verleihung unterstrich nur den musikalisch banalen Song. U2-Gitarren und Schlagermelodien begleiten eine Hosen-Refrain? Da tun sich Abgründe auf, in die man nicht weiter blicken mag. Dabei liest sich der Text wie eine wunderschön pathetische Hommage an die Schönheit des Augenblicks und den vergeblichen Versuch des Festhaltens von Glücksmomenten. Freilich mit einer Träne im Knopfloch.

Wesentlich druckvoller im Uptempo knattert dann "Traurig Einen Sommer Lang" um die Ecke, in dem Campino das vorzeitige Ableben einiger Idole thematisiert. Bevor jedoch allzu große Traurigkeit aufkommt, erklingt die Zeile "... und ich weiß noch ganz genau, wie traurig wir alle warn, als Rex Gildo '99 aus seinem Fenster sprang - Hossa!"

Die Gefahr bei derlei Vergangenheitsbewältigung liegt darin, dass man ins Weinerliche abdriftet und früher alles besser fand. Oder man klingt wie ein singender alter Furz, macht sich so unbeabsichtigt zum Horst und betet Muster von vor 20 Jahren runter, die heute nurmehr peinlich wirken. Eine gehörige Portion Augenzwinkern ist gerade deshalb wichtig.

Dennoch kommen auch tiefgründige Momente nicht zu kurz. "Europa" behandelt das Drama von Flüchtlingen, die den Kontinent per Boot erreichen wollen. Mit stampfendem Rhythmus und kräftig angeschlagenem Klavier mutet es fast wie ein parolenhaftes Arbeiterlied an. Großes Kino. Es geht aber noch eine Spur trauriger. "Draußen Vor Der Tür", eine Ode an den verstorbenen Vater, knüpft atmosphärisch nahtlos an "Nur Zu Besuch" an. Der Song hat das Potenzial, zu einem Klassiker der Band zu reifen. Wenn Campinos Stimme klingt wie kurz vor dem Einsturz, dürfte wohl jeder einen ganz großen Kloß im Hals runterschlucken.

Neben der Single fällt noch "Das Ist Der Moment" ab, das im Refrain klingt wie Julis "Perfekte Welle", aber wozu gibts die Skip-Taste? Die kommt nämlich im weiteren Verlauf nicht mehr zum Einsatz. Zwar präsentieren uns die Hosen keinen Übersong mehr, haben aber mit "Ballast Der Republik" ein überaus kurzweiliges Werk erschaffen, das ganz zwanglos klingt und so anmutet, als habe es die Band nicht sonderlich viele Seelenqualen gekostet. Wenn das Spätwerk weiter so locker aus der Hüfte klingt, dürfen die Düsseldorfer so lange weitermachen, wie sie wollen. Meinen Segen haben sie.

Trackliste

  1. 1. Drei Kreuze (Dass Wir Hier Sind)
  2. 2. Ballast Der Republik
  3. 3. Tage Wie Diese
  4. 4. Traurig Einen Sommer Lang
  5. 5. Altes Fieber
  6. 6. Zwei Drittel Liebe
  7. 7. Europa
  8. 8. Reiß Dich Los
  9. 9. Drei Worte
  10. 10. Schade, Wie Kann Das Passieren?
  11. 11. Draußen Vor Der Tür
  12. 12. Das Ist Der Moment
  13. 13. Ein Guter Tag Zum Fliegen
  14. 14. Oberhausen
  15. 15. Alles Hat Seinen Grund
  16. 16. Vogelfrei

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