1. August 2003

"Amerika geht den Bach runter"

Interview geführt von

Gitarrist und Bandgründer Chris DeGarmo schien zur Band zurückgekehrt zu sein, denn er arbeitete mit Queensryche an einigen Stücken zum "Tribe"-Album. Im Interview dementieren Geoff und Scott den Wiedereinstieg des Gitarristen, halten ihm aber immer eine Tür offen.

Hey Geoff, mit der Fleischmütze hätte ich dich beinahe nicht erkannt. Wenn ich nicht gestern noch kurz auf eure Homepage geschaut hätte, hätte ich fast bei dir einen Kaffee bestellt, als du ins Restaurant kamst. Seit wann hast du die Murmel denn?

Geoff: Eigentlich ist das ja schon das zweite Mal, dass ich mit die Haare abgeschnitten habe. Das erste Mal war 93 oder 94 zu "Promised Land" Zeiten. Das ware eine sehr interessante Erfahrung. Das zweite Mal war nach meiner Solotour im August oder September letzten Jahres.

Ist das nicht immer ein bisschen seltsam? Wenn ich mit die Haare beim Duschen nach oben schraube und danach dann ins Leere greif, wenn ich ein Shirt anzieh und sie aus dem Kragen holen will, krieg ich immer beinahe Panik.

Geoff: Ja, ich war auch immer einer der Typen, die sich immer die Haare aus dem Gesicht gewischt haben, und diese Bewegung legst du nicht so ohne weiteres ab. Wenn da dann nichts mehr ist, kommst du dir schon n bisschen bescheuert vor, aber man gewöhnt sich an dieses Nichts. Außerdem steht meine Frau sehr drauf.

Meine Freundin würde mir den Arsch aufreißen, wenn ich meine Haare absägen würde.

Geoff: Ja, das war bei meiner Frau nicht anders. Die hatte anfangs auch große Bedenken, aber als ich sie meinen Kopf mal rasieren ließ, stand sie total drauf. Seitdem ist sie da immer ganz scharf drauf und das scheint sie richtig wild zu machen, hahaha.

Dann kann ich das verstehen ... Klingt nach 'nem guten Deal. Jetzt aber mal zur Mucke. Wie kam es, dass ihr eure neue Scheibe "Tribe" genannt habt?

Geoff: Da gibt es einige unterschiedliche Gründe. Eine Sache ist, dass ich mich inzwischen sehr für die volksstämmische Aspekt sozialer Evolution interessiere. Das fängt ganz vorne an, als die prähistorischen Menschen noch in Stämmen gelebt haben und deckt die komplette Entwicklung ab. Es geht darum, dass sich bestimmte Gruppen zusammen gefunden haben, sei es aufgrund von Sprache, Gewohnheiten oder was auch immer. Irgendwann kam es einfach dazu, dass sich Stämme (Tribes) gebildet haben. Diese entwickelten sich dann zu Dörfern, Städten, Nationen, Königreichen, und heute kann man eigentlichen von multinationalen Stämmen sprechen, wie zum Beispiel im Fall von Europäischen Union. Dieses ganze Kram, der kurz unter sozialer oder kultureller Evolution zusammen gefasst werden kann, wurde für mich immer interessanter. Ich betrachtete Queensryche von diesem Standpunkt aus und habe festgestellt, dass wir auch so etwas wie ein Tribe sind. Auf diesem Album haben ja sowohl Mike Stone, als auch Chris DeGarmo ein paar Songs komponiert und auch mit diesem beiden kam etwas von diesem Stammesgefühl auf. Wir haben innerhalb der Band alle dies Gefühl von Zusammenhalt und Mike und Chris sind da damit durchaus auch gemeint, auch wenn sie de facto keine eigentlichen Bandmitglieder sind. Der Albumtitel schwirrte mir aber schon lange im Kopf herum. Das schlägt sich auch in den Texten nieder. Ich habe so eine Art Straßentagebuch geführt, als ich letztes Jahr auf dem Motorrad durch Amerika gereist bin. Ich fuhr von Seattle nach Kanada und von da aus nach Mexiko. Ich denke ich habe da einiges von diesem tribal feeling aufgeschnappt, das noch in vielen Menschen vorhanden ist. Es geht viel im Gefühle die ich auf meinen Reisen hatte und natürlich auch um meine Gefühle die ich unter der Bush-Regierung habe.

Würdest du Amerika überhaupt als eine Art Tribe bezeichnen? Historisch ist da ja nicht viel zu holen.

