2. Mai 2016

"Deutschland ist noch sehr verklemmt"

Interview geführt von

Frauenarzt macht wieder genau das, wofür ihn die Berliner-Untergrund-Rap-Fans schon vor 15 Jahren feierten: Mütter ficken und großspurig aufdrehen. Auf Mallorca den "Disco Pogo" tanzen war gestern, heute holt sich King Kool Frauenarzt seine Underground-Krone zurück.

In einem Backsteingebäude im Berliner Süden lädt Frauenarzt zum Gespräch ein: auf dem Gelände einer Brauerei. Neben unzähligen Red-Bull-Sorten gibt der Kühlschrank im gemütlich eingerichteten Büro trotzdem nur noch echtes Kokoswasser in Dosen her. Frauenarzt fläzt lässig im Hoodie auf der Couch, schlürft die karibische Seltsamkeit und erzählt von der tags zuvor abgehaltenen Echo-Verleihung.

Du warst gestern beim Echo? Wie wars denn?

Joa, wie jedes Jahr.

Ich hätte nicht gedacht, dass dich das interessiert. Was hattest du dort verloren?

Naja, ich war eben eingeladen, über den Verlag. Ich gehe da nur wegen der After-Show-Party hin. Das ist ja kein Überraschungspreis, die Verkaufszahlen sind ja vorher schon klar. Ich habe mich zum Beispiel für die 187 Straßenbande gefreut, weil die zum ersten Mal beim Echo saßen. Aber ansonsten ist da ja schon sehr voraussehbar. Es ist trotzdem schön, mit seinen Kumpels da abzuhängen.

Das ist ja so langweilig in diesem Saal, so schnieke und irgendwie verklemmt. Man muss schon Industrie-Fan sein, um sich das da allen Ernstes reinzuziehen. Deshalb gucken wir uns das immer in der Viewing-Lounge an. Das ist ganz geil da, weil man bisschen was trinken kann, 'ne Kleinigkeit zu snacken bekommt und man sich dann ganz entspannt die Verleihung anschauen kann.

Warum ich hingegangen bin? Nun, ich bin ja nicht nur Künstler, sondern auch Industrie-Futzi. Wir machen ja schon seit Langem das Label selber und sind dabei immer independent gewesen. Ich mache ja auch viele Sachen im Hintergrund und freue mich deshalb, Kontakte aufrecht zu erhalten, die man vielleicht nur einmal im Jahr sieht.

Sag mal die Bassboxxx-Geschichte ging ja damals in ziemlichem Unfrieden auseinander.

Im Unfrieden? Inwiefern?

Naja das kam in der Öffentlichkeit so rüber, als würdet ihr im Clinch liegen und nicht mehr cool miteinander sein.

Hm. Sagen wir mal: Es war eher so, dass wir kein wirkliches Label waren und keine Struktur hatten. Wir hatten einen Label-Namen, unter dem wir Kassetten rausgebracht haben, um so zu scheinen, als wären wir ein Label. Wir waren aber immer underground und independent, wir haben nie etwas angemeldet. Bassboxxx kam dann später. Das war eine Gründung von Manny Marc und mir, was sich dann später auseinander gelebt hat. Wenn zehn, zwölf Mann ein Label führen, und jeder will am liebsten der Chef sein und seinen Kopf durchsetzen, dann funktioniert das nicht. Das hat am Anfang funktioniert, weil die Kassetten ja mehr wie Sampler waren. Manche wollten daraufhin eine Solo-Karriere anstreben. Dabei hatten die einen mehr Erfolg, die anderen eben weniger. Ich hatte aber damals keine Lust auf diese Diskussionen und hab' mich von dem Ganzen so ein bisschen abgewandt. Das Label ist aber eigentlich nie aufgelöst worden. Nachdem es so aussah, als sei Bassboxxx aufgelöst worden, sind mehr Releases auf Bassboxxx erschienen als davor. Die meisten davon sind, glaub' ich, von Manny Marc.

Isar hat es letztes Jahr geschafft, euch alle auf den Track "Bassboxxx Clique 8" zu packen.

