laut.de-Kritik

Tiefschwarze Bestandsaufnahmen vom verschütteten Leben.

Review von

Wie bespricht man am besten die neue Platte von Hannes Wader? Man gibt einfach an Josef Hader ab, der einen Gedanken zwar für den Eigengebrauch vorbereitet hat, der aber in diesem Fall so gut einsetzbar ist, dass man ihn gerne aus dem Kontext reißt: "Das Leben verliert dadurch, dass man es kennenlernt. Super Aphorismus", beklatscht er sich schließlich noch selbst.

Ob das Leben wirklich an Wert verliert, kann er, der jetzt 70-jährige Hannes Wader, nun wirklich beurteilen. Diesen Leitsatz prüft er auf Herz und Nieren in seinen Erinnerungsstücken "Nah Dran" und "Der Drachen" und den überarbeiteten Fremdkompositionen "Ich Werd' Es Überstehn (Last Thing On My Mind)" von Tom Paxton und "Die Welken Blätter (Les Feuilles Mortes)" von Joseph Kosma und Jaques Prevert. Letztgenanntes schlägt einen dämmrig-wehmütigen Grundakkord an. Die Grundierung dazu kommt vom Original "Les Feuilles Mortes", im Volksmund besser bekannt als der Jazz-Standard "Autumn Leaves".

"Ich Werd' Es Überstehn (Last Thing On My Mind)" greift da noch tiefer in die Saiten: "Unsere Zeit, die Jahre, Tage und Stunden sind gezählt / Hast bei mir ohnehin nie das gefunden, was dir fehlt / Nichts hält dich mehr bei mir, schließ die Tür hinter dir / Nun für immer, ich lasse es geschehen / Wie soll ich dich denn noch halten? / Wenn du gehen musst, musst du gehen / Es wird schwer, doch ich werde es überstehen." Zum Schwanengesang slided die Gitarre von Nah nach Fern. Es ist das lakonische Gegenstatement zu Dylans "Don't Think Twice, It's All Right". Dort geht der zynische Erzähler, hier muss er aus dem Fenster hilflos zusehen, wie sie erst zum Fluchtpunkt wird und dann ganz verschwindet.

"Nah Dran" ist Waders Coming of age-Klamauk im Reggae-Mantel. In über zehn Minuten erzählt er im Jugendjargon von umjubelten Testosteronzeiten: "Die Bühne stürmend, hat sie erst mal drei Ordner umgerissen / Und dem Sänger ihren Tanga ins Gesicht geschmissen / Und weil sie Musik so liebte, habe ich dann nachts auf ihrem Rasen / 'Gute Nacht, Freunde' auf meiner Blockflöte geblasen." Falls er das "Gute Nacht, Freunde" von Reinhard Mey meint, das dieser 1972 unter dem Pseudonym Alfons Yondraschek für das Schlagerduo Inga und Wolf geschrieben hat, dann stellen wir uns an dieser Stelle eben den 30-jährigen, postpubertären Wader mit seinem Holzblasinstrument vor.

Dessen beste Kompositionen benötigen jedoch weder eine Orgel mit Akzent auf zwei und vier noch auswärtige Textvorlagen. "Mahlzeit" und "Lied vom Tod" sind trockene, tiefschwarze und messerscharfe Bestandsaufnahmen vom verschütteten Leben. Vor lauter Globalisierung, Import- und Exportwahn, fragwürdiger Tierhaltung, Kinderarbeit und verschwenderischem Trinkwasserverbrauch weiß der Erzähler nicht mehr, was er am Schluss noch zu sich nehmen kann - so stark sind die menschlichen Abgründe ineinander verbandelt: "Für's Erste gehe ich mal nach Hause, trinke Leitungswasser / Esse einen Apfel, morgen werden wir dann weiter sehen."

Noch ungeheuerlicher ist Waders countryhafter Abschluss, das "Lied vom Tod". Wie die (verbale) Rechte von Ernest Hemingway trifft diese schwarze Komödie und Groteske ihr Ziel. Erst heißt es "Nehmen wir mal an, ich würde so wie Gunter Sachs dement / Müsste ich den Mut aufbringen, den entscheidenden Moment / Mir die Kugel zu geben, nicht noch so weit rauszuschieben / Zwar dass ich es vergesse, ist wahr dann wäre alles mir egal / Doch die Verantwortung, die Sorge um mein Wohlergehen, sie blieben an meiner Familie hängen und am Pflegepersonal."

Das war erst die Aufwärmübung. Im Hintergrund spielt ein krachendes Klimperklavier zu diesem Panoptikum. Weiter heißt es: "Habe zwar mein Leben lang politisch links gedacht und doch / Träte ich ganz zum Schluss in meiner Todesstunde noch / Der NPD bei, ich will in meinen letzten Sekunden noch / Das Triumphgefühl auskosten, dass ich jetzt eben grad' / Als einer von diesen rechtsradikalen Schweinehunden abkratze und nicht als aufrechter, linker Demokrat." Das, das waren jetzt die Weichteile.

Trackliste

  1. 1. Dass Wir So Lang Leben Dürfen
  2. 2. Ich Werd' Es Überstehen (Last Thing On My Mind)
  3. 3. Nah Dran
  4. 4. Der Drachen
  5. 5. Boulevard St. Martin
  6. 6. Die Welken Blätter (Les Feuilles Mortes)
  7. 7. Mahlzeit
  8. 8. Jeder Traum
  9. 9. Alter Freund
  10. 10. Seit Ewigkeiten (To Everything There Is A Reason - Turn, Turn, Turn)
  11. 11. Was Keiner Wagt
  12. 12. Lied Vom Tod

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2 Kommentare

  • Vor 11 Jahren

    Ist ein gutes Album geworden. Vielleicht hätte ich noch einen Punkt mehr vergeben angesichts der beiden nachdenklicheren Titel "Alter Freund" (Stichwort: F. J. Degenhardt) und "Boulevard St. Martin", auf die in der Rezension aber leider nicht eingegangen wird. Andererseits - hätte dem Rezensenten die Bonus-CD vorgelegen mit einigen zusätzlichen Strophen vom "Lied vom Tod", hätte er wahrscheinlich auch die Vier gezückt ... scheint ja sein Geschmack zu sein ;-)
    Gruß
    Skywise

  • Vor 7 Jahren

    Ich habe auch mal eine Rezension verfasst bei einachtellorbeerblatt.wordpress.com, lange nicht so gut aber es hat mir Spass gemacht und ich identifiziere mich mit seiner Gedankenwelt