laut.de-Kritik

20 neue Songs, wilde Reime und krasse Wortakrobatik.

Review von

"Lauryn Hill hat mich zum Denken gebracht, zum Weinen, zum Hinterfragen, zum Lachen, ach und hab ich schon DENKEN erwähnt?" Das waren die Worte meiner Freundin aus Amerika zum Unplugged-Konzert von Lauryn Hill. Fast zwei Monate ist das her, doch da wusste ich bereits was mich erwartet. Eine neue Lauryn. Tja, meine Freundin hat den Nagel auf den Kopf getroffen.

Um es vorweg zu nehmen, "Unplugged" ist kein zweites "Miseducation" und schon gar nicht die Lauryn aus der Fugee-Zeit. Die neue Lauryn nur mit Akustikgitarre muss man erst kennen lernen, wie sie selber sagt:" It's the first time y'all meeting me, y'all never knew me." "Unplugged" ist absolut unstrukturiert, ungeschnitten, mit Makeln und Fehlern. Nichts aus der Aufzeichnung ist heraus geschnitten worden. So hören wir Verspieler auf der Gitarre, vergessenen Text, dazu ihre sehr heisere Stimme, die gelegentlich bricht. Aber das ist "Reality", Lauryns Lieblingswort. "Fantasy is what people want, reality is what they need" sagt sie und hat das auch verinnerlicht.

Sie verstellt sich nicht, besitzt ein gutes Maß an Selbstironie. Dass Leute sie als HipHopFolk-Singer beschreiben werden, ist ihr bewusst - no problem for Miss Hill. "Unplugged" ist ein Album voller Lektionen, die sie seit der letzten Platte erhalten hat: 13 Songs und sieben Interludes, die fast gleich wichtig sind, denn sie erklären die neue Lauryn Hill und machen die Hintergründe deutlich. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf den Lyrics: "I want you to listen to the words," sagt sie am Anfang. Die Gitarre ist meist nur Beiwerk. Die Tracks sind vielseitig, teils bis zu neun Minuten lang und stellenweise so frisch, dass sie noch in den Kinderschuhen stecken. Die Texte sind schwer, tiefgründig, philosophisch, anprangernd, emotional und metaphorisch. So handelt "Just like Water", ein mit Metaphern geladener Track, von ihrer Beziehung zu Gott und was dieser in ihr vollbringt. Auf jeden Fall wird klar, dass Miss Hill sehr viel gedacht hat.

Zuhören ist auf diesem Album angesagt, es lohnt sich. Themen sind der Kampf mit sich selbst, Bitten und Flehen an Gott, Glaube, Selbstfindung und gesellschaftliche Missstände. Je nach Thema steigt und fällt die Intensität der Lieder und der Gitarre. Bei dem eher simpel- gehaltenen "Just Want You Around" steigt die Intensität schon an, doch bei der folgenden Bitte an Gott um Seelenfrieden "I Gotta Find Peace Of Mind" wächst die Emotionalität ins Unermessliche. Jede Minute des 8:40 Tracks führt tiefer in die Abgründe von Lauryn Hills Seele. Wenn sie dann am Ende in Tränen ausbricht und schluchzend weiter singt ist das überwältigend. "Free Your Mind!" Auch so eins ihrer Schlagworte. Bei "Mystery of Iniquity" rappt sie fast a cappella. Ein kritischer Text über das Verhalten in der Gesellschaft und im Rechtssystem. Es sind wilde Reime mit krasser Wortakrobatik, von hohem Intellekt zeugend.

Songs wie "Adam Lives In Theory" und "I Get Out" handeln vom innerem Sterben, vom Kampf gegen das Schachteldenken der Menschen und die Unterdrückung. Sie sind sehr persönlich, sprechen aber doch irgendwie jedem aus dem Herzen. Mein Favorit ist "I get out", von Ziggy Marley inspiriert, trotz der Wackler beim Spiel. Abgesehen von zwei Bob Marley-Covers am Ende sind alle Texte und Melodien von Lauryn Hill.

Insgesamt hat "Unplugged" nichts mit leichten Lyrics und fetten Beats zu tun. Textlich sprengt das Album mit lyrischer Genialität jede Punkteskala! Nur einige musikalische Mängel und teilweise enervierendes Gitarrenspiel werfen leichte Schatten auf die ganze lyrische Schönheit.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Mr. Intentional
  3. 3. Adam Lives In Theory
  4. 4. Interlude 1
  5. 5. Oh Jerusalem
  6. 6. Interlude 2
  7. 7. Freedom Time
  8. 8. Interlude 3
  9. 9. I Find It Hard To Say(Rebel)
  10. 10. Just Like Water
  11. 11. Interlude 4
  12. 12. Just Want You Around
  13. 13. I Gotta Find Peace Of Mind
  14. 14. Interlude 5
  15. 15. Mystery Of Iniquity
  16. 16. Interlude 6
  17. 17. I Get Out
  18. 18. Interlude 7
  19. 19. I Remember
  20. 20. So Much Things To Say
  21. 21. The Conquering Lion
  22. 22. Outro

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