Ne, nicht alle. Ein paar Leute fehlen. Wenn man an die Tape-Zeit zurückdenkt, dann fehlt sogar ein Großteil. Wenn man sich richtig nerdig damit beschäftigt, dann muss man auch sagen, dass Jens Hardcore und Unterleib Dynamo fehlen. Solche Namen sind heute einfach keinem mehr ein Begriff. Danach schreit aber auch kein Hahn mehr. Aber zum Beispiel Tony D fehlt, der bei Bassboxxx schon ein krasser Name war. Der war von "Tape 2" an bei fast jedem Release mit am Start.

Okay, du hast mich. Trotzdem hat es Isar geschafft, nach langer Zeit wieder mal einige aus der Bassboxxx-Zeit für einen Song hinters Mic zu spannen.

Dazu muss man aber auch sagen, dass wir nicht alle gemeinsam im Studio sein wollten. Alle haben separat aufgenommen. Das wirkt zwar nach außen sehr vereint, aber selbst die Videoaufnahmen sind nicht in Gemeinschaft entstanden, sondern getrennt voneinander. Trotzdem waren alle happy damit und haben sich gefreut. Ich muss aber nicht mit jedem von denen zusammen im Studio sein.

Dann könntest du dir unter diesen Umständen keine ganze Platte mit allen vorstellen, oder?

Doch, da hätte ich Bock drauf! Aber das ist, glaube ich, nicht machbar. Obwohl jeder von uns Bock drauf hätte.

Aber woran liegt es dann, dass ihr euch nicht zusammengerauft bekommt?

In erster Linie liegt es am Geld. Da müsste man erst einmal jemanden finden, der sich dazu bereit erklärt, so etwas zu finanzieren. Auch die Aufteilung der Kohle wäre ein Problem. Ich hab' schon paar Mal so ein paar Ideen in den Raum geworfen: Man könnte ja investieren und alle Einnahmen steckt man in die Promo, so dass niemand daran verdient. Es gibt halt einige, die sagen, sie seien mehr wert als der andere und die Leute würden die Platte wegen denen kaufen ... schwierig.

Es könnte aber schon passieren, dass ab und zu mal gemeinsame Songs entstehen. Ich könnte mir auch einen Sampler vorstellen, den man über ein externes Label rausbringen könnte und die Leute prozentual bezahlt. Aber ich hab' keine Ahnung, ob das funktionieren würde. Es ist wirklich schwer, und jeder müsste eben auch damit happy sein. Zudem sind auch nicht mehr alle musikalisch aktiv.

Aber Isar hat das super gemacht. Ich glaube auch, Isar war der einzige, der das hinbekommen hätte. Isar steht so ein bisschen in der Mitte, zwischen allen. Er ist auch der jüngste und letzte, der dazugekommen ist.

"Ich habe gelernt, den Ballermann zu verstehen"

Du betonst stets deinen Underground-Status. Das kommt auch auf "Mutterficker" immer wieder zur Sprache. Du machst aber auch keinen Hehl daraus, dass es dir ums Geldverdienen geht. Wie passt das zusammen? Underground-Rappern geht es ja mehr um die Sache als solche.

Ist das wirklich so? Ich glaube nämlich nicht. Klar gibts diese Untergrund-Verfechter, die sich gegen den Kommerz sträuben. Aber einen gewissen kommerziellen Ansatz hat ja jeder. Wenn du 500 Schallplatten machst und willst die verkaufen, wird sich das wahrscheinlich gar nicht rechnen. Du willst Geld machen, klar. Keiner kann mir erzählen, er wolle damit keine Kohle verdienen. Die Frage ist immer nur, wie, weißte? Wenn du das nur wegen dem Geld machst, dann brauchst du keinen Untergrund-Rap oder Hip Hop machen, sondern kannst versuchen, mit Singer/Songwriter- oder Pop-Geschichten an Geld zu kommen. Für mich bedeutet Untergrund, sein eigenes Ding durchzuziehen und vielleicht Trends zu setzen. Und ich sag' mal so: Du kannst auch Untergrund-mäßig richtig kommerziell durch die Decke gehen. Da wären wir wieder beim Beispiel von 187. Das ist Untergrund-Rap, was die machen. Oder nenne es von mir aus Straßen-Rap. Aber in dem Moment, in dem du dein eigenes Ding durchziehst und dich nicht verbiegst, um erfolgreich zu sein, bist du meiner Meinung nach ein guter Untergrund-Artist.

