1. Dezember 2008

"Immer Stress mit den Scheißweibern"

Interview geführt von

Gunter Gabriel ist seit 30 Jahren im Geschäft. Reich ist er dabei nicht geworden, außer an Erfahrungen.

In den 70er Jahren machten "Hey Boss, Ich Brauch Mehr Geld" und "Komm Unter Meine Decke" Gunter Gabriel zum Star. Seitdem geht es munter auf und ab - gesundheitlich und karrieretechnisch. 2003 veröffentlichte er "Gabriel singt Cash: Das Tennessee-Projekt", das er in Cashs Heimstudio in Tennessee aufgenommen hatte. Danach folgte ein weiterer Absturz. Wie es dem mittlerweile 66-Jährigen wohl so geht? Um diese Frage zu beantworten, besuchten wir ihn an einem schönen Herbsttag in Hamburg.

"Werdort?" meldet sich eine tiefe, vibrierende Stimme am Telefon. Routiniert führt uns Gunter Gabriel per Handy zu seinem Hausboot im Hamburger Hafen. Da steht er: Groß, wohl genährt, mit struppigen blonden Haaren, Trainingsanzug und weißem T-Shirt. Ein fester Händedruck, ein herzliches Willkommen. Wir gehen an Bord.

Das Arbeiterboot aus der DDR hat der gelernte Schlosser in den 90er Jahren zu einer gemütlichen Vierzimmerwohnung inklusive Hochdeck und schwimmender Terrasse ausgebaut. Nach einer kurzen Führung begeben wir uns zur Kochnische.

Aus dem CD-Player ertönt Hank Williams, in einem Regal steht ein kleiner Elvis-Altar. Gunter kocht uns erst mal einen Kaffee, bevor wir zwei Gesprächsthemen in Angriff nehmen: Sein Verhältnis zu Johnny Cash und sein ereignisreiches Leben.

Gabriel: Wollt ihr überhaupt Kaffee oder lieber was anderes?

Wir hatten uns überlegt, ein Sixpack mitzubringen, wussten aber nicht, ob du Bier trinkst oder nicht …

Nein, nein, ich trinke überhaupt keinen Alkohol mehr. Nur bei Festen. Am letzten Wochenende ist es zu einem Wodka-Besäufnis gekommen, aber eigentlich trinke ich keinen Tropfen mehr. Ich kann euch aber gerne ein Bier anbieten. Ich habe gutes Bier da, so isses nicht. Geht ja beides, Kaffee und Bier. Ist geiles Bier, Beck's Gold.

Gerne, vielen Dank! 2003 hast du dich auf Johnny Cashs Anwesen in Hendersonville begeben, um ein Album mit Coverversionen aufzunehmen. Wie kam das zustande?

Kannst du mir mal die Milch rübergeben? Es kam zustande, weil es höchste Zeit war. Ich war damals mit Cash seit 25 Jahren locker befreundet. Wenn er in Deutschland war, hat er sich immer gemeldet. Wir haben auch gemeinsam auf der Bühne gestanden. Das Album ging auf seine Initiative zurück. Er meinte, ich solle doch mal eine Platte auf Deutsch mit seinen Songs aufnehmen. Ich hatte hier und da Stücke von ihm übersetzt und spiele sie immer noch, aber nie mit dieser Konsequenz. "Ich habe so viele Fans in Deutschland, die meine Texte nicht verstehen. Mach doch mal", hat er gesagt.

Hast du noch mehr als die achtzehn Songs aufgenommen, die auf dem Album gelandet sind?

Ne, achtzehn Stück, und das in fünf Tagen. Die Texte hatte ich teilweise noch nicht mal übersetzt, das war echt Stress. Zwei Monate davor hatte ich einen Herzinfarkt gehabt und war komplett am Arsch. Ich lag den ganzen Nachmittag nur im Bett und war kaputt. Mein Manager hat mich regelrecht hin geprügelt, denn Cash hatte nur eine Woche Zeit im Studio, das war echt hart. Heute bin ich froh, dass er es getan hat, sonst hätte es nicht mehr hingehauen.

