Es ist so eine Sache mit deutschsprachiger Rockmusik. Von den einen verehrt, wobei die Besucher-Zahlen eines Pur-, Herbert Grönemeyer oder Tokio Hotel-Konzertes eine deutliche Sprache sprechen. Von den anderen stets mit einem Nase-rümpfen goutiert und nicht so richtig ernst genommen. Was hat es also auf sich mit dem Phänomen Deutschrock?

Erst einmal sei festgehalten, dass das Spektrum der Deutschrocker und -rockerinnen eine weite musikalische Landschaft abbildet. Seit 1970 lebt uns einer der ersten Deutschrocker, Peter Maffay, das rockige Leben auf Bühne und Motorrad vor. Und unsere Mütter schmachteten. Maffay und Westernhagen, die sich (auch) öffentlich auf die Rolling Stones berufen, lehnen sich musikalisch an die US-Vorbilder an. Einer wie Udo geht lieber eigene Wege. Später wurde von Bands wie BAP, Schwoißfuaß, Haindling oder Wolle Kriwanek der deutsche Mundartrock erfunden. Marius-"gegen den Rest der Welt"-Müller Westernhagen und Herbert-"U-Boot Offizier"-Grönemeyer füllten als erste mit Deutschrock große Stadien. Doch damit waren sie nur die ersten. Inzwischen gelingt das auch Pur und Tokio Hotel.

Neben Peter Maffay, der seit langem mit seinem Schlagerimage kämpft, sind auch Ton Steine Scherben für das Genre und die Bezeichnung Deutschrock prägend. Ihr anarchistischer 70er-Jahre Rock prägte eine ganze Generation. "Der Traum Ist Aus", denn die radikalen und heute wohl etwas plakativ erscheinenden Texte unterstützen damals das 68er-Zeitgefühl. Stark kontrastierend zu dem 70er Heile-Welt-Schlager-Krams (Heintje, Roy Black und ähnliche Dieter Thomas Heck Stammgäste) wirkt die Band gerade richtig um die linke Identifikationsplattform einer rebellischen und verzweifelten Generation zu werden. Zu den vielen überlieferten Anekdoten zählt die legendäre WDR-Show, in der der Manager der Band mit einer Axt den Studio-Tisch zertrümmert und die WDR-Mikrofone einsteckt.

Auch Udo Lindenberg darf im Bezug auf die 70er und im Zusammenhang mit Deutschrock nicht fehlen. Sein Panik-Orchester feiert ab 1973 den Erfolg auf der "Andrea Doria". 1974 wird "Rudi Ratlos" zur Single und "Ball Pompös" zur LP des Jahres gewählt. Bei einer Umfrage kennen kurze Zeit später 71% der Bevölkerung Udo Lindenberg als den bekanntesten Deutschrock-Interpreten. 1983 darf er im Palast der Republik in Ostberlin auftreten, 1985 bei den Weltfestspielen in der Sowjetunion. Der bekennende Sozi bändelt mit Erich Honecker an, der erste Vorsitzende revanchiert sich 1987 mit einem Besuch bei Udo in Wuppertal für die medienwirksame Schenkung einer Lederjacke. Zur lange geplanten Tournee durch die DDR kommt es aber erst nach dem Fall der Mauer 1989. Ende der Siebziger betritt Marius Müller-Westernhagen die Deutschrockbühne. Sein authentischer Auftritt mit "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz" überzeugt 1977 aus dem Stand.

Trotz der Gemeinsamkeit der geografischen Herkunft ist Deutschrock keinesfalls mit Krautrock zu verwechseln. Dort ist 'psychedelisch' das Wort der Stunde. Für eine gehörige Portion Bewusstseinserweiterung lassen sich die Krautrock-Musiker gern von toxischen Substanzen inspirieren. Das bleibt natürlich nicht ohne Auswirkungen auf den musikalischen Output. Mal davon abgesehen, dass man sich auf LSD fühlt, als sein man das Zentralsexualorgan des Universums, erhöht Lysergsäurediethylamid auch das Kreativitätspotential um sagenhafte 980%. Kein Wunder also, dass just zu der Zeit, als alle halbwegs hippen Menschen Timothy Leary lesen, sich eine Musik Bahn bricht, die das Potential der Bewusstseinserweiterung voll auszuschöpfen weiß. Zu Krautrock gehören Namen wie Faust, Amon Düül, Ash Ra Tempel, Tangerine Dream, Embryo, Guru Guru, Kraan, Kraftwerk, Cluster, Neu! und Popol Vuh. Zwischen Krautrock und Deutschrock liegen sozusagen Welten, deren Trennlinie entlang der Legalität der verwendeten Drogen verläuft.

In den Achtzigern mischen Die Toten Hosen und Die Ärzte erstmals die Szene auf. Die politischen Ideale der 70er sind nun Schnee von gestern und man engagiert sich gegen Atomkraftwerke, Endlager, sauren Regen und den kalten Krieg. Es schlägt die Stunde von BAP, Herbert Grönemeyer, Ina Deter und auch Udo Lindenberg bleibt im Rennen. Ebenfalls ganz vorne mit dabei: Spliff und Nina Hagen. Mit der Neuen Deutschen Welle, die in den 80ern durch Deutschlands Clubs fegt und über eine mächtige Fanbase verfügt, hat das alles natürlich gar nichts zu tun.

"Für weitere gesellschaftliche Anliegen wird auf dem Höhepunkt des Deutschrock ebenso das Wort ergriffen. Ina Deter lanciert ihren Emanzipations-Hit "Neue Männer Braucht Das Land". Klaus Lage beschreibt in Songs wie "Monopoly" den Untergang der Arbeiterklasse. Natürlich wird auch das alte Rock'n'Roll-Thema Liebe bei all den sozialen Problemen weiterhin thematisiert. So schreibt Herbert Grönemeyer 1984 mit 'Flugzeuge Im Bauch' einen Riesenhit voller Liebesschmerz, genauso wie der Ex-Ton Steine Scherben-Sänger Rio Reiser zwei Jahre später mit 'Junimond'", berichtet über diese Zeit musicline.de.

Puren Deutschrock halten die Neunziger bereit, denn Hartmut Engler und seine schwäbischen Mannen erobern die Herzen der Fans. Als 1993 "Seiltänzertraum" erscheint, gelingt Pur mit einer Doppel-Platin-Auszeichnung der ganz große Wurf. Zwei Jahre später sind sie erneut 'On The Top'. 500.000 Exemplare ihres Albums "Abenteuerland" sind bereits vor der Veröffentlichung vorbestellt. Während der einjährigen Tour kommen mehr als eine Million Menschen zu den Konzerten. Im neuen Jahrtausend beackern Juli, Wir sind Helden, Jennifer Rostock, Tokio Hotel und viele andere das Feld der deutschsprachigen Rockmusik.

Aber ist das noch Deutschrock?