18. Mai 2017

"Wir fühlen uns wie Kinder im Süßwarenladen"

Interview geführt von

Mit "Good Times" legen die Schweden ihr mittlerweile achtes Album vor. Nach einem Besetzungswechsel geht es mit neuem Antrieb und bekanntem Sound weiter, aber alles hat einen doppelten Boden: Dunkle Texte begleiten frische Melodien, und trotzdem haben Mando Diao eine gute Zeit. Nebenbei lassen sie sich zum diesjährigen Eurovision Song Contest aus und sprechen Newcomer-Bands Mut zu.

An einem Vormittag geben sich Sänger Björn Dixgård und Gitarrist Jens Siverstedt am Telefon die Ehre. Sie sind gerade mit dem Auto durch Deutschland unterwegs - natürlich fährt keiner von beiden. Wobei, in Schweden ist Telefonieren am Steuer ja erlaubt. Björn feierte am Tag zuvor Geburtstag.

Alles Gute nachträglich zum Geburtstag, Björn! Hast du gestern ordentlich gefeiert und hast du einen Kater?

Björn: (lacht) Dankeschön! Tatsächlich habe ich keinen Kater. Eigentlich feiern wir schon ziemlich oft und viel, aber dieses Mal bin ich nach Hause zu meiner Familie gefahren, das war gestern. Also alles ganz entspannt. Jetzt bin ich wieder in Deutschland und unterwegs mit Jens.

Jens: Wir haben Björn nur diesen einen Tag seiner Familie überlassen. (lacht) Ich glaube, das hat er gebraucht.

Nach neunzehn gemeinsamen Jahren hat euer Bandkollege Gustaf Norén die Gruppe im Sommer 2015 verlassen, um sich anderen Projekten zu widmen. Wie habt ihr darauf im ersten Moment reagiert?

Björn: Es war vorhersehbar dass er nicht mehr den Kram machen wollte, den wir jetzt machen, also auf dem neuen Album und so. Es war jetzt keine große Überraschung. Natürlich ist es immer traurig, wenn eine Beziehung zu Ende geht, aber gleichzeitig kann man ja nicht die ganze Zeit rumliegen und nichts tun, nachdem so etwas passiert. In diesem Sommer hatte man uns schon für 20 Gigs gebucht, viele Festivals riefen uns an, fragten ob wir dort spielen wollen, und wir fanden das gut und haben das dann einfach durchgezogen. Auf der Bühne hat es sich gut angefühlt, das Publikum war da, also war alles gut. Deswegen kamen wir direkt in die positive Stimmung, in der wir uns jetzt auch befinden. Jens, der neue Kerl in der Band, hat ebenfalls viel Energie. Dementsprechend: Mit etwas Negativem kommt auch immer etwas Positives. Deswegen geht es uns jetzt gut.

Jens: Ich finde, dass das ein brandneuer Anfang für Mando Diao ist. Meine Bandkollegen machen das schon so lange. Was das neue Album angeht, fühlen wir uns wie Kinder im Süßwarenladen!

Björn: Außerdem, wenn man seit neunzehn Jahren gemeinsam Musik macht ... weißt du, meine Eltern haben mich in dem Jahr davor gewarnt, dass wenn man so lange zusammenarbeitet, solche Dinge einfach passieren werden. Also akzeptiert man das irgendwie. Es ist normal, dass das passiert. Funktionieren tut sowas nicht immer, aber in unserem Fall funktioniert es, und das ist das Schöne an der Sache.

Euer neues Album ist teilweise eine Reise zurück zu euren musikalischen Wurzeln, aber auf eine frische Art, ein bisschen funky und in anderen Teilen mit einem Hauch Melancholie. Seht ihr das als eine natürliche Progression?

