laut.de-Kritik
Die wohl schönste Deutsch-Pop-Platte des Jahres.
Review von Toni HennigSeit Niels Freverts letzter Platte "Paradies Der Gefälschten Dinge" sind fünf lange Jahre vergangen. Sie erreichte damals immerhin Platz 30 in den deutschen Albumcharts. "Putzlicht" könnte an diesen Erfolg anknüpfen, dringt der 51-jährige Hamburger mit dem Werk doch in den Deutsch-Pop vor.
Dabei biedert sich Frevert weder an, noch verschließt er sich einem größeren Publikum. Warum es mit der Scheibe so lange gedauert hat, besingt er in "Ich Suchte Nach Worten Für Etwas Das Nicht An Der Straße Der Worte Lag". Der Song handelt von seiner Schreibblockade und die damit verbundene mühselige Suche nach Worten für seine Texte. "Ich hatte das Gefühl, als hätte ich meine Sprache verloren", blickt er in einem dpa-Gespräch zurück.
Trotzdem hört man in dem Stück eine gewisse Zuversicht heraus, die sich wie ein roter Faden durch das Werk zieht. Jammern und Klagen sind dem Hamburger fremd. Jedoch schwingt immer Nachdenklichkeit mit. Davon zeugen die zurückhaltend kühlen Keyboard-Klänge und der etwas wehmütig anmutende Gesang. Als Kontrast schrauben sich immer wieder luftige Gitarren triumphierend in die Höhe. Letzten Endes lässt Niels die Vergangenheit hinter sich und richtet den Blick nach vorne.
Davon erzählt er auch in "Brückengeländer" zu dramatischen Streichern. Dort heißt es in Anlehnung an sein Idol Rio Reiser: "Ich sah einen Ton Steine Scherben-Aufkleber auf einem SUV". Er blieb aber "nicht lange in Deckung und ging den nächsten Schritt", hadernd mit sich selbst. Musikalisch bildet der Song eher die Ausnahme. Größtenteils bestimmen treibende Schlagzeug- und geradlinige Gitarren-Sounds das Geschehen. Keyboards sorgen für zusätzliche Dynamik.
Bestes Beispiel: Das überaus wort- und metaphernreiche "Leguane", das zwar viel positive Haltung verströmt, aber abgesehen davon eher ein Aufbruch in eine noch ungewisse Zukunft verkörpert. Dazu erzeugen der tiefe Bass und die rotierende Elektronik einen ansteckenden Groove, der fast zum Tanzen einlädt. Außerdem bleibt die Melodie noch Tage und Wochen später im Ohr.
Jedenfalls wurde es "Frühling 2017", bis der Hamburger wieder nach vorne blicken konnte und allmählich begann, Stücke für das Album zu schreiben. Er habe einfach "gewartet, bis gute Ideen kommen - auch wenn fünf Jahre zwischen zwei Platten sicherlich eine lange Zeit sind". Die Aufnahmen fanden dann in verschiedenen Studios in Berlin gemeinsam mit Produzent Philipp Steinke (Revolverheld, Andreas Bourani) statt. Er war auch an der Songauswahl beteiligt und zeichnet für die E-Gitarren- und Keyboard-Arrangements verantwortlich.
Dass die Scheibe nicht in irgendwelchen Fahrwassern à la Tim Bendzko oder Mark Forster abdriftet, liegt neben der Brillanz als Songwriter auch daran, dass Frevert ein hervorragender Alltags-Lyriker ist. "Auf Deutsch zu texten" sei zwar "kein Spaziergang", erzählte er. Allerdings hat sich die Mühe gelohnt. Der Hamburger kehrt sein Inneres noch mehr nach außen, als man es bisher schon gewohnt war. "Ja, eventuell hat mir die Musik wieder aufgeholfen."
Wenn sie "sieht, du stehst zu dicht an den Klippen, begleitet sie dich mit einem Lied auf deinen Lippen", so die Erkenntnis in "Immer Noch Die Musik". Über die rettende Kraft eines Songs weiß bestimmt jeder etwas zu berichten. Im Grunde genommen spricht Niels seinen Hörern mit diesen Zeilen ziemlich aus der Seele. Und er schafft es in "Dieser Moment" die Schönheit des Augenblicks zu beschwören, ohne dabei in Klischees zu verfallen. Am Ende schwingt sich die Gitarre so kraftvoll in die Höhe wie schon lange in einem Frevert-Stück nicht mehr.
Dann wäre da noch die schönste Zeile des gesamten Albums, die wohl am meisten verdeutlicht, wie verwundbar sich Frevert präsentiert. Der begegnet man in "Als Könnte Man Die Sterne Berühren", wenn er mit Nachdruck zu Trompeten-Klängen betont: "Man wird für seine Stärken bewundert, aber geliebt, geliebt wird man für seine Schwächen". Diese Erkenntnis stamme von "einer Wahrsagerin", die in seinen "Handinnenflächen" gelesen habe. Manchmal kommt die Inspiration für die Lyrics also von ganz alleine. Und nicht immer braucht man um jedes einzelne Wort zu ringen. In "Wind In Deinem Haar" lautet der simple Ratschlag: "Sing doch einfach nur einmal über das Schöne."
Und dies kommt auf "Putzlicht" nicht zu kurz. Sowieso beweist Niels Frevert wieder, dass er trotz seines außergewöhnlichen Umgangs mit der Sprache und der perfektionistischen Herangehensweise an Text und Musik seine besondere Gabe als sensibler Beobachter nicht verloren hat.
Gewiss habe er sich "von alten Ideen verabschiedet und neue zugelassen" und er "wollte, dass man diese Veränderungen auch wahrnimmt", schildert er weiter. Das hört man deutlich heraus, aber trotz der Ambitionen, in noch unbekannte musikalische und lyrische Gefilde vorzustoßen, hat er sich nicht völlig um 180 Grad gewendet. Eher erweitert Frevert seinen Fokus, ohne dabei an Authentizität und Charakter einzubüßen.
Die Stücke, so Frevert, könne er schließlich einfach auch "auf einer Gitarre spielen". Davon kann man sich bald auf Tournee überzeugen. Bis dahin hat man sich an der wohl besten und schönsten Deutsch-Pop-Platte des Jahres längst noch nicht satt gehört.
2 Kommentare
Ein richtig gutes Album. Die Wartezeit hat sich mal wieder gelohnt. Hoffentlich bekommt Herr Frevert die verdiente Aufmerksamkeit mit diesem Album. Wer hier nicht reinhört, ist selber schuld.
Dieses Album schmilzt das ganze generische Radiofutter der erfolgreichen deutschen Gefühlsemulanten weg wie der erste Sonnenstrahl des neuen Jahres das kalte Eis des Winters. Jahreshighlight!