laut.de-Kritik

Im tiefen Tal der Rührseligkeit

Review von

Eine kontinuierlich meisterhafte Werktrilogie. Vom "Goldenen Reiter" über "Die Flut" bis hin zur aktuellen Single "Gloria" preist Joachim Witt seine Schäfchen als lose verbundene Meilensteine an. Bei näherer Betrachtung erweist sich der "Dom" jedoch als klanglich wie textlich eher zierliche Dorfkapelle. Elf Songs zwischen Durchhalteparole und Betroffenheitsballade. Ein überzeugendes Comeback sieht anders aus.

Dabei hätte alles so schön werden können. Den teutonischen Platz im Ikonenregal hätte der Hamburger allein mit den unkonventionellen Postpunkplatten "Silberblick" und "Edelweiß" längst verdient. "Bayreuth Eins" geht daneben als popkulturell gelungene Schelmerei durch, deren konsequentes Pathos den bekennenden linken Romantiker unverdient in die 'braune Ecke' stellte. Zwischen diesen beiden Polen irrlichtert Witts 'Gotteshaus' unentschlossen hin und her.

Als Wurzel allen Übels entpuppt sich schnell die schwachbrüstige Produktion. Kein Pathoshammer zwischen Disco, Darkwave und Gummimetal à la "Eisenherz". Stattdessen liegt der Fokus auf insgesamt ruhigeren Arrangements. Leider zu oft recht lieblos angesiedelt bei lahmem Elektropop, Fernsehgarten-tauglichem Schlagergewand sowie melodramatisch angeklebten Piano-/Streichertupfern. Das an Höhepunkten arme Geplätscher "Glorias" darf man hier durchaus als symptomatisch für die gesamte Platte verstehen. Witt stellt Emotionen dar, die man ihm als Mensch durchaus abnimmt. Der funkende Transport zum Publikum fällt ihm dennoch nach wie vor schwer. Kitsch kills Connection!

Mit "Jetzt Geh" landet man punktgenau zwischen Diskofox auf dem Schützenfest und esoterischem Briefkastenonkel. Mittenmang noch ein paar schwer getropfte Zeilen der Marke "Du siehst zu den Sternen. Sie scheinen nur für dich." "Königreich" zieht im Refrain als typisch deutscher Pro7-Baukastenrock alle Mundwinkel nach unten. Extrem gesichtsloses Klangbild. Könnten von Oomph! über Silbermond bis Unheilig alle bringen, ohne groß was ändern zu müssen. Kein Kompliment für einen ehemals definierenden Künstler.

Mit "Beben" und "Leichtsinn" kommt man dann endgültig im tiefen Tal der Rührseligkeit an. Zwar stehen die soften, nichtelektronischen Elemente dem sympathischen Hanseaten durchaus gut zu Gesicht. Gleichwohl: Die kreuzbrav intonierte Erweckungsfee klingt als Duettpartnerin für seinen charismatischen Sprechgesang deplatziert. Sicherlich hervorragend für triefende Disneysoundtracks oder Jammerplatten aus der Glashaus-Ecke. Romantik indes geht anders als Gefühlsdusel.

Ein paar Lichtblicke gibt es dennoch. Wer von den gestelzten Lyrics in "Komm Nie Wieder Zurück" nicht abgeschreckt wird, erhält ein schickes Klanggemälde. Eingängige Elektronika der Variante 'Berliner Schule' treffen musikalisch auf dramatischen Heldensong. "Licht Im Ozean" überzeugt in seinem ansprechenden Tangoteil mit filigranen Spielereien. Und "Mut Eines Kriegers" trumpft trotz sprachlich abgegriffenster Stereotypen ("Wir sind das letzte Licht im Ozean / Gefangen in der Zeit / Warten unser Leben lang auf die Hand, die uns befreit") wenigstens mal als anständiger Gassenhauer auf.

So sitzt der von mir eigentlich hochgeschätzte Musiker am Ende zwischen allen Stühlen. Ein kongeniales Team wie Witt/Heppner/Lothar Gärtner zu alten "Strange Ways"-Glanztagen fehlt schmerzlich. Ebenso der textlich pointierte Nonkonformismus der frühen Tage. Und für echte Steppenwolf-Gefühle sind Witts poetisch gedachte Elegien sprachlich nicht erst seit gestern zu zweitklassig. Einer der interessantesten deutschen Künstler hat seinen Weg längst noch nicht gefunden.

Trackliste

  1. 1. Gloria
  2. 2. Jetzt Geh
  3. 3. Tränen
  4. 4. Blut
  5. 5. Königreich
  6. 6. Beben
  7. 7. Mut eines Kriegers
  8. 8. Licht im Ozean
  9. 9. Komm nie wieder zurück
  10. 10. Leichtsinn
  11. 11. Untergehen

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