Jens: Ja, auf jeden Fall. Das Album zu machen war sehr einfach für uns, weil wir so viele Songs hatten, in die wir unser Herzblut gesteckt haben, und eine wunderbare Zeit im Studio hatten. Während der Aufnahmen sind wir auf jeden Fall zurück zu den Wurzeln gekommen, was den Aufnahmeprozess angeht. Viele Live-Takes, wir waren alle in einem Raum, während wir gespielt haben. Wir wollten nicht diesen Hochglanz-Sound, sondern es eher roh und aggressiv halten. Wir hatten so viel Spaß! Es fühlt sich echt frisch und organisch an, und wenn man das auf die Band bezieht, war das wirklich ein wenig 'back to the roots'. Ja, fühlt sich gut an.

Björn: Wir bedienen uns einfach verschiedener Methoden beim Aufnehmen. Auf unserem letzten Album war das auch wieder anders. "Aelita" war mehr so wie ein Puzzle, das man zusammensetzte. Viel editieren, viel programmieren. Die Aufnahmen für unser jetziges Album waren mehr live-orientiert, die Arbeit als Band ist prominenter, ganz anders als bei "Aelita". Irgendwie haben wir so ein Album gebraucht. In einem Raum miteinander zu spielen, ist der geilste Scheiß.

"Auch wenn die Welt blutet, sollte man versuchen, Spaß zu haben"

Oh, wenn wir gerade von "Aelita" sprechen - da habt ihr ja eigentlich ausschließlich Synthesizer benutzt. Auf "Good Times" sind diese weniger geworden, war das Absicht?

Jens: Nee, unser Keyboarder Daniel würde dann ja irgendwann keine Arbeit mehr haben. (lacht) Wir haben da schon viele Synthies eingebracht. Aber die Schlüsselelemente für dieses Album waren tatsächlich nur Bass, Drums, und Björns Stimme. Wir haben sehr hart für diesen speziellen Sound der Drums und der groovy Basslines gearbeitet. Das Album ist komplett um Björns raue, majestätische Stärke in den Vocals gebaut. Also, falls es eine Art roten Faden gibt - dann ist das definitiv Björns Stimme.

"Good Times" ist das erste Album, bei dem jedes Mitglied eurer Band am Songwriting beteiligt ist. Wie kam das zustande, und wie war diese Erfahrung für euch?

Björn: Ach, das war eine wunderschöne Erfahrung. Ich habe darauf jahrelang gewartet. Es ist einfach Fakt, dass CJ, Daniel und Patrik noch nicht so viele Songs geschrieben haben, die haben erst später damit angefangen, erst im letzten Jahr. Und als du eingestiegen bist, Jens, du hast schon dein ganzes Leben lang Songs geschrieben..

Jens: Es war echt natürlich für mich, so als der neue Typ in der Band, wir hatten nie große Diskussionen über irgendetwas. Wenn jemand einen guten Song hatte, spielte er die Demo für uns und wir haben dann gemeinsam besprochen, wie das zu einem Mando Diao-Song werden soll. Wir hatten keinen großen Plan oder so, es war alles sehr dynamisch. Für mich als neues Bandmitglied war das sehr bereichernd. Keine Regeln wie, wer schreibt diesen Song, wer bekommt den größten Anteil der Songs. Sehr dynamisch. Wir haben mit den Tracks unser Bestes gegeben.

Björn: Für mich ist das wie ein Traum, der endlich wahr wird. Wenn man Mitglied einer Gruppe ist, möchte man, dass sich jeder so viel wie möglich beteiligt, sonst könnte man ja auch ein Solo-Künstler sein. Das ist natürlich okay, aber wenn man in einer Band ist, ist es die Chemie zwischen Allen, die zählt. Input von jedem ist das, was die Magie ausmacht.

Erzählt ihr mir mehr über den Ort, an dem ihr die Songs geschrieben habt? Mir ist da was zu Ohren gekommen über eine schwedische Insel.