Machst du Musik für die Charts? Zielst du darauf ab?

Die Charts sind mir nicht so wichtig. Man freut sich natürlich darüber, das war mir noch nie wirklich wichtig. Ich hab' noch nie Musik aus dem Aspekt heraus gemacht, die Charts zu erobern. So habe ich mich nie gesehen. Ich würde mich dann aber auch nicht Frauenarzt nennen. Wir haben uns bei den Atzen ja auch irgendwann umbenannt, weil der Name im Weg stand, mit den Sachen, die Manny Marc und ich als Solo-Artists machen. Jetzt bei "Mutterficker" habe ich das Album so gemacht, wie ich es haben wollte und wie ich mir vorstelle, Musik zu machen. "Zieh Dein Shirt Aus", was zwar als Video-Single erschienen ist, ist jetzt kein Song, der im Radio läuft. Hör' dir das doch mal an: Ein Song namens "Zieh Dein Shirt Aus" von Frauenarzt vom Album "Mutterficker". Das kannste schon mal komplett vergessen, sowas läuft nicht im Radio. Ich konzipiere die Songs so, dass sie live gut funktionieren. Ich bin ein Typ, der daran gewöhnt ist, jedes Wochenende unterwegs zu sein und die Bühne zu rocken. Ich habe im Gespür, was live funktioniert und was nicht. "Zieh Dein Shirt Aus" ist für mich jetzt schon der Live-Banger 2016. Eigentlich soll man solche Sachen ja nicht selber von sich sagen. Aber allein schon, weil den Song Hell Yes produziert haben und die einfach so einen megakrassen Club-Sound haben wie kaum jemand anderes, kann ich das mit Fug und Recht behaupten. Genau so hat es damals schon bei "Disco Pogo" und "Strobo Pop" krass funktioniert. Ich hab "Zieh Dein Shirt Aus" die letzten Wochenenden in Clubs gespielt, und die Leute sind megakrass abgegangen.

Stichwort Atzen: Ging es euch dabei ums Musik oder ums Geld machen?

Am Anfang haben wir es gar nicht wegen dem Geld gemacht. Der Atzen Vol. 1-Sampler wurde fertig, als es in Europa so einen kleinen New-Rave-Hype gab. Wir haben versucht, den 808-Bass mit diesem Rave-Feeling zu verbinden, ohne dabei so sehr alternativ rüberzukommen. Und dann kam Alexander Marcus um die Ecke, den wir total lustig fanden und abgefeiert haben. Mit ihm haben wir uns dann mal getroffen, und er meinte, ob wir nicht mal Bock hätten, einen Song für seine Platte zu machen. Daraufhin haben wir dann "Toni Der Rodelkönig" gemacht, was ja mehr so 'ne nicht ernst zu nehmende Schlager-Elektro-Parodie war. In dem Zuge haben wir auch den Track "Florida Lady" aufgenommen, der auch bei uns auf der Festplatte rumlag. Ich war zu dem Zeitpunkt mit meinem Solo-Album beschäftigt, das bei Aggro Berlin rauskommen sollte, als Marcus anfragte, was wir mit den Songs denn vorhaben. Er hatte einen Draht zu Kontor Records in Hamburg. Also sind wir da mal hingefahren, hatten unsere Songs auf CD dabei, und plötzlich hatten wir per Handschlag einen Joint-Venture-Deal in der Tasche. Wir haben einen minimalen Vorschuss für das Album kassiert, und anschließend wurde es auf den Markt gehauen.

