laut.de-Kritik

Halb Al Green, halb James Brown: Der Soul lebt!

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Chemie ist, wenn es stinkt und kracht. Die Chemie, aus der Retro-Soul entsteht, ist im Jahr 2012 eine altbekannte. Anfang des Jahrtausends riefen ihn unter anderem Sharon Jones, Daptone und Konsorten ins Leben, später machte ihn Amy Winehouse der Öffentlichkeit bekannt. Duffy verwässerte das Genre bis zur Unkenntlichkeit. Momentan steuert es mit Michael Kiwanuka seinem nächsten Höhepunkt entgegen.

Aufregend ist der ehemalige Trend nach zehnjährigem Bestehen sicher nicht mehr, aber zwischen all den Alltags-Releases fühlt es sich immer noch einfach ausgezeichnet an, ein so dreckiges und lebendiges Soul-Album wie "Faithful Man" in die Finger zu bekommen.

Doch ist Lee Fields überhaupt Retro? Der Mann ist seit 1969 im Geschäft und findet nach seiner Anfangszeit mit The Expressions erstmals wieder junge Musiker, die verstehen, worum es ihm beim Soul geht. Seele mit Wucht und Authentizität. Hinzu kommen diesmal die Produzenten Jeff Silverman und Leon Michels, die sich bereits um Aloe Blaccs "Good Things" verdient gemacht haben.

Mit dem Opener und Titeltrack "Faithful Man" zeigt sich die Eingangstür einladend offen. Der Song liefert die Antwort auf die Frage nach dem Album, dem Soul und den ganzen Rest. Die 42 von Lee Fields. Wer "Faithful Man" nicht mag, ist hier falsch, muss zurück auf Los, hat aber die Chance auf die Schlossallee verpasst.

Der Track gibt sich bittersüß, zeichnet die Romanze eines verheirateten Mannes zu einer 23-jährigen Dame. Verführerisch haucht sie ihm in Gestalt von Nicole Wray die Worte "Don't you know if you play the game / Things will never be the same" zu. Mit seiner vom Leben gezeichneten Stimme, halb Al Green, halb James Brown, antwortet Fields mit einem verzweifelten "Don't make me do wrong." Seit dem Klassiker "(If Loving You Is Wrong) I Don't Want to Be Right", bekannt gemacht von Luther Ingram, trug niemand mehr eine solche Situation mit so viel Herzschmerz vor.

Die Kombination aus Fields' Vocals und dem Backing von Nicole Wray bleibt über die ganze Platte erhalten, führt immer wieder zu bewegenden Momenten. Nur für einen kurzen Moment in "Wish You Were Here" darf Wray vollkommen aus dem Schatten des alten Soul-Rabauken treten. Leider wirkt sie ausgerechnet in diesem Moment seltsam deplatziert und austauschbar. Das hindert "Wish You Were Here" aber nicht daran, ein hinreißender Seelenschunkler zu sein.

Mit Wah-Wah-Gitarre getränkt, an samtigen Klavierakkorden entlang hangelnd, gibt Lee Fields seine Pop-Single "You're The Kind Of Girl" zum Besten. Der guten alten "Moonlight Mile" von den Stones hauchen The Expressions mit Flöten, Sitar und einem Solo, für das Wurlitzer-Pianos gebaut wurden, ein letztes Mal Leben ein.

Wenn man der Platte etwas vorwerfen mag, dann vielleicht, dass sie hier und da zu viel will, dass es in manch einem Song zu einem Arrangement-Overkill kommt. Fields wirkt dann mit seinen Texten voller Liebe, Betrug, Verlust und Sehnsucht in die Ecke gedrängt, gegen alles anschreiend.

Mit dem regnerischen "Walk On Thru That Door" schließt "Faithful Man". Die Bassnoten tropfen herab, die Geigen erheben sich flehend gen Himmel. Nicht nur die sich verzehrende Fuzz-Gitarre erinnert an die Delfonics, während Fields die Worte "I'll just walk on thru that door / This is my last goodbye" aus sich presst. Na, das wollen wir nach diesem Album doch nun wirklich nicht hoffen, denn wie er selbst in "I Still Got It" sagt: "Take my hat, my shoes, my girl / I still got it / Take my car, my house, my bank / I still got it." Deswegen verabschieden wir uns lieber mit einem freudigen "Auf bald!"

Trackliste

  1. 1. Faithful Man
  2. 2. I Still Got It
  3. 3. You're The Kind Of Girl
  4. 4. Still Hanging On
  5. 5. Intermission
  6. 6. Wish You Were Here
  7. 7. Who Do You Love
  8. 8. Moonlight Mile
  9. 9. It's All Over (But The Crying)
  10. 10. Walk On Thru That Door

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