Wie ging es Cash damals? Das war doch wenige Wochen vor seinem Tod.

Er konnte nicht mehr laufen. Er hatte so eine Art Gehhilfe, das war furchtbar. Keiner schien das aber zu beachten, wahrscheinlich gab es da ein Verbot. Sie haben alle so getan, als wäre er vollwertig, aber das war er natürlich nicht mehr.

Da hat er noch sein letztes Album "My Mother's Hymnbook" aufgenommen, oder?

Ja, genau.

Hättest du auch gerne etwas mit Cash persönlich gemacht?

Nein, das wollte ich nicht, selbst wenn es die Möglichkeit gegeben hätte. Richtig eng war ich mit ihm auch nie befreundet. Das ging auch gar nicht. Ich wollte es außerdem nicht. Ich hätte nie das getan, was Tom Astor gemacht hat, nämlich ein Duett mit ihm zu singen. Eine Legende rührt man nicht an, fertig aus. Wenn meine Presseabteilung schreibt, ich sei der deutsche Johnny Cash, sage ich ihnen immer, "seid ihr bescheuert, oder was?" Ich bin nicht der deutsche Johnny Cash. Ich verehre den Cash, aber nicht mit ganz blanken Augen. Ich halte da schon Abstand. Dieses ganze Fangetue finde ich scheiße. So bekloppt nach ihm bin ich nicht, ich sehe das alles zwar liebevoll, aber mit Abstand.

Du kanntest ihn ja auch persönlich und nicht als Mythos oder als Symbol für irgendetwas.

Ja, der hat auch schön rumgevögelt und seine Dinger gedreht. Wenn man so einen Menschen näher kennt, geht viel von der Magie verloren. Das wollte ich nicht. Er sollte mein König bleiben. So wie auch Waylon Jennings, den ich gut kannte. Beide sind übrigens an derselben Krankheit gestorben, dem hohen Blutzucker.

Na ja, sie haben auch hart daran gearbeitet …

Ja, die hatten einiges in der Nase. Ist schon geil, solche Typen kennen gelernt zu haben.

Dann bist du auch Rick Rubin begegnet?

Ja, der war auch da. Die haben ja gerade aufgenommen. Da standen Rolls-Royces und fette Pickup-Trucks rum. Seine Musiker haben mir geholfen. Das waren alles hochkarätige Jungs, die zum Teil schon für Lynyrd Skynyrd, Michael Jackson oder Elvis gespielt hatten.

"Hab einfach zu viele Frauen an der Backe"

Dein Album hat mich echt umgehauen. Weil du nicht einfach die Worte ins Deutsche übersetzt und einen Reim gebastelt, sondern die Texte umgedichtet und teilweise auch die Ortsnamen ersetzt hast. Wie als ob es deine eigenen wären.

Ich kann ja nicht so gut Englisch. Ich habe mir die Texte übersetzen lassen, und dann habe ich geschaut, was ich damit anfangen kann. Aus "Man In Black" konnte ich zum Beispiel nicht einfach "Mann In Schwarz" machen, denn es geht um etwas anderes. Also wurde es zu "Mann Hinterm Pflug", weil das die Symbolik besser trifft. "Ich bin der Mann in Schwarz" – das hört sich doch beschissen an. "A Boy Named Sue" wurde zu "Ein Junge Namens Susie", und die Begegnung zwischen Vater und Sohn findet in Heidelberg statt. So wird deutlich, was damit gemeint ist.

Natürlich ist es nicht immer so einfach. "I Walk The Line", etwa. Mir war klar, dass es "Ich Bleib Auf Kurs" heißen soll, aber ich brauchte einen Reim, denn Reime sind sehr wichtig. "Because you're mine, I walk the line", ein superguter Reim. "Schreist oder knurrst, ich bleib auf Kurs" war natürlich scheiße, aber es traf die Botschaft: Egal was ist, ich bleibe an deinem Arsch, ich beschütze dich, du kannst dich auf mich verlassen.

Wobei ich den Sinn des Stückes anders sehe als du. Du stellst deine Person in den Vordergrund, als Fels in der Brandung für die Frau, sozusagen. Dabei ist es bei Cash andersrum: "Weil du bei mir bist, bleibe ich auf Kurs". Sprich: Ohne dich wäre ich verloren.