Zu dem Zeitpunkt haben wir noch gar nicht an "Das Geht Ab" gedacht und auch nicht geglaubt, dass das jetzt so ein krasser Hit werden könnte. Deshalb war auch "Florida Lady" die erste Single. Dazu haben wir ein richtiges Trash-Video für 50 Euro gedreht, das Studenten für uns geschnitten haben. Diese Single wollten wir ganz unkommerziell als Vinyl releasen, weil wir endlich mal in unserem Leben eine Schallplatte rausbringen wollten. Da hatten wir so ganz strange Rave-Remixe draufgehauen, bei denen wir uns mal so richtig mit diesen ganzen New-Rave-Bretter-Sounds ausgelebt haben. Wir sind ja so 'ne Synthesizer-Freaks.

Und dann kam die Meisterschaft, bei der Hertha einen ganz krassen Aufstieg hatte. Die Jungs aus der Ostkurve hatten "Das Geht Ab" umgedichtet in "Hey das geht ab, wir holen die Meisterschaft". Hertha kam dann mit der Bitte auf uns zu, den Song beim nächsten Spiel gegen Leverkusen zu spielen. Wir sind knallhart in die Ostkurve reingegangen und haben da den umgedichteten Song performt. Und zirka 70.000 Leute haben einfach mitgesungen. Das war für uns der Moment in dem wir dachten: "Woah, was ist denn hier los?" Daraus entstand so eine Art Eigenleben. Die Leute haben den Song im Sommer mit nach Mallorca genommen, und so hat sich der Hit dann langsam entwickelt.

Es war also am Anfang nicht damit zu rechnen, dass es ein kommerzieller Erfolg wird, es hat sich einfach so entwickelt. Auf der Welle sind wir natürlich mitgeschwommen und haben dies auch für uns ausgenutzt. Aber immer auf eine coole Art und Weise, würde ich sagen. "Disco Pogo" zum Beispiel geht gegen jegliche Pop-Regeln, sowas konnte man sich damals eigentlich gar nicht vorstellen: Ein Song, der nur zwei Mal den Refrain bringt, hauptsächlich instrumental ist und mit Rave-Brettern derb auf die Fresse gibt. Und auch da haben wir nicht damit gerechnet, dass es so ein Hit werden würde. Heute ist es der meistgeklickte deutschsprachige Song auf YouTube mit über 50 Millionen Klicks.

Ich habe mal gelesen, dass ihr wöchentlich nach Mallorca geflogen seid, um dort eine Show zu spielen. Kannst du mit diesem Mallorca-Sound, diesen Elektro-Schlagern etwas anfangen?

Hmm. Ehrlich gesagt, habe ich das vorher nie verstanden. Als wir da dann aber hinkatapultiert wurden und uns am Ballermann wiederfanden, habe ich gelernt, es zu verstehen. Es ist nicht so mein Ding, aber ich verstehe, was bei den Leuten ankommt. Wir haben uns davon auch immer ein bisschen distanziert. Wenn, dann haben wir so Trash-Songs gemacht wie "Wasch Dir Mal Wieder Deine Pflaume", das ging dann schon in die Ironie-Richtung. Wir sind nur selten im Mega-Park oder im Bierkönig aufgetreten, sondern hauptsächlich im Riu Palace. Das Riu Palace ist kein Schlager-Schuppen. Den einzigen Schlager-Act, der dort auftritt, ist Mickie Krause. Der sich wiederum für mich nicht einreiht mit Peter Wackel, Autohändler und dergleichen.

Ach, nein? Bei Mallorca-Acts gibts Unterschiede?

Ja, also ich sag' mal so: Mickie Krause hat eine gewisse Härte, der disst auch mal andere Mallorca-Artists. Er sticht da so ein bisschen raus. Ich weiß eigentlich gar nicht, warum. Ansonsten trifft man im Riu Palace auch Leute wie Kollegah, Kay One, selbst Azad ist dort aufgetreten. Das Riu ist also schon die coolere Ecke auf Mallorca.

Oay, damit ich das richtig verstehe: Krause geht, aber Wackel nicht?

Wackel ist ein cooler Typ, so. Ich mag den. Aber es ist jetzt nicht der Sound, den wir mit den Atzen fahren würden.

"Ich bin ja textlich eher der simple Typ"

Denkst du, dass man heutzutage mit pornographischen oder sexistischen Texten noch schocken kann?

