Ach ja, es ist so eine Sache mit dem Begriff Weltmusik. Von den einen verteufelt, weil er sich einer eurozentristischen Sichtweise bedient. Von den anderen geliebt, weil er eine hübsche Schublade zur Verfügung stellt, in die alles mühelos reinpasst, was irgendwie auf nichtwestliche Musikformen hinweist.

Zurück geht die Begrifflichkeit auf ein Treffen von Indie-Plattenbossen, das 1987 in London stattfindet. Zu Ruhm und Ehre aber verhilft entscheidend Peter Gabriel, der sich ebenfalls in den 80ern in die Weltmusik verliebt. Das von ihm initiierte WOMAD (World Of Music, Arts and Dance)-Festival und sein Real World-Label kümmern sich seither auf höchster Ebene um die Etablierung außereuropäischer Künstler.

Aber, klaro, Weltmusik gibt es nicht erst seit den 80ern. Sich (mit anderen Stilistiken) zu vereinen, begleitet seit jeher die Geschichte der Musik. Ob es sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts um die Gesänge der Sklaven handelt, die im Blues münden, oder, Ende der 50er, um brasilianischen Samba, der mit amerikanischem Cool Jazz zum Bossa Nova mutiert: Fusion bestimmt das Geschehen und ist seit jeher eine treibende Kraft, um das Perpetuum Mobile namens Musik in Bewegung zu halten. Oder um es anders zu formulieren: Alle Musik erneuert sich durch einen ständigen (kulturellen) Austausch.

"Das Wort Weltmusik wurde erst im vergangenen Jahrhundert geprägt, doch die Sache selbst ist wesentlich älter. Weltmusikalische Ansätze gibt es bereits in den frühgeschichtlichen Großreichen mit ihrem bunten Gemisch der Völker, Religionen und Stile", weiß der Musik-Duden. Und bereits um das Jahr 1420 beschreibt der arabische Historiker Hafez-I-Abru einige Ensembles an den Höfen Zentralasiens als: "Sie sangen und spielten Motive im persischen Stil auf arabische Melodien nach türkischem Brauch mit mongolischen Stimmen und folgten dabei chinesischen Gesangsprinzipien und Metren aus dem Altai."

Was wir heute Weltmusik nennen, erlebt seine Geburtsstunde in den 60ern. Einer der ersten Weltmusiker in diesem Sinne ist der amerikanische Jazzklarinettist Tony Scott. Nach ausgiebigen Weltreisen Ende der 50er und einem fünfjährigen Aufenthalt in Asien spielte er 1964, gemeinsam mit dem Koto-Spieler S. Yuize, das bis heute gültige Album "Music For Zen Meditation" ein. Auch John Coltrane zählt zu den Pionieren der ersten Stunde. Er beginnt 1961 mit "Olé Coltrane", "African Brass" und "India" zu den Wurzeln indischer und afrikanischer Musik vorzudringen und ihre Klänge, Melodien und Rhythmen in den Jazz zu integrieren.

Als äußerst erfolgreicher Import dient zu dieser Zeit der Sitar-Spieler Ravi Shankar, der der indischen Musik im Westen zu enormer Popularität verhilft. Er ist es, der Beatle George Harrison das Sitarspielen beibringt, der 1967 gemeinsam mit Yehudi Menuhin zwei LPs einspielt, und der 1969 auf dem legendären Woodstock-Festival auftritt. In Deutschland kümmert sich der Posaunist Albert-Mangelsdorff, der 1964 Asien bereist und von Jazzpapst Joachim Ernst Berendt einem großen Publikum bekannt gemacht wird, um die Belange der Weltmusik.

Auch die Beatles und die Rolling Stones experimentierten in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre mit indischen und arabischen Klängen. Ein Denkmal setzt das von John McLaughlin initiierte Mahavishnu Orchestra, das Anfang der 70er ordentlich abräumt. In Deutschland bemüht sich derweil der Krautrock um die Implementierung ethnischer Musik. Kraan, Can, Ash Ra Tempel und wie sie alle heißen, lassen sich mehr oder weniger bedrogt von der Anziehungskraft des Exotischen in den Bann ziehen. Dass dabei nicht nur Musik, sondern auch Religion, Weltanschauung, Menschenbild etc. eine Rolle spielen, versteht sich für alle Suchenden fast von selbst.

Während der 80er gewinnt das noch junge Genre zunehmend an Kontur und Qualität, was auf das Engagement vieler kleiner Plattenfirmen und vor allem Peter Gabriels Real World-Label zurück zu führen ist. Real World und das von Gabriel ins Leben gerufene WOMAD-Festival (erstmals 1982) präsentieren im Westen unbekannte Künstler und Künstlerinnen, die auf zunehmend offene Ohren stoßen. Nusrat Fateh Ali Khan, Manu Dibango und Youssou N'Dour gehören zu den wohl bekanntesten Vertretern der ersten Stunde.

Dennoch: Der Verkauf der Alben gestaltete sich schwierig, da die meisten Händler nicht wussten, in welches Fach sie diese Produkte einsortieren sollten. Lösung brachte 1987 in London das eingangs erwähnte Treffen von Indie-Plattenbossen, die kurzer Hand das Etikett "World Music" entwarfen. Das war zwar nicht neu, da Capitol Records den Begriff bereits in den 50ern für ihre "Capitol Of The World Series" verwendete, aber verkaufs- und werbefördernd.

Jetzt kommt der Worldmusic-Dampfer richtig in Fahrt. Dazu trägt Paul Simons "Graceland" (das, eingespielt mit Musikern aus Südafrika, einen gewaltigen kommerziellen Erfolg verbucht) ebenso bei, wie das zu Beginn der 90er initiierte Projekt "One World One Voice". Über 50 Musiker, Musikerinnen und Bands aus aller Welt wirken daran mit, u.a. Afrika Bambaataa, Laurie Anderson, Mari Boine, Peter Gabriel, Bob Geldof, David Gilmour, Lou Reed, Ryuichi Sakamoto, Sting und Suzanne Vega.

Das Handbuch der populären Musik erkennt, dass der nun einsetzende Worldmusic-Boom "nicht unerhebliche Teile vor allem der studentischen Jugend des Westens auf der Suche nach etwas 'Authentischem' und 'Ursprünglichem' auf den Ehtno-Trip führte." Erkennt sich da etwa jemand wieder?

Inzwischen tragen die Verkäufe aus dem Worldmusic-Segment einen bedeutenden Beitrag zum Cash-Flow des Musikgeschäfts bei und es etablieren sich zahlreiche Künstler und Künstlerinnen aus aller Welt in den einheimischen Ohren. Unter ihnen und um nur einige zu nennen: Angelique Kidjo, Zap Mama, Netsayi, Lura, Susheela Raman, Cesaria Evora, 1 Giant Leap, Badi Assad, Michy Mano, Dhafer Youssef, Amparanoia, Daara J, Rabih Abou-Khalil, Nitin Sawhney, Sa Dingding, Sainkho Namtchylak und und und ...