laut.de-Kritik

Der Dreier greift in die Plattenkiste deiner Stadtteilbibliothek.

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"Rock'n'Roll an sich ist ja progressiv. Es dreht sich alles darum, das nächste Level zu erreichen." Ex-Schneehase und Portugal. The Man-Sänger John Gourley serviert da neulich im persönlichen Austausch die Messlatte fürs eigene Oeuvre: iForward, Alaska! Logisch muss also jetzt gecheckt werden, wie viel Prog eigentlich noch im Ausgabeschacht der Posse steckt, die erst vor kurzem überaus bemerkenswert Stilbruch bzw. gattungstechnische Promiskuität betrieb, dass einem ganz blümerant werden konnte.

Und was jetzt? Genannte Messlatte bricht direkt mal entzwei. Weil nämlich der zuvor irgendwie postcorige Avant-Bastard nunmehr aus Zeichen besteht, die aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit eine eindeutige Verortung verunmöglichen. Will sagen: "Church Mouth" schlägt tatsächlich eine äußerst schwer zu schlagende Brücke und schafft Neuwert durch intensive Rückwärtswendung. Geschichtsbewusstsein heißt das wohl, oder auch Retro-Rhythm-Rock.

Statt hippem Breakbeat-Gefummel und Sequenzereskem greift der Dreier tief in die Plattenkiste deiner Stadtteilbibliothek und vollzieht den krassen Schnitt. Led Zeppelin, The Doors, Jimi Hendrix, sie alle haben hier ihre untoten Finger im Spiel. Zwischendurch dirigiert dann noch ein arg Leichenblasser, der gute alte Jack White.

Auf analogerem wie auch homogenerem Weg treiben die Sympathikusse die olle Schweinerocksau durchs globale Dorf direkt rein ins Stadion. Als wäre wieder 1969, bollert die Supergroove-Armada mit massigen Gitarren/Bässen auf kathartische Kracho-Drums zu. Und doch trügt der viel gerügte Schein hier erneut. Denn natürlich hat das Koordinatensystem dieser besonderen Band nach wie vor mehr zu bieten.

Der ehemals sehr präsente Drumcomputer etwa geht nicht in die Bandannalen ein, er rückt bloß zugunsten eines schweißtreibenden Livefeelings einige Ellen in den Hintergrund. "The Bottom" macht auf D'n'B, es gibt Gospelchöre, Glockenspiel, und der Soul quillt stärker als zuvor aus jeder Notenlinie. Das reißt ob seiner Unverklausuliertheit mit, das ist definitiv viel mehr als bloßer Retrorock.

Ihre Zeichensprache mischt neu und alt wie keine andere, weshalb Portugal. The Man weiterhin draußen vor der Schublade bleiben. Passende Anekdote am Rand: Die Special Edition enthält mit der EP "It's Complicated Being A Wizard" als zusätzliches Kontrastmittel ihren bislang experimentellsten und elektronischsten Output. Ein herzliches Dankeschön für die neuerliche Überraschung nach Portland!

Trackliste

  1. 1. Church Mouth
  2. 2. Sugar Cinnamon
  3. 3. Telling Tellers Tell Me
  4. 4. My Mind
  5. 5. Shade
  6. 6. Dawn
  7. 7. Oh Lord
  8. 8. Bellies Are Full
  9. 9. Children
  10. 10. The Bottom
  11. 11. Sleeping Sleepers Sleep
  12. 12. Sun Brother

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