Jens: (lacht) Ja genau, wir waren im Sommerhaus meiner Familie in Gotland, eine abgelegene Insel in der Ostsee. Viele Schweden reisen da im Sommer hin um ihre Ferien zu verbringen - wir waren im Winter dort, im Januar, da war es kalt und hat geschneit. Wir haben unsere Instrumente mitgenommen und ja, es war ein bisschen wie ein 'Band-Camp'. Wir haben nachts zu Abend gegessen, mitten in der Nacht gejammt, und dort die Arbeiten für unser Album begonnen.

Björn: Genau, aber die Songs schreiben wir überall, zu jeglicher erdenklicher Zeit, in verschiedenen Konstellationen. Manchmal nur ich und Jens in Stockholm, wo wir beide leben. Manchmal treffen wir uns auch irgendwo und alle schreiben zusammen. Manchmal schreibe nur ich oder nur Jens, das unterscheidet sich.

Jens: Das ist das Spaßige an der Sache, man weiß nie wann ein guter Song rauskommt! Und natürlich ist die Aufnahmefunktion des Handys klasse. Man kann Ideen überall aufnehmen, sei es im Auto oder im Club, einfach überall.

Das stimmt! Super Erfindung. Ein Zitat von euch, welches mir gut gefallen hat, war: "Wir haben eine gute Zeit in einer beschissenen Welt." Was macht ihr denn persönlich, um nicht durchzudrehen in der momentanen, eher chaotischen Situation der Welt?

Jens: Man wird so emotional wenn man sich die Nachrichten im Fernsehen anschaut, so viel Schlechtes was jeden Tag passiert, das ist so deprimierend und man weiß gar nicht wirklich, was man dagegen tun soll. Ich sehe mich selber als Musiker und ein bisschen auch als Entertainer. Wir sind keine politische Band, aber es ist unmöglich, nicht von dem ganzen Kram emotional betroffen zu sein. Ich erinnere mich, als wir die Basics für das Album aufgenommen haben, Drums und Bass, da waren wir gerade in einem Studio mitten im Wald. Die Wahlen in den USA liefen da gerade, und wir dachten alle "Das passiert jetzt gerade nicht wirklich", so fühlen wir uns was das angeht. Und das überträgt sich auf so viele Dinge die momentan passieren. Wenn man das alles sammeln würde, all die schlimmen Dinge und Kriege, meine Güte wäre das deprimierend. Kennst du den Ausdruck 'To dance on somebodys grave'? Auch wenn die Welt blutet, sollte man versuchen, Spaß zu haben.

Björn: Und wir hatten wirklich viel Spaß bei der Entstehung dieser Platte! (lacht) Wir wollen die Menschen inspirieren eine gute Zeit zu haben und die Sorgen für eine kurze Weile zu vergessen. Daher kann man dem Titel "Good Times" verschiedene symbolische Bedeutungen beimessen. Aber wenn man sich mal die Lyrics anschaut - die sind auf fast jedem Song wirklich dunkel.

"Ich habe gar keinen Bock mehr auf den ESC"

Ihr werdet am Samstag in Hamburg bei der Countdown-Party zum Eurovision Song Contest auftreten. Habt ihr eine Meinung zu diesem internationalen Wettbewerb?

Björn: Hmm, naja, wir würden uns beispielsweise nie an einem Wettbewerb beteiligen. Ich würde auch nicht sagen, dass wir große Fans der musikalischen Inhalte sind, aber ich finde, es ist ziemlich gut, wenn Länder zusammenkommen und gemeinsam etwas schaffen, diese Grundidee ist super. Meistens gibt es ja viel Streit zwischen den Ländern, aber dieses Event ist tatsächlich mal eine Sache, wo die Länder auf eine gute Art und Weise zusammenkommen. Das ist eine sehr große und wichtige Tatsache.

Jens: Und für uns ist es hauptsächlich eine Gelegenheit, um live zu spielen. Zu sowas sagen wir eigentlich immer ja. (lacht)

Habt ihr den schwedischen Beitrag gehört, "I Can't Go On" von Robin Bengtsson?