Nein, das glaube ich nicht. Da müsstest du schon krass unter die Gürtellinie gehen. Provozieren ist schwer, aber was hinter der Fassade passiert, ist bemerkenswert. Wir haben nicht mit so viel Gegenwind gerechnet. Ich dachte eigentlich, dass kein Hahn danach krähen wird, wenn ich im Jahr 2016 mein Album "Mutterficker" nenne. Facebook stellt sich zum Beispiel extrem dagegen, aber auch manche Presseabteilungen schreiben Beschwerde-Mails und echauffieren sich darüber, wie wir ihnen ein Album zum Reinhören anbieten können, das "Mutterficker" heißt. Bis jetzt hat sich bis auf die Hip Hop-Presse – und ihr - jeder dagegen gestellt. Ansonsten hat sich niemand bereit erklärt, sich mit uns und mit dem Album auseinander zu setzen. Das finde ich merkwürdig. Selbst bei iTunes mussten wir das Cover zensieren. Aber gib da mal Motherfucker ein, da findest du Songs ohne Ende. Auch von angesehenen Weltstars. Also, da ist Deutschland noch sehr verklemmt.

Wir können kein vernünftiges Facebook-Marketing machen. Die lehnen alles ab. Die drosseln sämtliche Fotos und wollten zum Beispiel "Zieh Dein Shirt Aus" nicht sponsorn, weil in dem Video Mädels mit Hass-Masken und Shorts vor Polizisten tanzen. Und das auf einem Netzwerk, das rechtsradikaler Propaganda eine Plattform bietet, weißte?! Es ist für mich einfach unverständlich. Wahrscheinlich hat irgendein scheiß Pegida-Arsch bei denen das Sagen. Aber im Endeffekt ist es der Name in Verbindung mit dem Albumtitel: Frauenarzt, "Mutterficker".

Dieser Titel ist mir innerhalb einer Minute eingefallen und bringt es einfach sehr passend auf den Punkt: Auf dem Album werden Mütter gefickt, das ist West-Berlin-Battle-Rap feinster Sorte und Hardcore-Gedisse. Da passt nichts besser als der Titel "Mutterficker". Ich habe damit aber nicht im Auge gehabt, irgendjemanden zu schocken oder auf den Schlips zu treten. Wobei, offensichtlich bin ich damit ganz schön vielen Leuten auf den Schlips getreten.

Was hält eigentlich deine Mutter von dem Albumtitel?

Ich hab' sie vorgewarnt. Ich hab gesagt: Pass' auf, nicht dass du dich wunderst, demnächst kommt mein neues Album raus, und das heißt "Mutterficker". Sie meinte dann nur: Naja, kenn' ich ja nicht anders von dir. (Lacht)

Es ist eigentlich auch nichts Ungewöhnliches. Mutterficker heißt Motherfucker auf Deutsch. Auf Englisch klingt das auf einmal so soft. Aber im deutschen Rap-Sprach-Gebrauch ist Mutterficker voll etabliert. Das ist nichts Wildes mehr.

Steht bei dir der Sound oder der Text im Vordergrund?

Bei diesem Album: 50/50.

Ich hätte gedacht, du legst größeren Wert auf den Sound als auf den Text.

Der Sound ist mir schon sehr wichtig. Aber wir haben eher den Sound an die Texte angepasst als andersherum. Der Sound soll die Radikalität der Texte unterstreichen. Es ist ein hartes Album geworden. Damit ist nicht nur die Ausdrucksform der Texte gemeint, sondern vor allem das Gesamtklangbild. Ich bin ja textlich eher der simple Typ. Ich mag keine tiefgründigen Texte und schreibe absichtlich oberflächlich. Ich verstecke lieber Sachen zwischen den Zeilen, deren man sich vielleicht erst beim zweiten oder dritten Mal bewusst wird. "Zieh Dein Shirt Aus" zum Beispiel fordert nicht einfach nur Nacktheit, sondern sagt auch: Mach dich frei von Oberflächlichkeiten. Du musst keine Designer-Klamotten tragen, um jemand zu sein! Außerdem ist es ein Unisex-Track. Es sollen sich nicht nur Frauen ausziehen, sondern einfach jeder. Egal, welche Rasse, egal, welche sexuelle Orientierung: Jeder soll sein scheiß Shirt ausziehen und abgehen.