Ja, vielleicht hast du recht. Aber das finde ich dann auch geil, denn ich neige dazu, den Macho zu spielen, der ich eigentlich nicht bin. Ich beschütze eine Frau, in dem Sinne, aber ich brauche auch eine Frau, die mir sagt, wo es lang geht. Danach habe ich eine Sehnsucht, wie du wahrscheinlich auch. Ist mir leider noch nicht begegnet, so richtig.

Jedenfalls ein Klasselied.

Ja, auf jeden Fall. Viele der anderen Texte dieser Produktion habe ich aber schon wieder vergessen, weil ich sie nicht oft spiele. Ich müsste sie mal wieder einüben.

Was mir auch sehr gut gefallen hat: "Ich tue, was ich kann, ich bin ein Sonderfall von Mann". Bei Neil Diamond war das "I'll be what I am, a solitary man".

Auch ein schönes Lied. Ich sing das eigentlich nie. Aber es stimmt, ich bin wirklich ein Sonderfall, mit den Scheißweibern habe ich immer Stress. Aber trotzdem braucht man sie immer wieder, ne? Ich versuche gerade, mich von ihnen zu distanzieren, weil ich einfach zu viele Frauen an der Backe habe. Ich liebe es, morgens alleine aufzustehen. Tagsüber können sie gerne kommen, ich drehe auch gerne mal eine Nummer, aber auch nicht mehr so oft, ich bin nicht mehr so wie früher. Früher war ich anders, früher war ich verliebt. Früher wollte ich mit einer Frau lange zusammen sein. Mittlerweile suche ich Abstand. Das ist das Gute am Alter: Du brauchst keine Frau mehr als Statussymbol. Wenn ich in die Stadt gehe, dann lieber mit Männern. Ich kann die Nerverei und die Eifersucht nicht mehr ertragen.

Du hast einige Exemplare von Charlotte Roches "Feuchtgebiete" hier rumliegen. Hast du das Buch gelesen?

Nur mal so angelesen, damit ich mithalten kann. Ich habe sie für meine Kinder gekauft. Das mit den Hämorrhoiden und wie man fickt ... ich war mit einer Hure verheiratet, verstehst du, ich weiß, wie's geht. Aber das deutsche Volk ist neugierig und will so einen Scheiß lesen, sonst wär's ja nicht so erfolgreich, das ist ganz klar.

"Die Sterne tanzten Walzer und die Kugeln Rock'n'Roll" singst du in "Was Soll's", das vom Kosovo handelt. Du bist mehrmals für die deutschen Truppen dort aufgetreten. Wie kam es dazu?

Die Regierung hat mich angefragt. Das hat mal wieder für Rummel gesorgt, die Presse hat mich zerrissen, aber das finde ich ja ganz gut. Eigentlich ist es ganz simpel und die Soldaten haben sich tierisch gefreut. Zehn Mal war ich insgesamt unten, bis sie mich gekillt haben. Wir mussten spartanisch in Containern wohnen. Das war OK, aber ich hatte in der Zeit was an der Prostata, und die Toiletten waren draußen, 300 Meter weiter. Ich musste zehn Mal in der Nacht raus, da habe ich nachgerechnet und bin auf eine Strecke von sechs Kilometer gekommen. Das habe ich die erste Nacht lang gemacht.

In den folgenden habe ich dann große Wasserbehälter genommen und dort reingeschifft, wenn sie leer waren. Nach einer Woche standen sechs oder sieben von den Riesenpullen rum. Ich musste den Container wieder ordentlich übergeben, da fielen diesem Leutnant diese Saftflaschen auf. "Schenke ich Ihnen", habe ich ihm gesagt, und sie ihm in die Arme gedrückt. Damit hat er uns bis zum Hubschrauber begleitet. Zum Schluss habe ich ihm gesagt, er soll die Dinger in den Müll werfen. Die Aktion hat er mir schwer übel genommen, danach war dann Schluss.

"Nur weil ich kein Geld hab, bin ich noch lange nicht pleite!"

