laut.de-Kritik
Innere Zerissenheit als Markenzeichen.
Review von Simon LangemannIn der Sparte der singenden Poeten hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan. Die altbackene Bezeichnung Liedermacher wich dem modischen Wort Singer/Songwriter, und überall schießen junge Wortkünstler samt Gitarre aus dem Boden. Der Mann der Stunde heißt Max Prosa.
Erfolgreiche Formate wie die ZDFneo- und YouTube-Show TV Noir machen sein Genre einem breiteren Publikum bekannt. In dem 22-jährigen Berliner erkennt aber nicht nur besagtes 'Wohnzimmer der Songwriter', sondern mittlerweile auch das Feuilleton den Hoffnungsträger.
Bereits im Vorfeld stilisierten Presse wie Promoter Max Prosas innere Zerissenheit zum Markenzeichen seiner Musik. Denn welches Thema er auch anpackt, der dringliche Wunsch nach einem Ausbruch aus den Zwängen des Alltags bleibt stets präsent und prägt seine Sicht der Dinge. Diese im Keim rebellisgeche aber durchweg glaubhafte Attitüde äußerte sich schon im überragenden Vorabsong "Flügel", dem der Newcomer die frühe mediale Aufmerksamkeit nicht zuletzt verdankt.
Dabei machte die Single auf den ersten Blick noch einen recht gewöhnungsbedürftigen Eindruck. Es erschien durchaus schwierig, sich auf den zerzausten jungen Mann mit der überaus leidenschaftlichen, aber wenig Pop-konformen Stimme einzulassen. Spätestens beim zweiten Durchlauf hatte sich das aber erledigt: Viel zu fesselnd wirkte der mit rockigen E-Gitarren unterstützte Refrain, viel zu ehrlich und außergewöhnlich die metaphorischen Lyrics übers 'Davonfliegen' und die Sehnsucht nach Freiheit.
"Aber niemand kam davon / es sind nur Flügel aus Beton", lautet im finalen Refrain die traurige Erkenntnis. Eben diese Ernüchterung zieht sich inhaltlich als roter Faden durch die gesamte Tracklist. "Vielleicht bleiben wir stets einsam / sind nur manchmal nicht allein / seh'n einander aus der Ferne dabei zu, verlor'n zu sein", gesteht sich Max Prosa im allerletzten Atemzug des Albums ("Bis Nach Haus") ein.
Behält er lyrisch stets die verbitternde Realität im Auge, setzt sich der junge Berliner musikalisch keine Grenzen und entfacht ein denkbar breites Spektrum an Stimmungen. "Die Phantasie Wird Siegen" greift mit verschiedensten Mitteln nach dem Hörer: hier mit eindringlichen Moll-Harmonien ("Im Stillen"), dort mit erhabenem Hymnencharakter ("Totgesagte Welt", "Ikonen") und gerne auch schlicht reduziert auf Stimme und Gitarre ("Straße Nach Peru", "So Wieder Leben"). Ansonsten reicht die Spannweite von rockig beflügelnden Nummern ("Tasunoro", "Mein Kind") bis hin zu romantisch balladesken Songs ("Als Der Sturm Vorbei War").
Durch diese Nebelwand aus Melancholie und Verzweiflung brechen dann immer wieder einzelne Sonnenstrahlen, beispielsweise beim idyllischen "Visionen Von Marie" oder das weich stampfende "Schöner Tag". "Und wir sitzen in der Sonne und hör'n Radio Resistance / tanzen wilde Tänze auf der Brüstung des Balkons / und kein trübseliger Gedanke hatte jemals eine Chance", schwelgt Max Prosa in "Radio Resistance".
Selbst diesen vermeintlich sorgenbefreiten Chorus rücken diffuse Akkorde ins Zwielicht, sodass man der Glückseligkeit nicht so recht trauen mag. Auf seiner Webseite erklärt Max Prosa den nachdenklichen Hintergrund: "Der Moment IST und wenn wir ihn betrachten dann ist er automatisch schon wieder vorbei. Spätestens wir selbst setzen einen Schlussstrich. (…) In der Sonne sitzen und tanzen, da war alles noch uferlos unendlich. Und dann, ohne dass man es merkt, ist es schon wieder 'hatte', Zeitraum definiert, aus und vorbei."
Mit dem sanft eröffnenden "Abgründe der Stadt" dreht er den Spieß dagegen gleich um. Als Kontrapunkt zum wohlklingenden Dur-Instrumental zeichnen die Strophen ein eigenartig frustrierendes Bild seiner Umgebung und Heimatstadt Berlin. "Nur nicht hier / wo wir alle dumm rumstehen und zusehen, wie zerlumpte Clowns ihre eigenen Schatten jagen / Es macht Spaß ihnen zuzuschauen / bis irgendwer behauptet / das ist alles Spiegelglas und wir sind das."
Gebührenden Anteil an der großen Gefühlspalette haben die Studiomusiker, die Max Prosas extravagante Stücke dezent aber wirkungsvoll umrahmen und mit seinen Stimmungslagen stets Hand und Hand gehen. Gerade Clueso-Gitarrist Christoph Bernewitz drückt zahlreichen Songs seinen Stempel auf und beschert mit ausdrucksstarken Bottleneck-Melodien ein atmosphärisches Gegenstück zu Prosas akustischem Folk-Geschrammel.
Ansonsten vereinen verschiedene Produzenten Drums, Bass, Piano, Streicher, Mundharmonika, Glockenspiel und andere liebevoll eingesetzte Details zu einem angenehm ungeschliffenen und homogenen Klangbild. Dabei grenzen sie "Die Phantasie Wird Siegen" ganz bewusst von einer typischen Pop-Produktion ab, indem sie zugunsten der Authentizität vor allem bei Akustikgitarren- und Gesangsspuren auf klangliche Perfektion verzichten.
Gleich mit seinem Debüt hat Max Prosa dem Gros der deutschen Singer/Songwriter zwei entscheidende Dinge voraus. So überzeugt die ungebrochene Kontinuität seines Songwritings: Die Platte fesselt und beschäftigt den Hörer von der ersten Zeile an.
Und dazu gelingt ihm das Kunststück, trotz des hervorragenden Ohrwurmcharakters der Stücke zu polarisieren. Denn gerade der etwas eigenwillige Gesangsstil und die zuweilen arg verschlüsselten Lyrics werden nicht bei jedem Musikliebhaber auf Gegenliebe stoßen.
8 Kommentare
ist das nur bei mir so oder ist bei euch die platte auch zu basslastig ?
4/5 von mir.
Statt Flügeln aus Beton würde ich ihm lieber Schuhe aus selbigen Material schenken. Und dann ab in die Spree zum Baden...
Erst Montag und jetzt schon Album der Woche???
bestimmt schon an die 10 mal durchgehört seit freitag.. finde ich etwas krass, aber sehr gute langlebige platte
@Catch Thirtythree (« hübsch produziert und auch die stimme gefällt. aber wo die nasen da poesie oder zerissenheit erkennen wollen...:rolleyes: »):
Ach, es ist doch mittlerweile eine sehr gängige (Un)sitte, jeden Hybriden aus Matthias Schweighöfer und Reinhard May zum Pop-Poeten zu erklären. Das wird wahrscheinlich irgendwann wieder auf so ein "Wer es nicht mag versteht es nur nicht-ladida"-Gesülze hinauslaufen. Aber überlassen wir die Feuilleton-Lesern und Berlin-Hipstern unter uns der Onanie im Angesicht der eigenen Selbstherrlichkeit. Ohne mich.
kotz