Porträt

laut.de-Biographie

Max Romeo

"One! Step! Forward! Two! Step! Backward!" Mit dem Namen Max Romeo verknüpfen auch die Gehöre und Gehirne hartgesottener Roots-Fans nicht immer sofort einen Song. Aber diese Hook Line, natürlich, die kennt man doch. Ja, das stammt von Max Romeo. Dabei singen das seine Background-Sängerinnen.

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"One Step Forward" eröffnet ein maßgebliches Album der Geschichte des Dub: "War Ina Babylon", Meisterwerk von 1976. Und, wann hat der durchschnittliche Festival-Campingplatz-Kunde (muss nicht im Reggae sein) nicht schon mal ein "iron shirt" angezogen? "Sending to outta space / to find anotha race"? Na eben!

Auch die Zeile "I'm gonna put on an iron shirt and chase the devil out of earth" steht für das Hochglanz-Songwriting des am 22. November 1947 oder gar schon 1944 nach manchen Quellen geborenen Jamaikaners. Dass man das nicht so genau weiß mit der Jahreszahl, ist typisch für diese ländliche Gegend und diese Zeit im Norden der Karibikinsel, in der Region St. Ann. Immerhin hat der Landkreis der Welt auch Bob Marley geschenkt.

Max, bürgerlich Maxwell Livingston Smith, rutscht mit der Entstehung des Nationalstaates Jamaika 1962 und der Rhythmuswerdung von Reggae 1967/68 in eine lange, fruchtbare Musikkarriere hinein. So zählt er zu den tragenden Figuren des Roots Reggae. Zunächst schlägt er den schiefen Weg ein. Mit seiner Stiefmutter kommt er nicht klar, weshalb er als Teenager, mit 14, von Zuhause ausreißt. Er arbeitet auf einer Zuckerrohrplantage, lebt zwischenzeitlich eine prekäre Existenz in verlassenen Höhlen und Autos. Dann verändert eine Begegnung mit einem weisen Mann sein Leben.

Auf der Veranda eines Freundes lässt ihn der Alte eine Liste mit Berufswünschen niederschreiben. Romeo, der sich damals an einem Tiefpunkt aus Armut und Ziellosigkeit befindet, erinnert sich an seine Worte: "Ich mag den Glamour bei der Musik und den Respekt, den man einem Prediger entgegenbringt." Die Aufgabe ist gefunden – Max zieht in die Hauptstadt Kingston und gewinnt mit 18 einen Gesangstalentwettbewerb.

Zwei Jahre später, zur Hochphase des Rocksteady, nimmt er als Teil des Trios The Emotions die erste Single auf. "(Buy You) A Rainbow" klettert sensationell bis auf Platz zwei der nationalen Hitliste. Der Jamaikaner schöpft Selbstbewusstsein für eine Solokarriere.

Max Romeo & The Upsetters - War Ina Babylon
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Während er tagsüber als Verkäufer für Lee Perry jobbt und die Band The Hippy Boys gründet - die später zu The Upsetters wird, Lee Perrys Studioband und wiederum die Keimzelle für Bob Marleys The Wailers -, schreibt er einen Songtext für Derrick Morgan. Die Genre-Legende verzichtet jedoch, weshalb Romeo das Stück selbst einsingt. A star is born.

Der aufgrund anzüglicher Texte von der BBC boykottierte Track "Wet Dream" erobert nicht nur die West Indies, sondern auch das Vereinigte Königreich. Das Verbot kommentiert der Künstler kokett mit der Behauptung, das Early Reggae-Stück handele von einem undichten Hausdach. Großartig stören muss die Zensur ihn ob des durchschlagenden Erfolgs ohnehin nicht. 1969 erscheint schließlich ein ganzes Debütalbum voller schlüpfriger Lyrics ("A Dream").

Ab den frühen 1970ern wendet sich der Rude Boy substanzielleren Themen zu. Nachdem das Plattenfirmenunterfangen Romax scheitert, spielt er mit Niney Holness diverse Singles abseits des Rocksteady ein. Die beschäftigen sich nicht mehr vorrangig mit dem weiblichen Körper, sondern transportieren schon im Titel kulturelle, religiöse wie politische Botschaften ("The Coming Of Jah" oder "Babylon Burning").

Auf dem Höhepunkt politischer Unruhen, namentlich zum '72er-Wahlkampf zwischen konservativer JLP und der sozialistischen PNP, kommt es zu gewalttätigen Unruhen in Jamaika. Romeo schreibt der PNP die offizielle Wahlkampfhymne, rechnet im Song "No Joshua No" jedoch später auch wegen mangelnder Reformen kritisch mit der Partei ab.