(Beide lachen)

Björn: Flüchtig. In Schweden geht so eine Art Running Gag wegen ihm rum, die nennen ihn 'den Anzugtypen'. Sein Kleidungsstil ist so streng und er sieht aus wie eine laufende Werbung für Anzüge. Aber ich habe den Song vor ein paar Wochen kurz im Radio gehört.

Naa, und was ist deine Meinung?

Björn: Kein Kommentar. Meine Kinder lieben es.

Na gut. Interessiert es euch, wer am Ende gewinnen wird oder ist euch das eher egal?

Jens: Nein, interessiert uns nicht. Weißt du warum? In Schweden bekommt der ESC zu viel Aufmerksamkeit, wie ich finde. Wir kommen aus einem echt kleinen Land, und der schwedische Vorentscheid zum ESC ist die größte TV-Sendung und das größte Musik-Event. Um ehrlich zu sein, habe ich da gar keinen Bock mehr drauf.

Björn: Das ist hier wirklich größer als in jedem anderen Land, es ist verrückt! Ich und unser Manager haben da letzten Abend noch drüber gesprochen. Und ich denke, wir brauchen mehr Rock beim ESC, mehr 'echte' Bands. Unbekanntere Bands, die dann vielleicht eine kleine Tour spielen können. All die Orte in Schweden, wo das früher möglich war als kleine Band, sind jetzt weg. Also denke ich, dass wir nicht nur diese großen Events brauchen, sondern auch mehr Diversität in der Musik-Szene.

Also bist du der Meinung, dass es mehr Platz und Orte für Newcomer geben sollte?

Björn: Ja, auf jeden Fall! Ein Newcomer zu sein ist so schwer, und die Chancen fehlen. Naja, die Chancen sind in Europa besser. Und in Deutschland. Und Frankreich. Da, wo man seine Musik in Clubs spielen kann. England auch. In Schweden wo wir leben, da hat man es als Newcomer sehr schwer, es gibt hauptsächlich nur noch Sport Bars wo man auftreten kann. Die haben hier wirklich fast jede kleine Venue geschlossen.

Jens: Genau, hier wird halt der ESC gefeiert, und in den großen Hallen spielen die wirklich bekannten Künstler aus den USA, wie Drake oder Ed Sheeran. Daran ist nichts falsch, aber sie eliminieren die kleineren Künstler mittlerweile. Wenn man jung ist und es da raus schafft, das ist das Beste.

Und schon sind wir bei der letzten Frage, welche eher persönlich ist: Was für Musik hört ihr gerade? Und beeinflusst die Musik, die ihr hört, in irgendeiner Weise eure eigene Art, Musik zu machen?

Björn: Wir haben auf diesem Album kaum musikalische Referenzen genutzt, es war mehr stimmungsabhängig. Zum Beispiel, als wir während des Aufnahmeprozesses über "Voices On The Radio" gesprochen haben, da war es 'der Autofahrsong'. Als wir über "Brother" gesprochen haben, war es 'der Film-Noir-Song'. Und "Shake" hieß bei uns 'der Dead-Disco-Song'. Einfach was abstraktes, was wir in unseren Köpfen hatten. Wenn man zu viele musikalische Referenzen hat, ahmt man das eher nach. Dann denkt man zu viel an einen bestimmten Song oder Künstler. Wir hatten bei diesem Album viel Inspiration von unserer Jugend, wie wir damals Musik gehört haben. Den größten Ausdruck aus den Gefühlen zu gewinnen, das war uns wichtig.

Jens: Was zeitgenössische Musik angeht, da kommen ja viele gute Sachen raus. In der RnB-, Soul- und Hip Hop-Sparte fand ich Frank Oceans Album fantastisch. In der Indie-Sparte haben wir eine Band entdeckt, die sich The Lemon Twigs nennen, die fanden wir auch sehr gut.

Björn: Ich liebe das neue Kendrick Lamar-Album. Und den neuen Song von Kasabian, "You're In Love With A Psycho", den habe ich gestern zum ersten Mal gehört. Und das Video ist auch äußerst nett. Es kommt immer gutes Zeug raus!

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