Porträt

laut.de-Biographie

Gimma

"Ich bin nicht glücklich. Es geht mir manchmal schon gut, aber glücklich bin ich nicht, und wenn ich es mir so recht überlege, möchte ich es auch nicht sein. Denn hätte ich all diese Scheiße nicht erlebt, wäre diese Musik nicht entstanden und hätte ich nicht das zu erzählen, was ich jetzt erzähle." (Gimma im Interview mit aightgenossen.ch)

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Die Geschichten, die über Gimmas Werdegang im Umlauf sind, liefern Stoff für eine ganze Rap-Karriere. Der kleine Eidgenosse Gian-Marco Schmid aus dem Graubündner Chur wird Zeuge der Trennung seiner Eltern. Diese läuft derart hässlich ab, dass Vater wie Mutter in der Psychiatrie landen.

An Gimma zieht das Familien-Drama nicht spurlos vorüber: Wegen Drogendelikten und Prügeleien fliegt er 1993 von der Schule. Mag sein, dass die derben Lehrerbeleidigungen, die sich auf seinen ersten auf dem Schulhof verscheuerten Rap-Tapes finden, das ihre dazu beigetragen haben, das Kollegium nicht gerade gnädig zu stimmen.

Den Rausschmiss noch nicht verdaut, folgt der nächste Schlag. Ärzte diagnostizieren einen bösartigen Tumor in Gimmas Schädel. Er überlebt eine siebenstündige Notoperation, wenn auch nicht ohne Verhaltensauffälligkeiten. Sollten diese keine direkte Nebenwirkung des Eingriffs sein, liefert er doch eine hervorragende Ausrede für schräges Benehmen.

Gimma selbst sieht Handlungsbedarf: Nach einer Psychotherapie - hauptsächlich um seine Drogensucht in den Griff zu bekommen - holt er 1996 seinen Abschluss nach. Voll der guten Vorsätze tritt er im gleichen Jahr als Novize in ein Franziskanerkloster ein. Aus Gimma wird jedoch kein Mönch: Amor kommt ihm in die Quere. Nachdem ihm die Liebe Herz und Verstand raubt, verlässt Gimma die Bruderschaft und beginnt eine kaufmännische Lehre in einer Brauerei. Er durchläuft eine zweite Therapie und schließt die Ausbildung mit Bravour ab.

Bereits 1996 rappt Gimma in den Reihen der Formation KAOT, von der er sich jedoch bald wieder trennt. Eine Solo-Karriere scheint eine bessere Entfaltung zu ermöglichen. Dennoch veröffentlicht er 1999 die Ergüsse des Gemeinschaftsprojektes TAO - geschickterweise ohne seine beiden Mitstreiter Rennie und Stimpee Kutz von Sektion Kuchikäschtli darüber in Kenntnis zu setzen.

Im Jahr 2000 fungiert Gimma als Support-Act für High & Mighty und Cage und kommt so zu seinen ersten Auftritten im Ausland. Diverse Live-Shows, die er auch gerne schon mal nackt absolviert, sowie sein aus naheliegenden Gründen aus dem Verkehr gezogenes Album "Droga, Sex, Gwalt, Rap" von 2002 tragen ihm den Ruf eines Skandal-Rappers ein. Privat ganz zahm, arbeitet er als Betreuer in genau der geschlossenen Anstalt, in der sich sein Halbbruder das Leben nahm.

Wie unter anderem Luut & Tüütli, Breitbild und Sektion Kuchikäschtli fühlt sich Gimma dem Kollektiv der Bauers zugehörig. Neben seiner Solo-Karriere ruft er die Crew OBK, kurz für Oschtblock Kuabuaba, ins Leben. Gemeinsam mit Ali Di Bengali und Damos veröffentlicht er 2001 unter diesem Alias zunächst die EP "Pump Dä Scheiss Uf". Ein Album ("Neu: D'Wohrheit") und das Mixtape "No Meh Wohrheit" folgen 2004 und 2006.

Zusammen mit dem Berner Baze und Kollegen Ali Di Bengali tritt er zudem unter dem Namen "Die 3 Hässlichen Vögel" auf. Gimmas DJ-Sets laufen unter anderem unter den klangvollen Pseudonymen DJ Ammig, Partydiktator oder Fabrizio Risiko.

2004 hat Gimma mit seiner MC-Laufbahn innerlich abgeschlossen. Was soll man auch noch bringen, wenn man bereits unter Beweis gestellt hat, dass sogar die eigene Mutter die Konkurrenz an die Wand rappt? (Dokumentiert in "Mini Mä Rappt Besser als Du" auf "Mis Leba Isch So Scheisse" von 2003)

"Ich hatte noch einige Demos im Umlauf, aber ich kümmerte mich nicht mehr darum", erinnert er sich im Interview mit aightgenossen.ch. Bei der Verleihung des VIVA-Comet trifft er dann jedoch auf den Produktionsmanager von Nation Music, der Gimma die Idee, das Mikrofon an den Nagel zu hängen, gründlich ausredet: der Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit.

