laut.de-Kritik

Endlich steht seine Musik wieder an erster Stelle.

Review von

Irgendwie war George Michael im letzten Jahrzehnt schon musikalisch zugange. 1990 übernahm eine Riege Supermodels seinen Gesangspart im Video zu "Freedom", zwei Jahre später stand das Sexsymbol der 80er selbst seinen Mann und performte "Somebody To Love" beinahe so überirdisch wie Freddie Mercury. Dennoch erinnert man sich heute weniger an sein letztes Album "Older" von 1996, sondern eher an einen Tag im Jahre 1998, als dem Mann, der einst "I Want Your Sex" sorglos wisperte, ein unfreiwilliges Outing als Homosexueller auf einer öffentlichen Toilette in L.A. unterlief.

Nun ist die Geschichte von Michael weit nicht so desaströs wie die des anderen Michael, der gerade dabei ist, sein Lebenswerk zu zerstören und hauptberuflich tatsächlich Ex-Superstar ist. Mit zwei Singles in den letzten zwei Jahren ließ George Michael nur langsam wieder die Musik sprechen; "Patience" zieht jetzt als Longplayer nach. Es solle sein letztes Album sein, danach würde er aus der Öffentlichkeit verschwinden. Zudem solle das neue Werk für seine Fans kostenlos im Internet zu haben sein. Und also sprach George Michael.

Kaum ist der ehemals verlorene Sohn zurück im Schoße von Mutter Sony, dürfte den Verantwortlichen des Plattenmultis erneut das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stehen. Der Mann sagt, was er denkt und steht felsenfest hinter dem, was er sagt. Deshalb sind wohl auch die alten Songs "Shoot The Dog" und "Freeek" auf dem Album, zwei ordentliche Dancefloor-Feger, die den alten Pop-Hasen als durchaus ausgefuchsten Kenner zeitgenössischer Beats ausweisen sollten.

Von "Shoot The Dog" hat man jedoch nicht ganz zu Unrecht nur noch den Skandal um das Anti-Blair-Comic-Video in Erinnerung. Dafür belegt der sexuell aufgeladene Elektro-R'n'B in "Freeek", hier in einer neuen Version enthalten, dass der Brite durchaus noch so funky rocken kann wie zu "Faith"-Zeiten. Acht lange Jahre Zeit hat sich der Sänger, Arrangeur und Produzent in einer Person also gelassen und damit den Gesetzen des Marktes erneut sein Unbill ausgesprochen. Seine Fans hingegen belohnt er für ihre Geduld. Stilistisch beschreitet das perfekt produzierte Album weiter den Weg des Vorgängers "Older": Professionell mäandert der Grandseigneur des Pop zwischen gepflegten Liebesballaden ("American Angel") und soften R'n'B-Midtempos ("Round Here"), findet aber auch Gefallen daran, an der Beat-Drehzahl zu schrauben.

Was beim Disco-Track "Cars And Trains" geradezu infektiös wirkt, verliert sich bei der aktuellen Single "Amazing" oder dem vom Produzentenduo A Touch Of Class (nicht zu verwechseln mit dem grausigen Dance-Duo A Touch of Class) gecoverten "Flawless (Go to the City)" in schwachbrüstiger Belanglosigkeit. Und doch: George beweist Feingefühl in Bezug auf moderne Elektronik, Arrangements kreiert er eh wie kein Zweiter und nur bei lange ausgehaltenen Tönen nähert er sich gefährlich dem pathetischen Abgrund. Auch persönliche Einblicke gestattet er: "Round Here" ist eine Liebeserklärung an London, die Stadt seiner Jugend, der noch immer all seine Erinnerungen gehören, inklusive der Platten von The Specials und The Jam, die er damals nudelte. Im betont ruhigen "John & Elvis Are Dead" huldigt er zwei Ikonen des Rock'n'Roll und ergänzt später noch Marvin, dessen Sound dem von Michael doch am nächsten kommt.

Aus der Ballade "Through" lässt sich am Ende viel über die öffentlich gewordenen Probleme des Briten heraus lesen: Hier klagt ein vom Boulevard gehetzter, den Fesseln der Plattenindustrie (beinahe) entkommener Popstar mit ausufernder Inbrunst, einer, der sich durch all diese Erfahrungen aber nicht hat beirren lassen, und nun, mit 40 Jahren, nur noch für Liebe und Selbstbewusstsein einsteht. Bleibt mit Spannung abzuwarten, ob sich der sympathische und talentierte Songwriter mit Rückgrat tatsächlich mit der Idee des kostenlosen Internetalbums von der Pop-Bühne verabschiedet. Sollten genügend Downloader seinem Vorschlag folgen und freiwillig Spenden einreichen, käme dies einer späten Genugtuung für den alten Einzelkämpfer gleich.

Trackliste

  1. 1. Patience
  2. 2. Amazing
  3. 3. John And Elvis Are Dead
  4. 4. Cars And Trains
  5. 5. Round Here
  6. 6. Shoot The Dog
  7. 7. My Mother Had A Brother
  8. 8. Flawless (Go To The City)
  9. 9. American Angel
  10. 10. Precious Box
  11. 11. Please Send Me Someone (Anselmo's Song)
  12. 12. Freeek! '04
  13. 13. Through
  14. 14. Patience (Pt II)

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