Porträt

laut.de-Biographie

J. Rawls

"It ain't where you from it's where you at." - Rakims immer gern verwendete Hip Hop-Phrase zum Trotz, spielt die Frage nach dem Woher im Genre nach wie vor eine zentrale Rolle. Hip Hop ist Repräsentation, und wer den Herkunftsort nicht in Form eines Football-Jerseys am eigenen Leib trägt, verrät sich durch den persönlichen Style. Kategorisierung ist wichtig in einem Genre, das die Selbstdarstellung zum zentralen Thema gemacht hat. Da verwundert es nicht, dass die Antwort auf die Frage nach dem größten Fehler der Karriere ein ausgebliebener Umzug von Ohio nach Los Angeles oder New York angegeben wird.

So geschehen bei Jason Rawls aus Columbus, der Hauptstadt des Bundesstaates Ohio und nicht gerade einem Epizentrum für Rap-Musik. Trotz eines konstanten Outputs an qualitativer Musik schaffte es J. Rawls kaum zu verdientem Ruhm. Schon gar nicht in seinem Heimatland der USA; anders als in Europa schätzt man dort seinen Blues- und Soul-orientierten Sound kaum. Sich den tonangebenden West- bzw. Ostküstlern an den Sack zu hängen, kam für den astreinen Musiker aber nie in Frage.

Die Geschichte beginnt also am 27. Februar 1974 in Columbus, Ohio und spielt dort auch weiter. Der heranwachsende Jason verliert sich im immer erfolgreicher werdenden Hip Hop-Genre. Er beginnt zu Beatboxen und versucht sich alsbald als Rapper. Der unscheinbare Staat im östlichen mittleren Westen nahe den Great Lakes gibt sich dabei als autarkes Biotop abseits der herkömmlichen Rap-Metropolen. Im industriell geprägten Staat lebt man eher gesetzt, dementsprechend ruhig klingt auch Ohios Rap. J. Rawls etabliert sich demnach als Beatbastler für etliche als Underground-Rapper verschriene Künstler, die seine soulig boombappenden Instrumentals offensichtlich mehr zu schätzen wissen als die führenden Musikmedien MTV oder BET. J. Rawls erschafft in seinem Studentenzimmer (er zieht ins nahe gelegene Cincinnati und beginnt dort ein Studium an der University of Cincinnati) Liebhabermusik, die den Geschmack der Rucksack-Rap-Gemeinde trifft. Wie gesagt: Kategorisierung is king.

Endgültig etabliert sich Rawls im Independent Rap-Bereich mit zwei Beiträgen ("Brown Skin Lady" & "Yo Yeah") für den designierten Klassiker "Black Star", der Kollaboration von Mos Def und Talib Kweli, die 1998 in die Hochphase der Rawkus-Ära fällt. Der Kontakt zu den Säulenheiligen des Rawkus Labels kommt über Rawls' Verbindung zu einem anderen Produzenten aus Cincinnati zustande: Hi-Tek. Der hat sich als Teil der Mood-Crew in der hiesigen Szene bereits einen Namen gemacht. Während Hi-Tek sich jedoch in der Folge weiterhin an die Fersen der auch im Mainstream erfolgreichen Rapper heftet, bleibt Rawls im beschaulichen Ohio und schließt sich mit dem weniger bekannten Emcee J. Sands als Duo Lone Catalysts zusammen. Es folgen einige vielversprechende Singles und ausgebaute Kontakte zu Ähnlichdenkenden wie etwa Asheru und J-Live aus dem Seven Heads-Umfeld.

Neben dem ersten Album des Zweierteams "Hip Hop" im Jahr 2000 sichert sich Rawls einen Solo-Deal beim deutschen Indielabel Groove Attack und veröffentlicht 2001 sein Debüt "The Essence Of ...". Groove Attack sorgt in der Szene gerade mit ihren "Superrappin'"-Compilations für Furore und bietet Rawls deswegen musikalisch das allerbeste Zuhause. Trotz Solo-Aufmachung entpuppt sich das jazzig-zurückgelehnte "The Essence Of..." als Gemeinschaftsprojekt des Freundeskreises. Gäste wie Apani B., Asheru, J-Live, J. Sands, Dose One, Fat Jon und Grap Luva geben sich die Klinke in die Hand und bleiben auch in der weiteren Folge von Rawls' Karriere die Hauptabnehmer seiner musikalischen Ergüsse.

J. Rawls' Arbeitseifer ist so eindrücklich wie seine massige Figur und Veröffentlichungen mit seinem Namen erblicken über die Jahre in beängstigender Konstanz das Licht der Welt. Die Lone Catalysts brillieren auf ihren Longplayern, die über das neu gegründete Label B.U.K.A. Entertainment erscheinen. Eine weitere Kollaboration rückt J. Rawls noch mehr in die Ecke der sanften Unterhaltung mit Rap-Grundkonzept: Gemeinsam mit Fat Jon firmiert er unter dem Namen 3582 und zaubert entspanntestes Rap-Tennis. Unnötig zu erwähnen, dass das zwar auf musikalisch hohem Niveau geschieht, aber kommerziell eher wenig Anklang findet. Über eine wachsende Fan-Gemeinde - insbesondere in Europa und Japan - kann sich Rawls dennoch freuen. Während sich in den USA keiner für den Pfundskerl zu interessieren scheint, muss er in Europa oder Japan sogar das eine oder andere Mal Autogramme geben.

Die Orientierung über die Genre-Grenzen hinweg bleibt immanent. Die logische Konsequenz sind weitere Projekte, die zwar stets Rap als kleinsten gemeinsamen Nenner aufweisen, aber die Fühler in ganz verschiedene Richtungen ausstrecken. 2006 etwa erscheint "The Essence Of Soul", der Versuch, dem kontemporären Soul jenseits gängiger Klischees eine Plattform zu bieten. Im gleichen Jahr veröffentlicht Rawls mit einem Team von Musikern die Scheibe "The Liquid Crystal Project". Darauf präsentiert Rawls seine Vorstellung der Fusion aus Jazz und Hip Hop. Mit etlichen Musikern spielt er eigene Songs, aber vor allem bekannte Klassiker des Genres neu ein: Commons "Taking It Ez" etwa oder Pete Rocks "T.R.O.Y.". Einmal mehr ist die Resonanz der Kritiker durchweg positiv. Über Verkaufszahlen muss an dieser Stelle wohl kein Wort verloren werden.

J. Rawls scheint sich damit abgefunden zu haben und produziert munter weiter. 2007 erscheint in Zusammenarbeit mit Stones Throw-Freigeist Declaime "It's The Dank & Jammy Show" und bald darauf ein weiteres Soul-Projekt "Rawls & Middle" mit der Sängerin Middle Child. J. Rawls' Signatur-Mischung aus Fender Rhodes-Klängen, lateinamerikanischen Einflüssen, schlichtem Jazz und klassischen Hip Hop-Beats sind weiterhin offensichtlich. Mit jedem neuen Projekt kann der Produzent, nein, der Musiker, diesem Mix neue Nuancen entlocken.

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