Innerhalb des nächsten Jahres entsteht mit "I Gega D'Schwiiz" Gimmas erster professionell produzierter Longplayer. An den Reglern machen sich unter anderem SAD aus Bern sowie Kuchikäschtli-Beatschmied Claud zu schaffen. Gimma nutzt die guten Kontakte der Bauers zu Aggro Berlin und fährt mit Sido ein dickes internationales Feature auf.

Gimma - Mensch Si
Gimma Mensch Si
Erwachsener Rap. Oder doch zu glattgebügelt?
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"Sido wollte zuerst einen Lovesong mit mir aufnehmen. Das war mir dann doch zu viel", grinst der Schweizer. Tatsächlich knüpfen die beiden da an, wo "Droga, Sex, Gwalt, Rap" einst aufgehört hat. "I Gega D'Schwiiz" hält sich 30 Wochen in den Schweizer Album-Charts.

Rap für Randgruppen? Gimma dazu gegenüber dem Schweizer Netmagazin: "Die grossen Themen sind Liebe, Sex und Drogen. Was neu dazu kommt sind Depression und Wahnsinn. Also wirklich Songs, die am Rande des Abhangs sind. Was ich zurückgeschraubt habe, ist das Hip Hop-Battle-Zeugs. Es ist wirklich 'erwachsenere' Musik. Ich glaube, ich kann damit Leute bis fünfunddreissig ansprechen. Die Dreizehnjährigen werden schon etwas Mühe kriegen."

Auch Gimma hat Mühe: Ganz ohne Blessuren kommt er nicht davon. Anfang 2006 gerät er in die Schlagzeilen, als er sich selbst nach körperlichen und psychischen Zusammenbrüchen in die Psychiatrie einweisen lässt. In genau der Anstalt, in der er zuvor tätig war, werden zwei Wochen lang Depressionen und Burnout-Syndrom behandelt.

Nachdem Blick, das eidgenössische Äquivalent zum hiesigen vierbuchstabigen Massenblatt, Gimmas Psychoprobleme in die Öffentlichkeit zerrt, bangt er um seinen Job als Jugendarbeiter in Chur: "Plötzlich waren die Eltern und auch die Kids mit der Geschichte und unumgänglich auch mit den Gerüchten, die mich umgaben, konfrontiert. Vorher konnte ich mein Privatleben gut von der Arbeit trennen. Jetzt muss ich gucken, wie das Ganze weiter geht."

Mit "Superschwiizer" verzeichnet Gimma seine erste Video- und Radio-Single. Dazu gesellt sich "Hymna", das das Schweizer Publikum zum offiziellen WM-Song der Nationalmannschaft kürt. Als sich das Schweizer Fernsehen SF über das Voting hinweg setzt und eine andere Nummer vorschiebt, bricht ein Sturm der Entrüstung los: Die Initiative "Fight For Gimma" sammelt am ersten Tag nahezu 700 Protestunterschriften. Zum Ende der Aktion werden es mehere Tausend sein.

Eine Wahlkampagne gegen Jugendgewalt der rechtskonservativen SVP, die einen Knaben im vollen Hip Hop-Ornat als Verkörperung des Bösen zeigt, lässt in der eidgenössischen Rap-Szene die Empörung hochkochen. Auf provokante Wahlkampagnen folgt ebenfalls Provokation: Gimmas stinksauere Retourkutsche "Hol Dr An Politiker" findet sich auf seinem im März 2007 erscheinenden Album "Panzer".

Gerichte sollen dem "König Vo Da Luusbuaba" daraufhin das Maul stopfen. Der lässt sich jedoch nicht unterkriegen. Statt dessen hält er sich mit allerlei Projekten, darunter ein eigener Techno-Club, in den Schlagzeilen. 2008 veröffentlicht er zusammen mit Claud als Bucher & Schmid das Album "Iisziit", das unter anderem Gastauftritte von Curse und Xavier Naidoo auffährt.

Der Angst, zu sehr in Richtung Pop abzudriften, lacht Gimma mit seinem 2009 erscheinenden Album voll ins Gesicht. "Hippie" entsteht in Zusammenarbeit mit dem Hit-Produzenten Roman Camenzind. Seine Anfrage abzulehnen, wäre "wie wenn Roger Federer anruft und fragt, ob du Tennisspielen kommst. Da sagst du doch auch nicht nein!"

"Immer dieselbe Sache zu machen, langweilt mich", so Gimma. So erklärt sich die einzige Konstante in seinem Schaffen: Es gibt keine. Das Risiko, "so richtig absusaufen", wird dabei jederzeit eingegangen.

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Gimma - Mensch Si: Album-Cover
  • Leserwertung: 3 Punkt
  • Redaktionswertung: 3 Punkte

2011 Mensch Si

Kritik von Fabian Merlo

Erwachsener Rap. Oder doch zu glattgebügelt? (0 Kommentare)

Surftipps

  • Gimmas Homepage

    Der Superschwiizer blogt - und das recht ausführlich.

    http://www.gimmasworld.ch
  • Der Hof der Bauers

    Infos, Bilder, reichlich Musik, Wanderwege und Senf: Fragt Dr. Gimma!

    http://www.bauers.ch
  • Nation Music

    Die tiefste Fundgrube für eidgenössische Musik.

    http://www.nationmusic.ch

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