laut.de-Kritik

Ein Raum, ein Stuhl und befreit aufspielende Inspiration.

Review von

Vor etwa einem Jahr freute sich die Young-Gemeinde noch über "Fork In The Road". Nun steht das nicht gerade untypisch betitelte "Le Noise" in den Startlöchern. Je nach Zählweise ist es das 34. oder 37. Studioalbum des Mittsechzigers, und noch immer überrascht der vielseitige Recke aus der Ursuppe des Rock die Welt. Wer hätte das ernsthaft erwartet?

Die Platte vereint nicht nur die zahllos starken Qualitäten des Songwriters. Nein, sie bündelt harmonisch alle Vorzüge des knurrigen Kanadiers zum vielleicht besten Opus seit dem seinerzeit grandiosen "Freedom" von 1989. Einige Lorbeeren darf sich hierbei sicherlich Edelproducer Daniel Lanois ans Revers heften.

"Doch wie soll das zusammen gehen?", fragt man sich unwillkürlich. Mr. Joshua Tree, der unter anderem Peter Gabriels "So" mitgestaltete und zuletzt Brandon Flowers "Flamingo" verarztet hat, trifft auf den Meister der unterproduzierten Feedbackorgie? Das kann doch nur nach hinten losgehen. Mitnichten! Der frankophone Soundtüftler aus Québec teilt ein unerwartet starkes Gespür für die musikalische Natur des ewigen Eigenbrötlers.

Also macht sich Grammysammler Lanois an die Entwicklung jeweils einer speziellen akustischen und einer E-Gitarre für den streitbaren Dino. Tatsächlich gelingt ihm die Quadratur des Kreises. Ausgestattet mit diesen Wunderwaffen braucht Neil weder Band noch Overdubs noch sonstigen Schnickschnack. Alles Tüddelkram! Es genügen ein Raum, ein Stuhl und die befreit aufspielende Inspiration des Altmeisters.

Von letzterer hat der musisch veranlagte Godfather of Grunge - wenn er will - mehr im kleinen Finger, als so mancher Kollege im gesamten Backkatalog. Lediglich acht Pfeile führt er im Köcher. Doch alle treffen ins Schwarze.

Mit "Walk With Me" geht die Reise los. Fett geschrammelte Akkorde, die rau, gleichwohl anmutig und vielschichtig den fordernd werbenden Gesang Youngs umzüngeln und zerfräsen wie den Scheit beleckendes Kaminfeuer. Ein Augenzwinkern für die schelmische "Mr. Soul"-Reminiszenz an alte 1967er-Buffalo-Springfield-Zeiten zum Ende des Liedes.

"Sign Of Love", die Hommage an die ihn seit 32 Jahren begleitende Frau Pegi, offenbart den nimmermüden Romantiker ohne jeden Kitsch oder Alterserscheinungen. Herrlich, wie die erdig schmirgelnde Gitarre den mitunter steinigen gemeinsamen Lebensweg beider bewusst unterstreicht.

Das nuancierte Gitarrenmonster "Someone's Gonna Rescue You" offenbart einen beeindruckenden Facettenreichtum in Youngs Spiel. Verbunden mit den beschwörend schwebenden Schamanenvocals glaubt man die verheißungsvolle Botschaft des Titels sofort.

In "Love And War" belebt der Mann aus Toronto seine zyklisch wiederkehrende Leidenschaft für todtraurige, spanisch angehauchte Balladen. Wer zu Recht seit mehr als zwei Dekaden die überfällige Fortsetzung zum großartigen Drama "Eldorado" vermisst, wird hier mehr als nur eine Träne im Knopfloch verspüren.

Ohnehin verknüpft der Crazy Horse-Gründer seine ureigene Vorliebe für warme Melodiebögen endlich wieder in Weltklassemanier mit eruptiven Schallmauern der Marke "Weld". Man höre nur das famose "Angry World". Durch den Cinemascope-artigen High Definition-Effekt von Lanois' sechssaitigem Drachentöter gerät das ehemals teilweise bratensoßige Geklampfe zum elegant destillierten klaren Trester.

Den Höhepunkt dieser brodelnden Six-String-Orgie bildet sicherlich das zentrale "Hitchhiker". Dieser paranoide Anhalter ist ein tiefdunkel schimmernder Abgesang, die totale Dekonstruktion jegliches drogenschwangeren Rock'n'Roll-Lebensstils. Hier malt er ganz allein ein Soundbild, für das anno 1995 auf "Mirror Ball" noch eine ganze Begleitband, Pearl Jam nämlich, unerlässlich war.

