laut.de-Kritik

Gehirn abschalten und Schuhe aus beim Tanzen.

Review von

"Warum spielen so wenig Frauen in Bands?", fragt der Musikexpress jeden Monat auf der letzten Seite in der Rubrik "Das Letzte Wort". Gut gefragt. Und gar nicht so leicht zu beantworten. Sie könnens nämlich.

Wer dachte, Judith Holofernes sei hierzulande die große Ausnahme, der es gelingt, kluge Ideen spielerisch gut in deutschen Texten zu verarbeiten, darf sich eines Besseren belehren lassen.

Dota Kehr kennt die deutsch Sprache, so sehr, dass man meinen könnte, ihre Eltern hätten ihr zum Einschlafen früher aus dem Duden vorgelesen. Oder sie sei als kleines Kind in einen Topf Buchstabensuppe gefallen. Denn mit Patriotismus kann die Liebe zur deutschen Sprache nichts zu tun haben: Kehr fällt vieles ein, was hierzulande schief läuft. Sie scheint vielmehr "voller Fernweh" - wie das Ohrsteckermädchen im gleichnamigen Song.

Neben unpeinlichen, weil kitschfreien Liebesliedern finden sich auch Sozialkritik und politische Themen auf "Bis Auf Den Grund". "Ich erkläre meine Steuer, doch sie erklärt sich mir nicht / In Brüssel sitzt ein Ungeheuer, das in Rätseln zu mir spricht", singt Kehr in "Utopie".

Und: "Ich habe viel zu viel Ärger und viel zu wenig Wut". "Es geht nicht um ein Stück vom Kuchen, es geht um die ganze Bäckerei": Die Parole aus demselben Song ist - in leicht abgewandelter Form - einer Brücke im Berliner Stadtteil Schöneberg entliehen.

Auch jede einzelne Note des Albums klingt weltoffen, mal nach Nahem Osten, mal nach Südseeurlaub, aber nie deutsch. Wer sich fragt, woher die stilistische Vielfalt kommt, die die Stadtpiraten an den Tag legen, muss nur einen Blick in Kehrs Lebenslauf werfen.

Vor den Stadtpiraten zog sie als Straßenmusikerin durch die Welt. 2006 lädt das Goethe-Institut sie nach Russland, drei Jahre später nach Neuseeland ein, dazwischen erscheint auf dem Label des brasilianischen Musikers Chico César eine Compilation der Band.

"Im Glashaus" klingt mit Trompeten und Off-Beat nach Balkan-Pop, "Utopie" groovt dank des Bassisten Leon Schurz. Oben erwähntes "Ohrsteckermädchen" überzeugt mit einem unheimlich catchy Keyboard-Riff und einer charmant-erzählten, aber eigentlich nachdenklichen, fast traurigen Geschichte.

"Containerhafen" war auf dem 2004 erschienen "Taschentöne – Live" zwar irgendwie fetziger, überzeugt aber durch entspanntes Südsee-Flair. Der Rest ist eine Mischung aus Lagerfeuer-Gitarre und Liedermacher-Pop, Chanson, Bossa Nova, Reggae und ist zuweilen jazzig angehaucht. "Zu Nah Am Boden" weckt zudem Erinnerungen an Wir Sind Helden. Weitere Referenzen zu zitieren, fällt aufgrund der Vielseitigkeit und Originalität schwer.

"Bis Auf Den Grund" ist der mittlerweile achte Longplayer einer Band, die trotz zahlreicher Tourneen durch ganz Deutschland nie den Weg in eine breite Öffentlichkeit gefunden hat. Aber das ist gut so, denn da gehört sie auch gar nicht hin.

Wer aber gerne deutschsprachige Musik hört, ohne dabei das Gehirn abschalten zu müssen, und wer beim Tanzen gerne mal die Schuhe auszieht, der sollte in das bislang beste Album der Berliner Band unbedingt rein hören.

Trackliste

  1. 1. Transparent
  2. 2. Utopie
  3. 3. Ohrsteckermädchen
  4. 4. Erschlossenes Land
  5. 5. Zu Nah Am Boden
  6. 6. Im Glashaus
  7. 7. Das Leben
  8. 8. Inflationär
  9. 9. Tempomat
  10. 10. In Meinen Träumen
  11. 11. Zuhause
  12. 12. Containerhafen

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