laut.de-Kritik

Wie ein Gedankenaustausch zwischen Gestern und Heute.

Review von

Die Voraussetzung könnten wohl kaum dröger sein. Jaimeo Browns "Transcendence" entwickelte sich über Jahre in einer wissenschaftlichen Arbeit, die der Musiker im Rahmen seiner Studien an der Rutger's University schrieb. Thema: "Wie die schwarze Kirche den Jazz beeinflusst hat." Noch jemand wach? Aber (und glücklicherweise wissen wir alle, dass Dinge die vor einem 'aber' gesagt werden, überhaupt nichts zählen) das Ergebnis der Arbeiten des 34-jährigen New Yorkers steht in starker Diskrepanz zu der Frostigkeit des Ansatzes.

Das Debüt des Jazz-Schlagzeugers, das immer wieder auf Samples der Gee's Band Gospel Singers und deren Doppel-Album "How We Got Over: Sacred Songs of Gee's Bend" zurückgreift, gleicht einem Gedankenaustausch zwischen der Vergangenheit und dem Jetzt. Eine eigenartige Spiritualität umweht die alten, geschickt eingefädelten Aufnahmen. Ein verkopfter Schnappschuss mit Seele, in dessen Zeitlosigkeit Erinnerungen an Max Roach, John Coltrane oder auch Randy Weston aufleben.

Jede einzelne Note in Browns minimalistischen und unbequemen Kompositionen zählt. Dessen sind sich auch seine Sidekicks jederzeit bewusst. JD Allens Tenorsaxofon dreht wie ein Wirbelsturm um den Blues. Chris Sholar, der bereits mit Stevie Wonder, Jay-Z, Mariah Carey und Snoop Dogg gearbeitet hat, verfeinert Browns Erstling mit seinen langsam anschwellenden Gitarrenriffs.

"This world is a mean world to live in." Um den eindringlichen Gesang in "Mean World" beginnt sich "Transcendence" zögerlich aufzubauen. Wie eine Schlange windet sich das Saxofon um die sich immer wiederholenden Zeilen. Rau, provozierend und tief emotional treiben sich Brown und JD Allens gegenseitig an.

Das von der Jazz-Pianistin Geri Allen angetriebene "Power Of God" führt durch eine breite Palette der Leidenschaft und Ehrfurcht. Durch verschiedene Intensitätsstufen legt es seinen Fokus auf das gottergebene Gee's Bend Singers-Sample um in einem warmherzigen Piano-Solo zu enden. In "I Said" übernimmt diesen Part Browns zweijährige Tochter Selah. Ein Moment zum Dahinschmelzen, ohne dabei kitschig oder aufgesetzt zu wirken.

Ein tiefer Bassschlag leitet "I Know I've Been Changed ein". Zuerst scheint alles wie gehabt, bis die indische Sängerin Falu überraschend die Gospel-Chöre mit einer karnatischen Melodie durchbricht. "You Can't Hide" eröffnet Sholars beängstigende Rock-Gitarre. Unmerklich heftet sich das Saxofon an ihre Fährte, bis ein gemeinsamer Sog entsteht.

Wie um die Worte des weltmüden Textes zu unterstreichen, haken Brown, Sholar und die beiden Allens ein letztes Mal auf das wehrlose "This World Ain't My Home" ein. Ein zerfahrener Country-Blues - linkisch, abstrakt und letztendlich in seine eigenen Gedanken versunken. Dann setzt der Song noch einmal mit elektronischen Beats ein - wir leben halt doch im Hier und Jetzt.

"Transcendence" verschmilzt modernen Free Jazz mit Blues, Gospel, Rock und Karnatischer Musik aus Süd-Indien mit den Sample-Methoden des Hip Hop. Dabei wirken die Samples niemals als nutzloser Schnörkel, sondern vielmehr als nostalgische Farbkleckse um die neue Zeichnungen entstehen.

In den Liner Notes schreibt Jaimeo Brown, von seiner Musik verlassen wieder ein wenig zu verkopft: "Auf einer Makro-Ebene, politisch, ist diese Musik eine Warnung an unsere Generation. Weltweite Kapitalgesellschaften und Banken zerstören überall auf der Welt lokale Kulturen. Dieselben Spirituals, die unseren Vorfahren Kraft gegeben haben, müssen uns heute stärken, während wir uns Gedanken über die sehr reale Möglichkeit weltweiter moderner Sklaverei machen, und uns ernsthaft Möglichkeiten überlegen, wie dieser inakzeptable Zustand zu vermeiden ist. Inmitten der Dunkelheit kann das hellste Licht erscheinen – und Hoffnung. Hoffnung ist das, was aus dem Herzen dieser Spirituals fließt. Ich hoffe, dass diese Musik ihre Zuhörer spirituell aufbauen, stärken und erleuchten wird."

Trackliste

  1. 1. Mean World
  2. 2. Somebody's Knocking
  3. 3. Patience
  4. 4. You Can't Hide
  5. 5. Be Free
  6. 6. Power Of God
  7. 7. I Know I've Been Changed
  8. 8. I Said
  9. 9. Baby Miesh
  10. 10. Accra
  11. 11. You Needn't Mind Me Dying
  12. 12. This World Ain't My Home

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