laut.de-Kritik

Die himmlischen Gärten des Paradieses warten schon.

Review von

Wollte uns Plastikman seinen Seelenzustand beschreiben, so könnte er problemlos auf den reichen Zitatenschatz der westlichen Literaturgeschichte zurückgreifen. Dort würde er beim alten Goethe fündig werden, der den greisen Faust noch ein wenig seinen Hirngespinsten nachhängen lässt, bevor er ihm eine gehörige Portion Sex, Drugs & Rock'n'Roll verordnet.

"Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust", klagt Faust und ahnt bereits, dass dies nichts gutes verheißt. Weniger schicksalsschwanger hört sich die gleiche Diagnose aus dem Mund von Plastikman an. Hart pumpende DJ-Sets einerseits und Ambient-Dub-Releases andererseits widersprechen sich bei Plastikman nicht im geringsten.

Was bei Dr. Faustus schnell hinunter in die ewige Verdammnis führt, beschert uns bei Richie Hawtin, wie sich Plastikman im bürgerlichen Leben zu nennen pflegt, nun ein musikalisches Meisterwerk, das die gemeinen Niederungen elektronischer Musik längst hinter sich gelassen hat. Sich in luftige Höhen aufschwingt, um die Metaphernkeule noch ein weiteres Mal auszupacken und den höllischen Niederungen die himmlischen Gärten des Paradieses gegenüber zu stellen. Dorthin lassen wir uns von Richie Hawtin mit "Closer", dem ersten Plastikman-Release nach fünfjährigem Schweigen, gerne mitnehmen.

Persönlicher, aber auch zugänglicher als früher sind die zehn Tracks des Albums ausgefallen. Erstmals garniert Hawtin seinen minimalen Elektronik-Dub mit Vocaleinlagen, gibt seiner Musik eine menschliche Stimme. Die wird zwar noch schnell mit reichlich Distortion belegt, bevor sie auf des Zuhörers Trommelfell trifft, so als scheue sie sich ohne die schützende Verfremdung. Die Message indes versteckt sich keineswegs: "I tried in vain to disconnect my brain" gibt Hawtin der Singleauskopplung "Disconnect" mit auf den Weg. Gut, dass derartige Versuche fehlgeschlagen sind.

Glücklicherweise betritt man beim Weg durch die vertonten, hawtinschen Gedankenströme nicht mit jedem Schritt Neuland. Oftmals weisen die ultra-deepen 303-Sounds einem den Weg, grüßen freundlich von älteren Releases wie "Sheet One" oder "Consumed". Auch wenn sie auf "Closer" deutlich präsenter im Raum stehen, einem im Sinne des Albumtitels auf die Pelle rücken, besteht niemals die Gefahr, unter einer Lawine niedrigster Frequenzer begraben zu werden. Hoffnungsvoll springt man dennoch auf die spärlich eingestreuten Synthie-Flächen auf, lässt sich von ihnen für einige Momente aus dem Meer der Bässe empor heben, fort tragen und taucht danach genauso genüsslich wieder in die wohlige Welt der 303 ein.

Die Trennungslinien zwischen den Tracks verschmelzen auf "Closer", heben sich irgendwann selbst auf. Das akustische Abbild dessen, was sich unter Hawtins kahlrasiertem Kopf abspielt, könnte man als die ewige Wiederkehr des Sound beschreiben. Streng minimalistisch umgesetzt. Keine sich in kurzen Zeitintervallen wiederholende Struktur stützt den Hörer mehr, sondern die Vertrautheit mit den Stimmungen, die durch die eingesetzten Sounds evoziert werden. Es ist die Kraft der Klänge auf "Closer", die zuerst fasziniert und dann süchtig macht.

Trackliste

  1. 1. Ask Yourself
  2. 2. Mind Encode
  3. 3. Lost
  4. 4. Disconnect
  5. 5. Slow Poke (Twilight Zone Mix)
  6. 6. Headcase
  7. 7. Ping Pong
  8. 8. Mind In Rewind
  9. 9. I No
  10. 10. I Don't Know

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