In den Jahren danach kommt es zu zahlreichen Reggae-Arbeiten mit Produzent Lee "Scratch" Perry (u.a. der Klassiker "Three Blind Mice"). Ein Plattendeal mit Island Records besorgt Romeos wichtigsten Album "War Ina Babylon" auch in U.K. ein massives Following. Als sich dieses Traumpaar im Streit voneinander trennt, verzeichnet das Genre einen der größten Verluste überhaupt.

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Nichtsdestotrotz bekennt sich der Ex-Rude Boy weiter zur Rastafari-Bewegung: "Weed is the healing of the nation" wird zum Leitspruch. 1978 erfolgt der Umzug nach New York City. Unter seiner Mitautorenschaft entsteht dort das Musical "Reggae"; außerdem kooperiert er mit den Rolling Stones und lässt ein Album von Keith Richards mitproduzieren. Dann wird es musikalisch sehr ruhig um Romeo. Große Erfolge bleiben aus. Er findet Arbeit in einem Elektronikgeschäft und kehrt 1990 mit dem Aufleben des Dancehall nach Jamaika zurück.

Back to the roots widmet sich Max wieder regelmäßiger dem Tour- und Studiorhythmus. Das Verhältnis von Neuauflagen der alten Titel zu wirklich neuen Songs verschiebt sich dabei immer schräger zugunsten der Best Of's, Anthologies und Compilations. Das für Romeos Verhältnisse recht schnelle Album "Pocomania Songs" mit lockeren, bassarmen und zackig-knackigen Titeln durchbricht 2006 das Warten auf neues Material. Immer wieder kursieren neue Aufmachungen seines stets selben Bob Marley Cover-Albums aus den 90ern. Nett wirkt daran vor allem die Idee mit den Dub-Versionen zu jedem Titel, die nicht wie im Reggae üblich am Ende der gesamten Platte alle gebündelt folgen, sondern nach jeweils jedem einzelnen Marley-Song.

Wenn Max Romeo im Covern richtig gut war, dann aber wohl kaum hier, sondern auf dem Soul-Klassiker "Thin Line", zu finden auf der 1984er-Vinylscheibe "Freedom Street", die spät, 2010, auf CD gelasert wird. Ein gänzlich neues Kapitel schlägt Romeo mit seinem im Stimmbruch befindlichen Sohn Rominal ein, später bekannt als Azizzi Romeo. Songs wie "Murder" und "Dream Boy" auf "Father And Sons" klingen zwar nach Disco-Pop, aber durchaus witzig gestaltet.

2016 dann: "Horror Zone"! Max Romeo versöhnt sich scheinbar wieder mit Lee Perry, der hier Percussion spielt und im Hintergrund singt. Die Platte führt in den düsteren Sound der 70er zurück. Das Trance-Artige, das man aus manchen frühen Dub-Produktionen, aber etwa auch von Carlos Santana aus jener Ära kennt, kehrt zurück. Programmatisch klingt da etwa das harte mit Soundeffekten vollgepumpte "Scammer Jammers". Mit "The Sound Of War" gelingt ihm auch wieder eine glänzende Songperle, vom spacigen Titeltrack ganz zu schweigen.

Wie weit der Einfluss in den Reggae, Dancehall und Dub der Gegenwart reicht, zeigt schon der Umstand, wie oft seine Songs von zeitgeistigeren Acts gesampled werden. Ob Prodigys "Out Of Space" (1992), das auf "I Chase The Devil" basiert, oder Hip Hop-Superstar Kanye West, der für einen Jay-Z-Track auf ihn zurückgriff: Romeos Einfluss bleibt ungebrochen.

Mit "Words From The Brave" gelingt ihm im Sommer 2019 ein dezent angejazztes, aber sehr puristisches Reggae-Album mit Fokus auf Worten und Geschichten, seine Stimme und die Bläsersätze einer französischen Begleitgruppe. Der karibische Musiker wäre ohne seine Brücken nach Europa wohl nie so einflussreich geworden.

2022 lässt der Senior sich, zuvor mehrmals durch die Corona-Pandemie gehindert, wieder für Deutschland ankündigen. Ein neues Album namens "World Of Ghouls" widmet sich allerlei Schreckgespenstern. So verarbeitet es etwa im Track "Flatten The Curve" Erfahrungen aus dem Lockdown. Die zwölf Songs erscheinen nur digital, nachdem der Release komplett im Homestudio entstand. Mit dabei sind Max' Kinder Xana, Azizzi und Lil Rolee. Die Sommer-Tour 2022 durch Europa ist prall gefüllt, mitunter hat der Weißbärtige mit fast 80 gerade mal ein Stündchen nach der Show, um wieder zum Flughafen zu hetzen und in ein anderes Land der EU zu jetten. Ostern 2023 soll dann mit einer Abschieds-Familientour durch Deutschland und mit einem neuen, letzten Album der Staffelstab der Romeos in die Hände seiner Kinder übergehen.

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