Wie ist dein Verhältnis zu den Medien? Über dich war und ist viel zu lesen, nicht immer Schmeichelhaftes …

Ich bin gerade in Verhandlungen mit ProSieben und RTL bezüglich Fernsehsendungen. Aber da ist noch nichts entscheiden, weil ich nicht weiß, ob ich das überhaupt machen will. Es ist aber schon interessant, dass die immer wissen wollen, was ich zu sagen habe. Wahrscheinlich, weil ich anders denke als die meisten anderen.

Aber wie gehst du mit Schlagzeilen wie "Gabriel schlägt seine Frau", "Gabriel ist pleite" oder "Gabriel rastet auf Bühne aus" um?

Ja, was soll ich da machen? Mich hat's am Leben gehalten. Seien wir ganz ehrlich: Ich hab seit zwanzig Jahren keinen Knaller mehr gehabt. Oder noch länger. Trotzdem finde ich immer noch statt. Ich mache fünfzehn bis zwanzig Konzerte im Monat, und alle schreien wie verrückt. Was ist da passiert? Es gibt viele Leute, die "Arschloch" schreien. OK, bin ich vielleicht auch, aber andere sagen: "OK, genial, klasse der Typ". Ich lecke keine Ärsche. Ich gehe ganz offen mit solchen Themen um. Ich bin nicht pleite. Nur weil ich kein Geld hab, bin ich noch lange nicht pleite.

Vor ein paar Jahren hast du mal eine Aktion gestartet – ein Auftritt für 1000 EUR. Machst du das immer noch?

Ich habe das in einer Fernsehsendung angekündigt. Das war eine super Idee … Meine Tochter hat mich gleich danach angerufen und gefragt, ob ich total bekloppt wäre. "Wie kannst du sowas machen, das ist doch peinlich". An dem Wochenende kamen 2.000 Anrufe. Zwei Millionen Euro, die ich hätte verdienen können. Aber ich kann ja nicht 2.000 Jobs in einem Jahr machen. Daraus ist aber entstanden, dass meine Schulden fast alle weg sind. Es sollte auch mal ein Signal sein an all die Jammerlappen, die immer nur "Hilfe, Hilfe, Hilfe" schreien. Denk dir doch irgendeinen Scheiß mal aus, irgendwas, und wenn du nicht Sänger bist dann machst du halt Mückenentfernung bei einer Tankstelle auf der Autobahn. Keine Sau ist da, die den Ölstab rauszieht und dir sagt, "he, du brauchst neues Öl". Mach doch einfach mal das – oder irgendwas anderes, das dich aus der Misere holt. Besser als rumzusitzen. Das war der eigentliche Sinn der Sache.

1000 EUR sind nicht sehr viel, wenn man die Ausgaben gegenrechnet.

Am Anfang habe ich es wirklich für 1.000 EUR getan, mit Sprit und allem. Bei den Leuten im Wohnzimmer oder hinterm Esstisch gespielt. Kleine Runde, kein Mikrophon, zwanzig Leute, einfach so. Ein paar Jobs sind tatsächlich so gelaufen. Aber dann haben die Leute begonnen, Partys draus zu machen, und 100 Leute in Räume zu stopfen, in denen eigentlich nur 30 Platz gehabt hätten. Also musste ich ein Mikrophon und eine kleine Verstärkeranlage mitnehmen. Heute kriege ich eher 3.000 bis 4.000. Aber die Aktion hat super geklappt, ich habe tolle Leute kennen gelernt und wir haben auch abgedrehte Dinge gemacht, wie ein Auftritt für zwei Personen in einem Dixie-Klo. Oder auf einem Kran, weil der Kranführer "Intercity Linie" bei sich hören wollte. Kein Problem, hab ich gesagt, ich komme hoch. Doch vor Ort stellte ich fest: Der Kran ist 120 Meter hoch. Ohne Fahrstuhl. Nach 50 Metern hatte ich die Hose vollgeschissen und bin wieder runter. Das war der einzige Job, der nicht geklappt hat.

