laut.de-Kritik
Diese Musik erscheint selbst seltsam distanziert.
Review von Markus StegmayrUm es mit der deutschen Band Blumfeld zu sagen: Wer sich an ein Solo-Klavier-Album heranwagt, der ist "Nackter als nackt". Der ist auf sich allein gestellt. Und kann nur auf ein bisschen Hilfe seines Instruments hoffen. Seine künstlerische und ästhetische Vision sollte besser Klarheit erlangt haben, sonst wird es sehr schnell peinlich, langweilig oder auch überfordernd für den Hörer.
Martin Tingvall ist einer von den Musikern, die die Abgründe der Avantgarde und der Atonalität gar nicht erst durchwandert haben. Er spielt so, wie er spielt. Vielleicht kann man das authentisch nennen? Meta-Ebene und Reflexion der großen Klaviervergangenheit finden sich hier zwar durchaus, aber sie werden nicht transzendiert. Eher wird hier mit Versatzstücken aus der klassischen Musik genau so locker umgegangen wie mit dem großen Erbe des Esbjörn Svensson Trio. An dem kommt ohnehin kein Schwede vorbei. Und so klingt auch bei dieser Platte von Tingvall mehrmals das flockig-anspruchsvolle und doch melodische Spiel dieses legendären Trios durch.
Tingvall geht es aber noch eine Spur sanfter und lässiger an. Es ist ihm fremd, sich in Rage zu spielen. Lieber bewahrt er die Fassung, eine kühle Brise Zurückhaltung durchzieht seine Kompositionen. Manch einer wird da gar das viel strapazierte und eigentlich absolut nichtssagende Wort "lyrisch" auspacken. So extrem melodisch und berührend sei das alles. Bei einem guten Glas Rotwein könne man diese Platte hören und dabei über die Ungerechtigkeit der Welt sinnieren und sich dabei fragen, ob einen diese schöne Platte nicht zu einem besseren Menschen mache. Das ist schön.
Unter Umständen darf man diese Platte aber auch ein wenig langweilig finden. Ein bisschen nichtssagend ist das schon alles. Hätte sich der gute Herr Tingvall nicht doch den einen oder anderen Kunstgriff einfallen lassen können? Genügt es wirklich, dass er neben den ganzen Schönklang hin und wieder eine entspannt groovende Jazz-Nummer stellt?
Der Titel dieser Aufnahme suggeriert ja, dass er sich mit dem Thema "Distanz" auseinandersetzen wollte. Vermutlich meint er damit, dass wir alle auf der Welt furchtbar distanziert miteinander umgehen und wir trotz schwindender Distanzen immer mehr Distanz zueinander empfinden. So soll seine Musik wohl zu einer Art "Gegengift" zu diesem Zeitgeist werden.
Interessant dabei ist, dass mir seine Musik selbst seltsam distanziert erscheint. Ich mag sie, sie gefällt mir, aber es fällt mir sehr schwer sie zu lieben. Vielleicht stellt Tingvall also die richtige Diagnose was den Zeitgeist betrifft, kämpft aber mit den falschen Mitteln? Lässt sich der heutige Zeit wirklich mit Schönklang und lyrischem Piano-Jazz begegnen? Ich bezweifele es. Es gilt der Lethargie dieser heutigen Zeit entgegen zu treten. Ob sich das Piano dazu überhaupt eignet? Auch das bezweifle ich mittlerweile fast schon. Zumindest nach dem ich diese Platte von Martin Tingvall gehört habe.
Ihr entschuldigt mich also bitte. Ich bin dann mal weg. Und höre mir "Avenging Angel" von Craig Taborn an. Oder wechsle gleich mal das Instrument und vertiefe mich in die atemberaubende Gitarre-Solo-Platte "Only Sky" von David Torn.
Ich habe jetzt fast schon ein schlechtes Gewissen, weil ich gerne positiver über "Distance" geschrieben hätte. Denn rein handwerklich gesehen macht Tingvall nichts falsch. Er hat eine klare ästhetische Vision, die mir aber absolut nicht einleuchten will und die mir auch nach dem Genuss von zwei Gläsern Rotwein noch immer recht überflüssig vorkommt. Das haben andere schon interessanter, besser und auch schöner gemacht.
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