laut.de-Kritik

Eine aufwühlende Reise, düster und ohne Grenzen.

Review von

Mit Kollaborationen ist das so eine Sache. Im laut.de-Interview äußert sich der ehemalige Kraftwerk-Musiker Karl Bartos dementsprechend skeptisch. "Wenn ein Musiker erfolgreich ist, dann braucht er das nicht. Kollaborationen, die gut waren, haben sich die Künstler nicht überlegt, sondern die Plattenfirmen. Da sitzt dann Irgendeiner im Verlag oder in der Chefetage von so einer Plattenfirma und denkt: 'Wen können wir nehmen, was können wir denn jetzt mal machen und zusammenstopfen?' Da wird dann Lou Reed zusammen gestellt mit Metallica, und das ist alles scheiße. Aber der hat das nur gemacht, weil er da Kohle für gesehen hat. Er hat doch keinen Bock, ernsthaft mit Metallica zu arbeiten. Es ist einfach nur ein Geschäft. Meistens ist der Vater des Gedankens der wirtschaftliche Ansatz und nicht der künstlerische."

Ein eher desillusionierender Keim für das Zusammentreffen von Elvis Costello und The Roots namens "Wise Up Ghost". Schließlich leben beide auf den ersten Blick auf ähnlich weit entfernten Planeten wie Metallica und Lou Reed auf dem gescheiterten "Lulu". Doch anstatt sich auf ein krampfhaft künstliches Gebilde zu stürzen, einigen sich die Musiker als erstes auf den Herzschlag ihres Longplayers. Ein düsterer Groove, über dem sie sich alle erdenklichen Freiheiten gönnen.

Laut Legendenbildung beruht ihre Zusammenarbeit auf einem gemeinsamen Auftritt in der Jimmy Fallon Show, in der The Roots den Moderator seit 2009 als Hausband unterstützen. Doch eigentlich bildet sie nur die logische Konsequenz aus dem bisherigen Arbeiten des Londoner Hunzelmännchens mit Brille und der allgegenwärtigen Hip Hop- und Neo-Soul-Crew. Die Liste der Musiker, mit denen beide bereits zusammen gearbeitet haben, ist lang. John Legend ("Wake Up!"), Paul McCartney, Betty Wright, Burt Bacharach, Erykah Badu, das Brodsky Quartet, Allen Toussaint, Nelly Furtado und viele, viele mehr. Früher oder später mussten sich die Wege von The Roots und dem einzig wahren Elvis einfach kreuzen.

Costello beansprucht den Platz am Mikro und der Feder ganz für sich allein. Er singt von Verrat, Machtmissbrauch, dunkler Begierde und zerschmetterten Idealen. "Wake Me Up" kombiniert seinen "Bedlam"-Text mit dem von "The River In Reverse", während er in "Stick Out Your Tongue" immer wieder "Pills And Soap" zitiert. Black Thought muss zu Hause bleiben und mit Opal Trotter spielen. The Roots, allen voran ?uestlove, zeichnen sich ausschließlich für den Sound der Platte zuständig.

Der hat es aber mit seinen Anleihen an den Funk der 1970er (Curtis Mayfield, Isaac Hayes), 2-tone (The Specials, The Clashs "Sandinista") und dem frühen Costello selbst in sich. "Es ist eine launische, grüblerische Angelegenheit geworden, mit kathartischen Rhythmen und dissonanten Wiegenliedern", schwärmt ?uestlove.

"And we’ll stand in the light of your new killing ground and we won’t make a sound." Mit Mark Kelleys pulsierendem Dub-Bass, Ahmirs hart angeschlagenener Snare und dem an den zähneklappernden Ghost Town-Ska der Specials erinnernden Background legt der Opener "Walk Us Uptown" die Latte schwindelerregend hoch. Kein Problem für "Refuse To Be Saved", das selbige ohne auch nur Anlauf zu nehmen überspringt. Ein dreckiges Funk-Monster, dessen Superstition-Keyboards lautstark gegen Bläser, Gitarren und einem Streicher-Outro, das wie für einen neuen Godzilla-Film gemacht scheint, Front beziehen. Trotzdem vergisst der Track niemals seinen wütenden Hauptdarsteller und bietet genug Platz für Costello. "There's no name for the pain I will cause you again and again."

