laut.de-Kritik

Die Schöne, das Biest und dieser betörende "Summer Wine".

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Auch wenn die Frau an seiner Seite ab sofort immer im Mittelpunkt stehen sollte, die ersten Zeilen der Platte gehören ihm. "You never close your eyes anymore when I kiss your lips", brummt er in ungesunder Stimmlage. Mehr ein Grollen als Gesang. Hundeknurren mit Hall. Unterschwellig erhält die Feststellung darüber einen gefährlichen Ton: Schließ' gefälligst die Augen, wenn du mich küsst. Unwillkürlich muss man innehalten, um dieser Stimme zuzuhören, die da als tiefstmögliche männliche Artikulationsweise aus irgendeinem Loch gekrochen kommt.

Sie gehört Lee Hazlewood und ist fortan sein Markenzeichen. Zwei Zeilen später kommt Nancy Sinatra zum Zuge: "You're trying hard not to show it", und dann seufzen sie sich beide im Wechsel an, "Baby", "Oh Baby", die Magie und das Verlangen von einst, wo ist es nur hin? Zärtliche Wallungen, unerwiderte Nähe, ein letztes Aufbäumen gegen den Liebesverdruss, "You've Lost That Lovin' Feelin'".

Das ewig gültige Dramolett der Liebe, vier Jahre zuvor im Original vertont vom Soulpop-Duo Righteous Brothers unter Mithilfe von Produzent Phil Spector, galt bereits zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung als eines der bekanntesten Popstücke der Dekade. Die orchestrale Opulenz, die später auch Elvis Presley beibehielt, treiben Nancy und Lee ihrer Version weitgehend aus. Nur Akustikgitarre, ein paar Basstupfer und Streicher sorgen für heruntergedimmte Atmosphäre, eine Art "American Recordings", 20 Jahre vor Johnny Cash und Rick Rubin.

Im Mittelpunkt, und so bleibt es auf der gesamten Platte, stehen die Stimmen der Protagonisten, die sich in ihrer Gegensätzlichkeit interessiert beschnuppern. Der ungekrönte König aller Tieftonkünstler, rustikal und altersweise, und die hübsche Tochter des Weltstars Frank, lasziv und sehnsuchtstrunken - was für ein Paar. Sie entwickelten auf "Nancy & Lee" einen Gegenentwurf zu damals aktuellen Duos wie Sonny & Cher, bei denen die männliche Hälfte fast höher singt als die weibliche.

Ein Image entsteht, basierend nicht nur auf den Stimmen, sondern auch anhand des Altersunterschieds (er ist damals 38, Sinatra 27) und manch zweideutigem Text. Der alte Truckdriver mit dem rasselnden Country'n'Blues-Bariton und die attraktive Anhalterin. Oder, wie Hazlewood es bald selbst nennen wird: die Schöne und das Biest. Die musikalische Formel wurde oft kopiert, dabei aber nicht immer so perfekt wie von Mark Lanegan und Isobel Campbell vor zehn Jahren auf "Ballad Of The Broken Seas", dem noch zwei weitere Alben folgen sollten.

"Nancy & Lee" erscheint im März 1968, zwei Jahre nachdem der Knurrer aus Oklahoma Nancy auf deren Vaters Geheiß mit "Sugar Town", "Friday's Child" und allen voran "These Boots Are Made For Walking" als Chartsgarant etabliert hat. Nach "Something Stupid", dem Duett der Sinatras, und dem Bond-Song "You Only Live Twice" (beide produziert von Hazlewood), badet die Blondine 1967 endgültig im Weltruhm. Dass "Sugar Town" von LSD handelt, wusste außer Nancy niemand, und es wäre Lee wohl auch egal gewesen. Er beharrte immer darauf, dass Songwriting für ihn ein ganz normaler Job sei, den er nur ausüben würde, um Geld zu verdienen.

Auch wenn es aus heutiger Sicht so aussieht, als hätten beide zur damaligen Zeit einfach einen richtig guten Lauf gehabt: Vieles geschieht eher zufällig. Zwar ruht sich Songwriter Hazlewood nicht auf seinen erreichten Lorbeeren aus, meidet aber das Rampenlicht und agiert lieber im Hintergrund.

So veröffentlicht er Jahr für Jahr erfolglose Soloalben ohne Gesangspartnerin, die heute Kultstatus besitzen, und gründet sein Label Lee Hazlewood Industries, auf dem er erfolglose Künstler veröffentlicht. Von den elf Songs auf "Nancy & Lee" stammen sechs aus seiner Feder, vier wurden weltbekannt.

Allen voran "Summer Wine", eine Hazlewood-typische Cowboy-Geschichte: Ein Mann kommt in eine neue Stadt, lernt eine Frau kennen, die ihn mit all ihren Reizen betört, vor allem aber mit "Summer Wine", und am Morgen danach erwacht er, "my head felt twice its size", beraubt um Geld und Silbersporen.

