laut.de-Kritik

Beschwingtes Gestern für Herzen von heute.

Review von

Mit der Doppel-CD "Heute Nacht Oder Nie" legen Max Raabe und das Palastorchester nicht irgendeinen Live-Mitschnitt vor. Dieser Auftritt fand an einem ganz besonderen Orte statt - in New Yorks altehrwürdiger Carnegie Hall. Und bedeutet so einen weiteren, verdienten Ritterschlag, was die Anerkennung der künstlerischen Qualität bedeutet, die sich das Berliner Ensemble im Laufe seines bisherigen Wirkens erspielt hat.

Nicht weniger als pralle 36 Titel präsentieren der Sänger und sein Orchester. Bezeichnend für ein großes Selbstbewusstsein gerade im Mutterland des Entertainments ist die Tatsache, dass über zwei Drittel mit deutschsprachigem Material dargeboten werden. Elf Songs entstammen dem klassischen American Songbook, was nicht etwa eine das Programm auflockernde, ausschließliche Referenz an das Gastgeberland bedeutet. Denn US-amerikanische Standards gehören von jeher ohnehin zum Stammrepertoire der Künstler.

Der Opener und Alben-Titelgeber "Heute Nacht Oder Nie" eröffnet in schon traditionell zu nennender Raabe-Manier das Konzert: Einem langen musikalischen Intro folgt der dezente, respektvoll den Song untermalende Einsatz des Sängers. Gleich zu Beginn betört das Palastorchester mit seiner ganzen musikalischen Klasse.

Nach dem schmissigen Gassenhauer "Ich Steh Mit Ruth Gut" steht dann die erste Verbeugung vor dem Gastgeberland auf dem Programm. Das durch die Andrew Sisters zu Ruhm gelangte "Bei Mir Bist Du Schoen" swingt dezent durch den Saal. Gene Kellys unsterbliches "Singin' In The Rain" erfährt in der Bearbeitung des Orchesters eine grundlegende Arrangement-Erneuerung - aber natürlich nicht in die Moderne. Raabe transferiert dieses Song-Juwel musikalisch vom Erscheinungsjahr 1952 zurück in die frühen Dreißiger.

Schier unerschöpflich scheint der Fundus vergessener Perlen einstiger deutschsprachiger Sangeskultur des ersten Drittels des vergangenen Jahrhunderts. Seit jeher pickt Raabe immer wieder besondere Delikatessen heraus. In diesem Falle das pfiffige "Du Bist Meine Greta Garbo" aus der Feder des österreichischen Multitalents Robert Stolz, auf dessen Konto so unvergängliche Evergreens wie "Im Prater Blüh'n Wieder Die Bäume" oder "Zwei Herzen Im Dreivierteltakt" gehen.

Mit "Ich Küsse Ihre Hand, Madame" weckt Max Raabe wehmütige Erinnerungen an den jungen Johannes Heesters, eingebettet in zurückhaltende Piano-Instrumentierung. "Cheek To Cheek" ist eine charmant intonierte Hommage an das ultimative Sternenpaar des frühen Musicals - Fred Astaire und Ginger Rogers. Als Kehraus der ersten CD fungiert ein launiges "Mein Gorilla Hat 'Ne Villa Im Zoo".

Erfreulich, dass auch eine Reihe der unnachahmlichen Raabe-Anmoderationen ihren Weg auf das Album fanden. Die Umsetzung der pointierten Schrullen ins Englische gelingt scheinbar leichthändig, mühelos und stets höchst amüsant. So etwa zum Walzer "Dort Tanzt Lu-Lu": "And now ... a waltz. A german waltz. It's not as elegant as a waltz from Vienna. But ... much louder." Applaus und Gelächter des Publikums sind ihm damit sicher, ebenso wie später zum Thema eines hierzulande sehr berühmten, kleinen grünen Kaktus.

Schon früh erkannte Max Raabe, wieviel Wortwitz und versteckte Anarchie sich in den - oberflächlich betrachtet - zunächst harmlos daherkommenden Schlagern der Zeit des beginnenden, vorigen Jahrhunderts bis in den zweiten Weltkrieg befinden. Nur scheinbar bedient "Am Amazonas" kolonialherrliche Machtphantasien - denn die Sieger sind andere: "Am Amazonas / Da wohnen uns're Ahnen / Und schmeißen mit Bananen / Wie's ihnen grad gefällt / Sie haben ungern was mit uns zu schaffen / Und halten uns für Affen / Aus einer and'ren Welt". Gewiss zeitlos wahr.

Anderen Songs verschaffen Raabe und seine Musiker stilistisch die Rückkehr in ihr ursprüngliches Entstehungs-Umfeld. So in diesem Falle "Dream A Little Dream", das viele gewiss mit einer The Mamas & The Papas-Urheberschaft belegen würden - eine zutiefst irrige Annahme. Denn das eigentliche Original winkt uns aus dem Jahr 1931 herüber: in Gestalt des Wayne King-Orchesters feat. Ernie Birchill.

Mit "Gib Mir Den Letzten Abschiedskuss" gelingt dem Künstler im Verbund mit seinen singenden Mitstreitern ein bewegendes, lang nachhallendes Alben-Ende. Zwei CD-Seiten lang hochklassiges Gestern, virtuos transferiert ins Heute - "Heute Nacht Oder Nie" bedeutet in seiner Gesamtheit mehr als ein höchst gelungenes "Yesterday Once More".