"Cinco Minutos Con Vos", in dem die La Santa Cecilia-Sängerin La Marisoul das Team ergänzt, fröstelt Angst einflößend durch die Nacht. Im Unheil verkündenden "Come The Meantimes" suhlt sich Mayfield neben Timbaland und einer überlauten Rezeptionsglocke. Bing.

Mit "If I Could Believe" und "Tripwire", das auf einem Sample von Costellos "Satellite" basiert, finden zudem typische herzzerreißende Costello-Schunkelballaden ihren Weg auf "Wise Up Ghost". Kitsch funktioniert am Besten, wenn er in einem Moment des Gegensatzes auftritt. Doch mit dem siedenden Einsatz der Roots könnte Costello auch den "Kitty Song" singen und es würde ordentlich Rabatz machen. "Soft kitty, warm kitty / Little ball of fur / Happy kitty, sleepy kitty / Purr purr purr."

Von zwei gegenüberliegenden Orten machen sich die Organic Hip Hopper The Roots und der geifernde Costello auf den Weg auf eine aufwühlende Reise, deren Wege noch nicht endgültig vermessen sind. "Wise Up Ghost" mag nicht das beste Roots-Abum sein. Gleichzeitig treibt der dynamische Rahmen Elvis Costello, der sich von seinem gemütlichen Altenteil erhebt, zu seiner fokussiertesten und gegenwärtigsten Arbeit seit Jahren.

Am Ende steht nicht mehr die Frage, warum diese Kollaboration zustande kam im Zentrum des Interesses. Viel mehr rückt das Cover mit seinem Vermerk "Number One" und die mit ihm einhergehende Hoffnung auf baldigen Nachschub in den Mittelpunkt.

Trackliste

  1. 1. Walk Us Uptown
  2. 2. Sugar Won't Work
  3. 3. Refuse To Be Saved
  4. 4. Wake Me Up
  5. 5. Tripwire
  6. 6. Stick Out Your Tongue
  7. 7. Come The Meantimes
  8. 8. (She Might Be A) Grenade
  9. 9. Cinco Minutos Con Vos
  10. 10. Viceroy's Row
  11. 11. Wise Up Ghost
  12. 12. If I Could Believe

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7 Kommentare mit 16 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    Viel zu lang für eine Kritik, wer liest sich das denn heute noch durch? Titel für Titel Kritiken sind leider hoffnungslos altbacken.

    Der kleine grüne Kaktus

    • Vor 10 Jahren

      Das sind unter 5000 Zeichen, aber dir schon zu lang. Was los? Generation Twitter oder wat?

    • Vor 10 Jahren

      Und ich finde gerade Titel-für-Titel-Krtiken gut und spannend ... und dann die Kritik lesen und nebenbei das Album hören.

    • Vor 10 Jahren

      Modell "Titel für Titel" ist oft etwas ungelenk, aber es hat auch seine Vorteile, ja.

    • Vor 10 Jahren

      Zum besseren Verständnis würde ich mich gerade über etwas Hilfe freuen. Titel für Titel würde für mich bedeuten, dass hier jeder Titel der Reihenfolge nach durchgegangen wird. In der Kritik wird aber nur durcheinander auf die Hälfte der Songs eingegangen. Ist das dann immer noch Titel für Titel?

    • Vor 10 Jahren

      Wem so ne Kritik zu lang ist... Das ist ja unglaublich. Je länger, desto besser, desto genauer kann der Rezensent auf das Album eingehen. Viel mehr hass ich oberflächliche Rezensionen, die viel zu kurz geraten sind und viel zu wenig Information geben. Aber viel schlimmer find ich noch, dass der Text beim besten Willen nicht übermäßig lang ist. Das sind grad mal 800 Wörter, da war ja meine Deutsch-Matura länger. Das mit der Twitter-Generation wird schon hinkommen, echt traurig, dass manche Menschen schon zu faul geworden sind zu lesen und dann lächerlicherweise dann so eine Menge als zu groß empfinden...