Wahrlich großes Kino des Grantlers aus Ontario. Die verblüffende Lässigkeit, mit der Onkel Neil die Asse aus dem karierten Holzfällerhemd schüttelt, lässt uns kurz beeindruckt verharren. In dieser mal melancholischen, dann wieder aggressiven Hochform darf man zukünftig getrost ein akustisches Spätwerk erwarten, das als Antithese zum gängigen Rockzirkus ebenso taugt, wie der späte Clint Eastwood es im Filmbereich vollbringt. Wir werden da sein, wenn es naht.

Trackliste

  1. 1. Walk With Me
  2. 2. Sign Of Love
  3. 3. Someone's Gonna Rescue You
  4. 4. Love And War
  5. 5. Angry World
  6. 6. Hitchhiker
  7. 7. Peaceful Valley Boulevard
  8. 8. Rumblin'

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12 Kommentare

  • Vor 13 Jahren

    ich muss sagen dass mir der sound noch ein wenig befremdlich vorkommt. kenne bisher nur die drei musikvideos im netz. aber werde mir das album mal anhören, vielleicht finde ich ja noch rein.

    ich fand ihn solo akustisch oder mit crazy horse immer am stärksten.
    lege jetzt erstmal meine alte "zuma" platte auf.

  • Vor 13 Jahren

    Tja, das ist leider nichts, was "der Crazy Horse-Gründer" (Oh weh, oh weh! Recherchier das lieber mal!) hier abliefert. Das ist auch ok. Bei seinem Output darf auch mal ein schwaches Album dabei sein. Aber dieses journalistischen Jubel-Orgien nur weil Neil Young als einer der Wenigen stur seinen eigene Weg gegangen ist, gehen mir langsam auf den Wecker.
    Abgesehen davon, dass sich auf der Platte nur eine mäßige Anzahl guter Melodien findet überwiegt hier ein wohl Lanois geschuldeter verzerrter Hall. Wenn hier von "die erdig schmirgelnde Gitarre" die Rede ist, dann bin ich drauf und dran einen Lachanfall zu bekommen.

    Und wenn ich solche Sätze höre wie "Hier malt er ganz allein ein Soundbild, für das anno 1995 auf "Mirror Ball" noch eine ganze Begleitband, Pearl Jam nämlich, unerlässlich war." dann fehlen mir echt die Worte. Mirror Ball ist Soundmatsch! Durchaus gute Liedansätze sind einfach nur noch Klangbrei. Man höre sich als Kontrast nur das 1990er Ragged Glory an (ein Pendant übrigens zu Zuma, nur mit etwas frischerem Sound und mit Crazy Horse). Dann ist jedem klar, dass Neil Young Pearl Jam nun wirklich nicht nötig hat. Gleichwohl ist es natürlich vollkommen ok so eine Platte zu machen und mit denen auf Tour zu gehen.

    Das nächste Album wird wieder anders. Die nächste Rezession hoffentlich auch.

  • Vor 13 Jahren

    Ein Schmankerl habe ich übersehen: "warme Melodiebögen endlich wieder in Weltklassemanier". Gleich platze ich....

  • Vor 13 Jahren

    Le Noise ist ein Meisterwerk wie ich es ehrlich gesagt von Neil nicht mehr erwartet hätte, nachdem er jahrelang nur noch Durchschnitt abgeliefert hat. Aber 50% davon gebührt Daniel Lanois, wenn nicht er noch was aus Neil herausgeholt hätte wer dann.
    Es erinnert mich an den Soundtrack Dead Man und Arc Weld.

  • Vor 13 Jahren

    Leider liefert Neil Young hier allenfalls Songentwürfe ab. Interessant an der Platte ist höchsten: Man kann sehen, dass Meister zunächst auch nur mit Wasser kochen. Erst wenn sie ihre Ideen ausgefeilt haben, kommen großartige Songs heraus. Auf eine intensive Überarbeitung hat Young bei diesem Album völlig verzichtet. Schade!

  • Vor 13 Jahren

    8 magere Tracks und das sollen die Leute dann kaufen? Nee, tut mir leid!
    1-2 Lieder erinnern noch recht gut an den alten Stil des Kultrockers, der Rest ist jedoch nur durchschnittliches Gitarren-Geklimper und ein Neil Young der sich mehr oder weniger als Hard Rocker versucht. Das ist er aber leider nunmal nicht- dazu hat er nicht die Stimme!
    Ich halte also nicht sonderlich viel vom Album, mal abgesehen von den Texten der Lieder. (die ich mal außen vor lasse, denn diese tragen zumeist sowieso gesellschaftskritische Botschaften)