Wie auch "Sand" hatte er den Song für seine damalige Muse Susi Jane Hokom geschrieben, bekannt wurden beide aber nur über Sinatra. "Summer Wine" war ursprünglich sogar nur als B-Seite für "Sugar Town" konzipiert. Als Radio-DJs anfingen, die B-Seite zu spielen, und diese ihrerseits zum Hit wurde, spuckte Hazlewood Gift und Galle. Er verdiente an beiden Songs jetzt ja nur die Hälfte.

"Summer Wine" wurde unzählige Male gecovert, am bekanntesten dürften die Versionen von Ville Valo ("Der Typ hat eine mächtige Stimme", Hazlewood im Interview) und Natalia Avelon sein, sowie von Lana Del Rey. Um vom Image des YouTube-Starlets wegzukommen, inszeniert sich Del Rey bereits früh als Bedroom-Chanteuse und verpasst sich den Claim "Gangsta Nancy Sinatra".

Eine weiterer dieser halluzinogenen Hazlewood-Pop-Preziosen ist "Some Velvet Morning", ursprünglich im Vorjahr für ihr Album "Movin' With Nancy" zum gleichnamigen TV-Special geschrieben. Ein Song, der mit keinem anderen der damaligen Zeit vergleichbar ist. Viele Interpretationen wurden über die Jahrzehnte zu doppeldeutigen Zeilen wie "Some velvet morning when I'm straight / I'm gonna open up your gate" abgegeben, Hazlewood hielt sich stets bedeckt.

Dazu wechselt der Viervierteltakt im Refrain ohne Not in einen Walzer, was der mystischen Magie des Songs zuträglich ist. Der geheimnisvolle weibliche Charakter Phaedra, zu dem sich im Song Sinatra bekennt, lebt heute in Hazlewoods Enkelin weiter, die diesen Namen erhielt. 2006 sang sie auf dem letzten Album ihres Großvaters ("Cake Or Death").

Als "Country Exotica" bezeichnete Ex-Sonic Youth-Gitarrist Thurston Moore einmal Hazlewoods Sound und das passt neben seinen obskuren Soloalben auch als Etikett für "Nancy & Lee". Es ist ein guter Ausgangspunkt für das weitere Entdecken seines faszinierenden Albumkatalogs, wohingegen Sinatra ohne ihren Mentor musikalisch lange Jahre ziellos umher irrte.

Das erwähnte "Sand" beeindruckt ebenfalls mit psychedelischem Nachhall und zählt mit "Some Velvet Morning" zu den Hauptgründen, warum zwei Jahrzehnte später Indie-Großkaliber wie Jarvis Cocker, Calexico, Miles Kane oder Beck von Hazlewoods vergessener Kunst schwärmten. "Some Velvet Morning" erwachte in den Händen von Nick Cave und Lydia Lunch bzw. Primal Scream und Kate Moss zu neuem Leben, "Sand" bei den Einstürzenden Neubauten.

"Jackson" dürften dagegen die meisten in der Version von Johnny Cash und June Carter kennen. Hier legen Nancy und Lee beim Tempo noch einmal einen Zahn zu. Im Country-Popsong "Greenwich Village Folk Song Salesman" macht sich Hazlewood ein wenig über die junge Folk-Szene lustig (""Green which?"), wie er auch sonst immer gerne seinen trockenen Humor durchblitzen lässt: "I've Been Down So Long (It Looks Like Up To Me)".

Bevor Hazlewood 2007 starb, erlebte er in den späten 90er Jahren in Europa noch einmal ein Comeback, das ihm überaus schmeichelte ("Keine Ahnung, wo sich die alle verstecken und sich heimlich meine Platten vorspielen.") Ärzte-Drummer Bela B. kooperierte mit ihm und wurde praktisch zu seinem deutschen Pressesprecher. All das sah Lee Hazlewood mit Genugtuung und selbstironischer Distanz.

Ein berühmter Satz, der ihn als Mensch und Komponist charakterisiert und gleichzeitig seinen Humor hervorhebt lautet: "Wenn das Restaurant Martoni so ein toller Laden sein soll, wieso heißt das Steak dann Sinatra und der Hamburger Hazlewood?" Lee Hazlewood ist nicht mehr da, aber es gibt noch viele Platten zu entdecken.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. You've Lost That Lovin' Feelin'
  2. 2. Elusive Dreams
  3. 3. Greenwich Village Folk Song Salesman
  4. 4. Summer Wine
  5. 5. Storybook Children
  6. 6. Sundown, Sundown
  7. 7. Jackson
  8. 8. Some Velvet Morning
  9. 9. Sand
  10. 10. Lady Bird
  11. 11. I've Been Down So Long (It Looks Like Up To Me)

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