Am Samstag hast du auf einer Aral-Tankstelle gespielt …

Hör zu, ich mache Musik. Und ich spiele vorwiegend meine Songs. Ich habe eine Aufgabe in dieser Scheißgesellschaft. Und die besteht nicht darin, wie Udo Lindenberg im Hotel Atlantic zu leben und auf dicke Backe zu machen oder mir Autos sponsoren zu lassen. Meine Aufgabe ist, neue Songs zu schreiben, das, was hier im Land so läuft, zu reflektieren und für die Leute da zu sein. Für sie bin ich da, und sie flippen aus. Es kommen viele Leute auf mein Boot, die wissen wollen, wie sie aus der Scheiße rauskommen. Ich mache dann Kaffee. Ich hätte nie den Mut, zu einem Promi zu gehen. Wenn also jemand kommt und Fragen hat oder ein Autogramm haben will, finde ich das super. Wie auch, dass die Leute auf die Bühne springen, um mitzusingen. Ich finde das wichtig, denn das baut Barrieren ab. Ich bin doch für die Leute da und nicht umgekehrt.

Sicherlich spielst du bei jedem Konzert "Hey Boss, Ich Brauch Mehr Geld" und "Komm Unter Meine Decke". Geht dir das nicht auf die Nerven?

Ne, das macht mir gar nichts aus. Klar, "A Boy Named Sue" hat einen ganz anderen Wert. Aber "Komm Unter Meine Decke" ist so ein Kracher, bei dem immer alle aufspringen. Ich lebe ja auch von meiner Vergangenheit. "Hey Boss, Ich Brauch Mehr Geld" ist ein traumhafter Song. Du musst auch erst mal auf so eine Zeile kommen. Du bist ja auch zum Entertainen da und kannst nicht immer den großen Professor spielen. Gewisse Sachen von Cash kannst du selbst bei Country-Festivals nicht spielen, weil die Leute kein Ohr dafür haben. Aber "Walk The Line" oder "Ring Of Fire", das kennt jeder.

Du bist offenkundig nicht auf den Mund gefallen. Könntest du dir vorstellen, so etwas wie DSDS zu machen, als Juror?

Nein, das würde ich nicht machen. Man hat es mir gerade wieder angeboten. Aber da will ich dich was fragen: Hätte Johnny Cash das gemacht?

Äh, Wahrscheinlich nicht, aber man muss ja sein eigenes Handeln nicht unbedingt von dem anderer abhängig machen.

Bestimmt nicht. Aber wenn mich mein Manager fragt, frage ich zurück: "Meinst du, Lindenberg hätte das gemacht? Oder Westerhagen? Das machen die nicht, ich brauche es auch nicht". Natürlich kann ich das, aber das lenkt doch nur von dem ab, was eigentlich mein Job ist, nämlich Lieder zu schreiben. Ich bin ein Einzelgänger und muss nicht ständig zwischen Leuten rumhampeln. Ich muss nicht ständig vor der Kamera sitzen. Ich bin nicht so egomanisch wie Dieter Bohlen.

Was hältst du eigentlich von ihm?

Ich kenne Bohlen ganz gut, er war in derselben Verlagsfirma wie ich. Wir mussten Songs schreiben, auf Kommando und für andere Leute. Ich war dort acht Jahre vor ihm. Er kam Ende der 70er Jahre, als Nobody. Doch ich habe mir gleich gedacht, was für ein geiler Typ, dieses Kinn, die Haare. Dann hat er einige Jahre lang für Andere geschrieben, bis er durch Zufall zu Modern Talking kam. Das muss man ihm anerkennen: Mit drei Harmonien hat er 200 Millionen Platten verkauft. Das muss man erst mal hinkriegen.

Du machst aber ganz andere Musik, nämlich Country, der hierzulande ja in der Schlagerecke angesiedelt ist. Du warst derjenige, der das Genre im deutschsprachigen Raum eingeführt hat, oder?