Hast du noch weitere Songs parat, in denen es etwas zwischen den Zeilen zu lesen gibt?

"Blaulicht" ist ein bisschen politisch angehaucht und hat eine gewisse Radikalität, bei der man eine Systemabneigung spürt. "666" prangert den religiösen Wahnsinn an, der in der Welt gerade abgeht. Es wird zwar nicht explizit wörtlich ausgesprochen, aber ich denke, man versteht schon, was damit ausgedrückt werden soll. Trotzdem schwebt über allem der Battle-Rap und es gibt diesen imaginären Gegner, den man angreift.

Mir würde da noch der Track "Ketten Raus Kragen Hoch" einfallen. Da spielst du doch bestimmt darauf an, dass du vorbestraft warst. Oder?

Absolut.

Erzähl' mal. Wann war das? Wie kam es zu der Vorstrafe?

Das kam zu unserem großen Erfolg zwischen "Das Geht Ab" und "Disco Pogo". Der Staatsanwalt Schulz-Spirohn führte einen Kampf gegen einige Leute in der Rap-Szene und wollte an mir ein Exempel statuieren. Das Motto lautete wohl: Ich schnappe mir jetzt einfach mal den, der am meisten Erfolg hat, und den stecken wir in den Knast. Der wollte mich echt hinter Gittern sehen. Und das für Musik, für die Texte. Es waren zwei Songs, für die ich vorbestraft wurde, bei denen Gewalt mit Sexualität verbunden war. Ich würde das als künstlerische Freiheit bezeichnen, es wurde aber nicht als Kunst, sondern als reine Provokation und Straftat eingestuft. Dafür war ich dann fünf Jahre lang vorbestraft.

Hast du daraus Konsequenzen gezogen und dich zurückgenommen, was die Härte der Texte betrifft?

Klar, natürlich, musste ich ja. Das ging gar nicht anders. Ich habe mich zu der Zeit schon sehr zurückgehalten, und es war mir somit nicht möglich, ein Frauenarzt-Solo-Album zu machen. Es kam für mich nicht infrage, mich einzuschränken. Ich will keine Gesetze übertreten, aber ich will schon meine künstlerische Freiheit ausleben. Und das kannst du in so einem Moment einfach nicht, wenn du bei jeder Zeile darüber nachdenken musst, ob du das jetzt darfst oder dafür in den Knast kommen könntest. So kann man nicht frei arbeiten.

Die fünf Jahre sind mittlerweile sicherlich verstrichen. Kommt dein Album deswegen erst jetzt?

Ja! Ich hatte vorher schon ein, zwei Mal angefangen, ein Album zu machen. 2013 habe ich den Untergrund-Sampler "Tanga Tanga 2013" rausgebracht, der auf meinem ersten Tape "Tanga Tanga" basiert. Das ist Kult in der Berliner Rapszene. Danach habe ich "Tanga Tanga 2003" gemacht, was für meine damaligen Verhältnisse auch ziemlich erfolgreich war. Deshalb wollte ich 2013 unbedingt ein Jubiläumsprojekt machen. Es sollte eigentlich mein Solo-Debüt werden, fiel aber eben noch in diese fünf Jahre rein. Deshalb ist das auch etwas entschärft rausgekommen. Ich bin trotzdem ganz zufrieden, weil sonst "Mutterficker" nicht "Mutterficker" heißen würde, sondern "Tanga Tanga 2016", und wahrscheinlich ganz anders klingen würde.

Schränkt so eine Vorstrafe nicht unheimlich ein?