In gewisser Weise kann Raabe gar nachweislich als Trendsetter herhalten: Rollte er das "Rrrr" doch schon bereits 1986 - also lang vor dem späteren Bayreuth-Witt, den Rammsteins und heutigen Üebermutter-Überflüssigkeiten. Aber Raabes eigentliches Geheimnis ist seine Zeitlosigkeit. Zeitlosigkeit umweht ohnehin das menschliche Verlangen nach Liebe, nach Musik und beschwingtem Tanze. Träume und Sehnsüchte aller vergangenen, heutigen (und sicher zukünftigen) Jahrhunderte entspringen stets denselben, altbewährten Motiven - nur der Zeitgeistmantel wechselt gern sein wankelmütiges Outfit.

Doch diese unstete Stil-Requisite benötigen Max Raabe und das Palastorchester von jeher nicht. Sie setzen seit Beginn auf Authentizität, Stil, Klasse, Können und heute fast vergessener Eleganz.

In Zeiten von Hip Hop-Hipness, bekümmerter Emo-Tonalität und rüdem Schmuddelrock träume ich von Momenten aus glanzvollen alten Zelluloid-Streifen. Wer wäre nicht gern Humphrey Bogart neben der bezaubernden Audrey Hepburn - auf diesem lang vergessenen, auf ein neues Liebesspiel wartenden, nächtlichen Tennisplatz in Billy Wilders "Sabrina"?

Von fern erklingt Musik, und das kleine Stelldichein mündet in die große Liebe ihres Lebens. Für einen solch hilfreichen Soundtrack, sollten wir denn tatsächlich einmal real in diese Augenblicke stürzen, stehen gottlob Max Raabe und das Palastorchester bereit. Und es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn wir dann nicht endlich unser wahres Glück fänden.

Trackliste

CD 1

  1. 1. Heute Nacht Oder Nie
  2. 2. Ansage
  3. 3. Ich Steh Mit Ruth Gut
  4. 4. Bei Mir Bist Du schoen
  5. 5. I'm Singin In The Rain
  6. 6. Ansage
  7. 7. Du Bist Meine Greta Garbo
  8. 8. Ich Küsse Ihre Hand, Madame
  9. 9. Cheek To Cheek
  10. 10. All God's Children
  11. 11. Wenn Du Von Mir Fortgehst
  12. 12. Ansage
  13. 13. Who's Afraid Of The Big Bad Wolf
  14. 14. Ansage
  15. 15. Wenn Die Elisabeth
  16. 16. In Einem Kühlen Grunde
  17. 17. These Foolish Things
  18. 18. Du Bist Nicht Der Erste
  19. 19. Mein Gorilla Hat 'Ne Villa Im Zoo

CD 2

  1. 1. Song Of Mandalay
  2. 2. Moon Of Alabama
  3. 3. Tango-Ballade
  4. 4. Just One Of Those Things
  5. 5. Am Amazonas
  6. 6. Ansage
  7. 7. Mein Kleiner Grüner Kaktus
  8. 8. Love Thy Neighbour
  9. 9. Liebesleid
  10. 10. Ansage
  11. 11. Dein Ist Mein Ganzes Herz
  12. 12. Over My Shoulder
  13. 13. Ansage
  14. 14. Dort Tanzt Lu-Lu
  15. 15. Cosi-Cosa
  16. 16. Dream A Little Dream
  17. 17. Gib Mir Den Letzten Abschiedskuss

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15 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    Wunderbare Musik. Ich kann jedem nur empfehlen nach alten Musik-Aufnahmen aus den 20er und 30er Jahren zu suchen. Nicht nur Jazz- und Blues, auch alte Tanzmusik und Chansons. Findet man überraschend häufig auf CD-Ramschtischen und ein Gros der Musik ist mittlerweile ohnehin gemeinfrei, darf hemmungslos getauscht, kopiert und neu interpretiert werden. Da entdeckt man u.a. auch die ein oder andere deutschsprachige Perle ohne Beeinflussung durch Nachkriegsschlager, Ärzte-Pop oder Sprechgesang. Erfrischend.

    Edit:
    Zitat (« ...und ein Gros der Musik ist mittlerweile ohnehin gemeinfrei, darf hemmungslos getauscht, kopiert und neu interpretiert werden. »):

    Stimmt so nicht. Siehe unten.

  • Vor 15 Jahren

    @Jazz-Hörer (« Findet man überraschend häufig auf CD-Ramschtischen und ein Gros der Musik ist mittlerweile ohnehin gemeinfrei, darf hemmungslos getauscht, kopiert und neu interpretiert werden. »):

    Öhm, Dir ist schon klar, daß das falsch ist, ja?

    Zumindest für Deutschland (oder auch EU-weit?) gilt, daß der Urheber bereits 70 Jahre im Grab vor sich hingemodert sein muß, ehe das Material gemeinfrei wird. Und das ist bei den meisten Urhebern der Schlager der 20er und 30er Jahre einfach (noch) nicht der Fall.

    Das, was Du meinst, ist, daß die Leistungsschutzrechte abgelaufen sind, d. h. die Rechte an den Aufnahmen, die 50 Jahre und älter sind, sind mittlerweile erloschen. Aber das bedeutet nicht, daß Du hemmungslos tauschen, kopieren und neu interpretieren darfst - diese Geschichte regelt das Urheberrecht.

    Gruß
    Skywise