laut.de-Kritik

Space-Oper für Kopfhörer.

Review von

Eigentlich sprach Steve Ellisons Großtante, die große Alice Coltrane, nur von einem "cosmic drama", als sie ihrem Neffen die eigene Weltanschauung erklärt. Dass dieser "cosmogramma" versteht - was das kosmische Gleichgewicht, das Verhältnis von Himmel und Hölle behandelt - passt zur Entstehung von Flying Lotus' drittem Album.

"Experimenteller Hip Hop", das ist bei Ellison absolut wörtlich zu nehmen. Mit einer schemenhaften Vision beginnt er die Arbeit an Tracks, deren Entwicklung und Ende er selbst häufig nicht ansatzweise ahnt.

Alles entsteht im Studio irgendwann aus einem bestimmten Vibe, einer kosmischen Eingebung. Langsam verdichtet sich dann der Plot verschiedener Songs bis zur Aussage eines gesamten, streng choreografierten Albums, dem kosmischen Drama.

"Cosmogramma" erscheint wieder auf Warp Records, der prestigeträchtigen Herberge Gleichgesinnter wie Aphex Twin oder Autechre. Für seine Mixtur aus J Dilla-Boombap-Hip Hop und Burial-eskem Dubstep in abstrakter Symbiose mit jedem erdenklichem Genre - insbesondere Jazz - stellt dieses Label die ideale Heimat für den Beatfrickler aus Los Angeles dar. Bereits der von den Kritikern bejubelte Vorgänger "Los Angeles" fand hier Obdach.

Die Space-Oper beginnt. 17 Tracks auf 50 Minuten. Dirigent Flying Lotus bittet zum ersten Akt. Verstörende 8-Bit-Computersounds münden in weiche Harfennoten. "Pickled" erwidert eine über einen klassischen Lotus-Shuffle Beat rauf und runter wabernde Bassline, die im Dubstep-Hoppler "Art" landet.

Zweiter Akt. "A Cosmic Drama", das eigentliche Intro. Sanft wie weicher Plüsch öffnet sich der in feiner Textur verflochtene Klangteppich Ellisons. Seinen immensen musikalischen Input findet man plötzlich in seiner ganzen Bandbreite vor sich. Das Wechselspiel aller in Beziehung stehender Instrumente bleibt dabei stets kontrolliert in den Händen des Orchestermeisters. Aufdrehend, abtauchend, sich ständig transformierend und unvorhersehbar entfaltend.

Das warme Gefühl, das der Sound auf "Cosmogramma" vermittelt, ist der Rekrutierung prominenter Jazz-Musiker zuzuschreiben. Sie übernahmen das Notenschreiben und Aufnehmen. So veredeln Saxophonist und Cousin Ravi Coltrane, Bass-Virtuose Thundercat, Harfen-Wunderkind Rebekah Raff oder Erykah Badu- und Outkast-Streicher Miguel Atwood-Ferguson den Longplayer.

"Cosmogramma" passt absolut zur musikalischen Persönlichkeit Flying Lotus', obwohl es doch so anders als seine Vorgänger klingt. Wenngleich es eine außerordentliche Klangbreite für sich beansprucht, wirkt das Album trotz alldem nie überladen. Die Sounds sind nie deplatziert, ganz gleich wie merkwürdig der Sample-Ursprung anmutet (Beispiel: Tischtennisbälle in "Galaxy In Janaki"). Aufgrund der unglaublichen Tiefe und Klangästhetik beschreibt Ellison das Album nicht umsonst als typische Kopfhörer-Platte.

Live-Einspielungen, nicht punktgenau auf das Taktraster gesetzt, runden das verworrene Dickicht ab. Vorausschaubare Patterns existieren nicht. Ein gerader 4/4-Takt über 60 Sekunden, dann plötzliches Hakenschlagen in Tempo oder Takt. Ständig herrscht eine Hollywood-artige Rückblenden-Mystik. Statt bloßem Anhören entsteht eine Art Hörerfahrung. Zarte Saxophone liegen über atmosphärischen Flächen. Vogelgezwitscher dringt durch fies wobbelnde Basslines.

Bevor sie zum finalen Akt schreitet, findet die Oper in "Do The Astral Plane" ihre Klimax. Vier Minuten voller Glückseligkeit, wunderschönen Strings, einer surrenden Synthline wie einem anschmiegsamen Disco-Beat. In "... And The World Laughs With You" trifft mit Radiohead Thom Yorke Free Jazz auf subtilen IDM-Sound.

Auch wenn die Musik von Flying Lotus in ständigem Fortschritt und konstanter Evolution lebt, so bleibt sie noch immer in der Szene geerdet, die Ellison quasi selbst begründete. Schwergängig an "Cosmogramma" gestaltet sich eventuell seine Zugänglichkeit. Komplexe Shuffle-Beats, kein längerer, halbmonotoner Groove, der dem wippenden Fuß beim Takthalten hilft. Alles andere als ein Minuspunkt! Das Album präsentiert eine solche Fülle, dass es mehrere Anläufe braucht, um es zu "verstehen".

"Ich arbeite jetzt mit weitaus mehr Instrumenten und viel mehr Leuten, vielen verschiedenen Texturen. Es wird wirklich das Ding, das ich schon am Anfang machen wollte. Endlich komme ich an den Punkt, an dem ich die Art von Platten machen kann, die ich machen will, die ich schon machen wollte, als ich jünger war, Dinge, von denen ich geträumt habe sie zu machen."

Trackliste

  1. 1. Clock Catcher
  2. 2. Pickled!
  3. 3. Nose Art
  4. 4. Intro//A Cosmic Drama
  5. 5. Zodiac Shit
  6. 6. Computer Face//Pure Being
  7. 7. ... And The World Laughs With You feat. Thom Yorke
  8. 8. Arkestry
  9. 9. Mmmhmm feat. Thundercat
  10. 10. Do The Astral Plane
  11. 11. Satellliiiiiteee
  12. 12. German Haircut
  13. 13. Recoiled
  14. 14. Dance Of The Pseudo Nymph
  15. 15. Drips//Auntie's Harp
  16. 16. Table Tennis feat. Laura Darlington
  17. 17. Galaxy In Janaki

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8 Kommentare

  • Vor 13 Jahren

    @Baudelaire (« Thom Yorke also, da weiss ich wenigstens, dass ich das Album guten Gewissens meiden kann. Vorgaenger hat mich nach 3-4x schon gelangweilt, eh egal dann. »):

    klaaar Thom Yorke macht bekanntlich ja nur schlechte Musik^^

  • Vor 13 Jahren

    Tolles Ding! Habs gestern gekauft und hörs seit dem schon zum 4 Mal. Erinnert mich ein bisschen an die Beats vom Anti-Pop Consortium, auch wenns ne vollkommen andere Musik ist, ist die "Soundästhetik" teilweise schon ähnlich!
    Trotzdem War Gonjasufi Besser ;)

  • Vor 12 Jahren

    wow, das ist wirklich nachhaltig eingeschlagen. auch nach einm Jahr läuts noch in regelmäßigen abständen. man hätte ruhig 5/5 geben können!