    • Vor 10 Jahren

      @wildfang: äh, ja. @Menschenfeind (bezeichnend?): äh, auch ja. @schnuddel: ungelenk, genau. ein guter rezensent muss in der lage sein, ein album in vier, fünf gekonnten sätzen zu besprechen, leute. und das will wirklich gekonnt sein. mir gelingt das nicht, wie man sieht.

    • Vor 10 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 10 Jahren

      Bravo, Sven. Genau so. Qualität statt Quantität. Und in der Tat: Lieber mehr kurze Kritiken als wenige lange. Z.B. über die neue MGMT. Frisch an Werk: Mach mich fertig. :-)

      PS: Die neue Version gefällt mir tatsächlich besser.

    • Vor 10 Jahren

      "lieber mehr kurze kritiken als wenige lange" ist so ziemlich das todesurteil für brauchbaren musikjournalismus. deine häppchen kannst du dir auch in jeder amazon-nutzerkritik abholen.

      mir persönlich würden kürzere kritiken reichen, aber ich glaube, die deutliche mehrheit möchte des gerne ausführlicher und detaillierter.

    • Vor 10 Jahren

      man ist auch entertainer und berichterstatter...beschreiben in fünf sätzen ginge sicherlich...anfixen in fünf sätzen....eher nicht.

    • Vor 10 Jahren

      es ist sicherlich alles eine zeitfrage. ich höre lieber neue musik als dass ich über sie lese. und dafür reicht mir oft das kurze itunes reinhören, gebe ich gerne zu. ich lese beruflich schon dermaßen viel, dass ich mich über alles freue, was kurz und kanpp ist. Und vor allen dingen auf den punkt kommt. also nix für ungut. ich wollte auch gar nicht stören. :-)

    • Vor 10 Jahren

      macht ja nix. ich glaube, da bist du eher "special interest". die meisten leser wollen unterhalten und informiert werden. es soll ja spaß machen. das hier sind ja keine börsennachrichten. die einen regen sich über verrisse genüßlich auf. die anderen erfreuen sich daran. usw....

    • Vor 10 Jahren

      ...ich versteh ja beide Meinungen aber mal ganz allgemein zu negativer Kritik auf Webseiten usw.
      So was wie Kritik einer Website gegenüber soll und kann es eigentlich gar nicht geben. Jeder der sich auf der Website aufhält, macht das freiwillig und sonst "bye bye". Diskutiert doch über das Album und sicher nicht die Review an sich...da laut.de sich mit Musik beschäftigt ist das eigentlich nicht so weit hergeholt :-)

      Eine Ausnahme für Kritik gibt es...konstruktiv und gut gemeint. Da sich die Aussage von kaktus aber weder durch Hilfsbereitschaft auszeichnet noch als böser Angriff auf laut.de Rezensionen werten lässt (sprich er hat ja bloss seine Meinung gesagt), ist das eine typische, unnötige hin und her Diskussion zwischen Meinungen die weder mit Mr. Costello noch den Roots was zu tun haben. Leider. Mich interessieren die Kommentare der anderen Musikliebhaber zur Musik und nicht alles drum herum.
      Naja...aggressiv und beleidigend wie sonst über all ist diese Diskussion immerhin nicht geworden... auch gut! Denn wie schnell so was hetzutage ausartet ist echt amusänt, angesichts der belanglosen Themen und Ansichten.

  • Vor 10 Jahren

    Freu' dich doch über ein bisschen was zu lesen, kaktus!

    Mal jammern sie hier über zu knappe, hingeschmierte und ungenügend fundierte Kritiken, mal beschweren sie sich über altbackenes Übermaß.
    Recht kann man's hier niemandem machen.

    Mannomann, ich will kein laut-Rezensent sein.

  • Vor 10 Jahren

    Werde mal reinhören, auch wenn ich es schade finde, dass Black Thought nicht mitmacht.