Ich habe es nicht als so schlimm empfunden, weil das eben die Zeit zwischen "Das Geht Ab" und "Disco Pogo" war und wir mit den Atzen einen mächtigen Erfolg hatten. Der Richter hatte auch seinen Sohn gefragt, was der Frauenarzt so für Musik macht. Die Antwort: Es geht so Richtung Jürgen Drews. (Lacht) Das ist natürlich überdreht, aber wahrscheinlich wollte er ihm nur erklären, dass die Musik eben aufm Ballermann läuft. Durch diese Vorstrafe habe ich mich noch viel mehr auf dieses Atzen-Ding konzentriert. Zu dem Zeitpunkt nannten wir uns in Die Atzen um. Manny Marc hat es auch verstanden und meinte zu mir: Ja, gut, dann machen wir jetzt halt fünf Jahre Party. Wir haben es auch knallhart durchgezogen und damit Gold und Platin eingesackt. Das hat uns auch als Geschäftsmänner und Musiker extrem nach vorne gebracht. Wir haben richtig viel gelernt in der Zeit. Gerade, was den Sound angeht, haben wir einfach viel mehr zu bieten als die meisten anderen.

Hast du an "Mutterficker" mitproduziert?

Ich war bei jedem Song in der Produktion involviert, würde ich sagen. Drei oder vier Songs hat nur Hell Yes produziert, wobei ich da auch noch ein paar Wünsche hatte. Ansonsten habe ich viele Songs vorproduziert und die dann ausproduzieren lassen. Hell Yes haben die dann noch umgemodelt und dem Sound des Albums angepasst.

Eine letzte Frage habe ich noch: Du machst ja schon seit einer ganzen Weile Musik. Abgesehen von der Atzen-Geschichte sind deine berappten Themen immer die gleichen geblieben. 2016 heißt dein Album "Mutterficker", du fickst Mütter schon seit '98, quasi. Wächst du da irgendwann mal raus? Vergeht dir irgendwann auch mal der Spaß an diesem, platt ausgedrückt, Pimmelhumor?

(Lacht) Nö, also derzeit habe ich da mehr Bock drauf denn je. Ich kann nicht vorhersagen, wie ich in zehn Jahren ticke, aber das ist schon so mein Ding. Ich finde das geil, wieso also nicht? Nichtsdestotrotz finde ich, gerade wenn du "Pimmelhumor" sagst, dass "Mutterficker" ein erwachseneres Album ist. Ich habe mich schon auch weiterentwickelt und würde sagen, dass ich mit dem Album, neben den 16- bis 25-Jährigen auch ältere Leute anspreche. Die Generation, die mit mir aufgewachsen ist, ist ja auch älter geworden. Und die feiern das und wollen so etwas auch von mir hören. So ganz plumpe Sachen von 2002 oder so würde ich jetzt heute nicht mehr rappen. Wenn ich 2026 ein Album machen werde, würde das aber immer noch in diese Richtung gehen.

Dein Künstlernamen gibt ja auch eine gewisse Richtung vor.

Das kommt auf die Kollaboration an. Ich habe Songs mit Eko und auch mit anderen gemacht, die schon deeper waren. Ich will mich von meinem Namen auch nicht einschränken lassen. Aus genau dem Grund ist "Mutterficker" jetzt auch kein Porno-Rap-Album geworden. Dieser Stempel Porno-Rap wurde uns ja irgendwann gegeben, und den haben wir auch stolz vor uns hergetragen. Ich will aber meine Musik nicht als Porno-Rap bezeichnen, sondern ich mache Westberlin-Rap. So Namen wie Orgasmus, Frauenarzt, Taktloss, Basstard, Vokalmatador, so komische Namen tauchten ja sonst nirgendwo in der Rapszene auf. Jetzt kommen Leute und nennen sich Haftbefehl, aber früher hatte man solche Namen nur in Berlin. Damals haben sich Rapper eher so Samy Deluxe genannt ... es gab eher solche Namen. Und, ja, was war die Frage?

Könntest du unter dem Banner Frauenarzt ein ernstes Album machen?

Das Album hätte auch ein bisschen persönlicher werden können, weil ich in den letzten Jahren viel durchgemacht habe. Ich dachte eben, dass ich gerne paar Themen aus mir rauslassen würde. Und jetzt habe ich sie eben auf eine andere Art und Weise aus mir herausgelassen.

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