Ich kannte das ja alles und hatte die Platten, aber da steckte kein Plan dahinter. Das Schöne an Country ist, dass er so simpel ist. Der Schwerpunkt liegt auf den Texten. Es ist Text-Musik und nicht Musik-Musik. Mein erster Kracher war "30-Tonner". Die Begleitung ging "ticky tack doing doing". Wir in Deutschland haben eine ganz andere Wahrnehmung von Tempo und Rhythmus als in Amerika. Da geht es auch nicht darum, dass einer ein sensationelles Solo hingelegt. Das ist alles scheißegal, Hauptsache die Geschichte stimmt. Heute spiele ich die Sachen ganz anders als früher, heute habe ich auch gute Picker dabei. Die spielen das supergeil, aber das hat mit dem Songprinzip, mit der ganzen Aussage nur am Rande was zu tun. Es geht mehr um die Gewalt, um die Energie, die aus den Songs herauskommt. Und das kriege hin. Da war ich auch der erste. Aber ich habe bestimmt nicht gesagt, "Hallo, das ist jetzt Country". Das ging von null auf eins, ich dachte, ich flippe aus. Das lag aber am Feeling. In Deutschland haben es Tom Astor und Truck Stop versaut, nur weil sie Cowboyhüte aufhatten.

Hast du Pläne, ein neues Album aufzunehmen?

Ich bin schon dabei, mit den Leuten von BAP in Köln. Es sollte ursprünglich im Herbst kommen, aber jetzt kommt es erst im Frühjahr, wir schaffen es nicht so schnell. Und die Songs sind auch noch nicht gut genug. Mein Management meinte, ich solle doch mal Lieder Anderer interpretieren …

… das Konzept Rick Rubins …

… ja, genau, wie bei Rick Rubin. Bloß: Wo sind denn die guten Songs in Deutschland? Die muss erst mal einer finden. Cash hat auch nicht Nine Inch Nails gehört, Rubin hat ihm das Stück vorgelegt. Ein erschreckendes, tolles Video, übrigens. Außerdem: Die Musiker in den USA sind zehnmal besser als hier. Wie gesagt: Mein Cash-Album habe ich in fünf Tagen aufgenommen.

Wie steht's mit deiner angekündigten Autobiografie?

Wir arbeiten dran. Sie sollte im Herbst kommen, aber wir sind noch nicht fertig. Ich habe schon drei Ghostwriter verschlissen, weil sie es nicht so schreiben, wie ich es haben will und ich selber dafür keine Zeit habe. Ich könnte jeden Tag Songs schreiben. Und short stories. So wie Bukowski. Ich rattere das so runter.

Ist es nicht komisch, eine Autobiografie zu schreiben, wenn man noch so viele Pläne hat?

Ich schreibe schon seit meinem dreizehnten Lebensjahr Tagebuch, bin es also gewohnt, über das Geschehene nachzudenken. Ich kann nur jedem empfehlen, sein Leben aufzuschreiben. Jetzt bei der Biografie merke ich wieder, was ich alles erlebt habe, was für schräge Situationen ich hatte, was alles so gelaufen ist.

Was hast du dabei entdeckt?

Ich habe in meinem Leben viel Scheiße gebaut, so ist es nicht, aber es war auch immer ein bisschen provokativ. Ich bin selbst erstaunt, dass ich heute noch so drauf bin. Hätte ich nicht gedacht. Ich bin damals von meiner Firma weggelaufen, weil die noch einmal "Komm Unter Meine Decke" haben wollte. Immer dieser Scheiß da, da muss doch auch mal was anderes kommen, engagiertere Songs, man entwickelt sich schließlich weiter. Ich kenne die ganzen Haudegen. Ich kenne Peter Maffay gut, dieser Blödmann braucht mir nichts zu erzählen. Ich bewundere ihn natürlich, ich bewundere immer den Erfolg anderer Leute. Ich habe da keine Probleme mit Neid, aber das ist nicht mein Weg. Das ist auch gut so. Ich hätte nichts dagegen, mal wieder richtig Knete zu haben, aber wenn es nicht so ist, muss ich auch damit klar kommen.

Gunter, vielen Dank für das nette Gespräch. Und den Kaffee. Und das Bier!

Keine Ursache. Habt ihr Lust auf Mittagessen? Ich kenne da ein Lokal, gutbürgerliche Küche. Ihr seid eingeladen.

Gerne!

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