laut.de-Kritik

Hinreißendes Portrait von einem der größten deutschen Stars.

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Marlene Dietrich hätte einem solchen Unterfangen niemals zugestimmt. Im Jahr 2000 reiste ihre nicht minder berühmte Freundin Hildegard Knef, mittlerweile 75-jährig, für die Dokumentation "A Woman And A Half" noch einmal an verschiedene Stätten ihrer Vergangenheit inklusive New York, wo sie Mitte des letzten Jahrhunderts am Broadway ihre größten Erfolge feierte. Während die Dietrich ihre letzten fünfzehn Lebensjahre einsam im Pariser Appartment-Exil verlebte, wäre ein solches Eremitenleben für die Knef niemals in Frage gekommen.

Sie habe über dieses Thema auch oft mit Marlene diskutiert, führt Knef im Film aus, einmal sei sie sogar gegenüber von Dietrichs Wohnung gestanden und hatte einen Preis für sie im Gepäck. Doch der in die Jahre gekommene blaue Engel habe nur von oben herab gewunken und die alte Freundin nicht einmal empfangen wollen.

Knef ist nicht verärgert, während sie diese Geschichte erzählt, und man spürt, dass dies nicht an den Rosen lag, die ihr Dietrich damals als Entschuldigung nach Hause schickte. Die 2002 für den Deutschen Filmpreis nominierte, neunzigminütige Kinodokumentation "A Woman And A Half" beleuchtet eine selbstbewusste und mit allen Wirrungen ihres Lebens ins Reine gekommene Seniorin, die zu klug ist, der verlorenen Jugend nachzutrauern.

Vornehm und lässig fläzt die eigenwillige Grand Dame mit Hut und getönter Sonnenbrille im Liegestuhl des Luxusdampfers "Queen Elizabeth 2", nippt an ihrem Wasser und schaut mürrisch in die Kamera. Und dann spricht sie, spricht kurze Sätze mit dieser unnachahmlichen Stimme, die man aus so vielen Filmen und Chansons her kennt. Hildegard Knef ist ein Weltstar, und man mag den Filmemachern vor Freude um den Hals fallen, dass sie es mit "A Woman And A Half" geschafft haben, den überaus humorvollen Mensch Hildegard Knef zu porträtieren, dessen beeindruckende Persönlichkeit ihn erst zum Star werden ließ.

Und natürlich ist Knef Vollprofi. Sogar auf peinliche Reporterfragen ("Waren sie ihrer Tochter in den Zeiten des Erfolgs nicht eine schlechte Mutter?") folgt kein Interviewabbruch. Das Glücksgefühl der Geburt Christinas sei mit keinem beruflichen Erfolg gleichzusetzen, faucht sie den Pressemann an, sichtlich erbost über solcherlei billige Provokation: "Danach kommt lange nichts und irgendwann dann 'Der geschenkte Gaul'", Knefs zum Millionenseller avancierte Autobiografie von 1970.

Dann sieht man eine Autogrammstunde, bei der ein alter Mann auf Knef zutritt und ihr nervös gesteht, dass er sie Mitte der 50er in Cole Porters Musical "Silk Stockings" erlebt habe und sie die Ninotschka wie keine zweite gespielt hätte. Knef legt den Stift beiseite und beginnt ein Gespräch mit dem Mann. Dieses Interesse an den Menschen um sie herum zeichnet sie aus und dürfte auch zur Kooperation mit dem jungen Jazz-Musiker Till Brönner geführt haben, mit dem sie 1999 ihr letztes Album "16 Millimeter" aufnahm und der im Film für die musikalische Untermalung sorgt. Selbst um unschöne Erinnerungen wie die an ihre Jugendjahre im Krieg, Hetzkampagnen der deutschen Presse oder ihren Kampf gegen den Krebs drückt sie sich nicht herum.

Neben der Kino-Doku gibt es großartige 70 Minuten Bonusmaterial mit weiteren Interviews und komplettierten Passagen sowie Filmausschnitten, die den Hauptfilm ergänzen. Zudem ein sehenswertes Knef-Interview aus den 70ern und eines mit ihrer eloquenten Münchner Agentin, die in den 60ern u.a. auch für Klaus Kinski und Gert Fröbe Filmrollen vermittelte. "A Woman And A Half" ist ein hinreißendes Portrait von einem der größten deutschen Stars und keinesfalls nur ein Muss für eingefleischte Knef-Fans.

Trackliste

  1. 1. A Woman And A Half
  2. 2. Zwischentöne

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