Geoff: Da hast du zwar recht, aber ich denke die Bezeichnung geht schon in Ordnung. Ich denke, Nord-, Mittel- und Südamerika sind Teile des selben Tribes, was den Kontinent, Wirtschaft und Kultur angeht. In gewissem Sinne findet eine globale Stammesbildung im Augenblick statt, wenn man sich die EU und all das anschaut. Ich hoffe, dass die komplette Erdbevölkerung irgendwann zusammen wächst und dann steht uns ja immer noch der Weltraum offen.

In dem Moment kommt auch Scott Rockenfield zur Tür rein, und nach einer kurzen Begrüßung und einer Tasse Kaffe gehts weiter.

Denkst du nicht, dass die Politiker und vor allem die amerikanischen, das im Endeffekt verhindern wollen? Schließlich versuchen eure Politiker ständig, eine Rivalität zwischen euch und Kanada zu beschwören, die in der Art eigentlich nicht existiert.

Geoff: Da ist natürlich keine Rivalität zischen uns und Kanada, so was ist Blödsinn. Das ist wahrscheinlich nur Neid, da wir in Amerika eine Bevölkerungsexplosion haben, unsere Rohstoffe langsam auslaufen und unsere Umwelt den Bach runter geht. Wenn man sich dann Kanada im Vergleich anschaut, sieht das natürlich gleich noch viel bitterer aus. Da ist die Umwelt in Ordnung, die Wirtschaft läuft gut, die Gegend ist stellenweise sehr dünn bevölkert, alles scheint so rein zu sein.

Lass uns nochmal auf das Thema Tribe zurück kommen. Würdest du sagen, dass Chris (DeGarmo) wieder Teil dieses Tribes ist? War überhaupt jemals raus aus dem Tribe?

Geoff: Ja, auf jeden Fall, zumindest physisch. Psychisch ist das eine andere Sache, wo ich mir nicht 100%ig sicher bin. Er hat die Band 1997 definitiv verlassen und wollte sich um andere Sachen kümmern. Dann hat er uns aus blauem Himmel angerufen, während wir gerade an der neuen Scheibe saßen, und sagte: "Hey, ich hab ein paar Songideen." Und wir dachten uns, warum nicht, komm vorbei und wir schauen uns an, wie die Sache funktioniert. Im Endeffekt haben wir dann zusammen an drei Songs gearbeitet und es hat richtig Spaß gemacht.

Wird er jetzt bei euch dabei bleiben? Für die Europatour steht er ja schon mal nicht zur Verfügung.

Geoff: Es ist weniger eine Sache von bleiben oder gehen, wir lassen ihm eine Tür offen. Wir sehen Queensryche inzwischen eh als ein Quartett an: Scott, Eddie, Michael und ich. Das ist der Kern, und wer dann mit uns Songs schreiben will oder mit uns auftreten will, der kann gerne vorbeischauen und wir entscheiden das dann. Nachdem Chris gegangen ist, kam Chris dazu und hat eine Platte und eine Tour mit uns gemacht. Jetzt ist Mike Stone dabei, um mit uns live zu spielen und hat mit uns auch im Studio gearbeitet. Wie das auf dem nächsten Album aussehen wird, kann ich dir jetzt aber noch nicht sagen.

Die ersten Eindrücke, die ich von "Tribe" habe sind, dass die Songs alle ziemlich relaxt klingen. Die Songs klingen direkter und einfacher, was jetzt nicht negativ gemeint ist, sondern sie sind einfach eingängiger. Würdet ihr damit übereinstimmen?

Geoff: Hahaha, gut aus der Affaire gezogen. Musik ist einfach sehr subjektiv. Als Journalist musst du versuchen, Musik in Bilder umzusetzen und zu beschreiben. Wir versuchen als Musiker immer Bilder in Musik umzusetzen. Ich fange meist mit den Texten an und schreibe dann die Musik darum. Scott, Mike und Eddie machen das anders herum. Ich bekomme dann die Musik und muss sehen, ob es mich dazu bewegt, Texte zu schreiben. Wenn wir dann etwas geschaffen haben und damit an die Öffentlichkeit gehen, wird es immer spannend, denn wie diese unsere Sachen aufnimmt, ist natürlich immer unterschiedlich. Gestern hatten wir einen Kerl bei uns, der sagte, dass "Tribe" die härteste Scheibe sei, die wir je gemacht hätten. Ein andere Typ meinte hingegen, dass wir ein sehr softes Album gemacht hätten, mit vielen Balladen drauf. Es ist also schwer zu sagen, was wir über unser Musik denken.

Als ich mir "Q2K" angehört habe, klang das für mich wie ein Versuch, wieder zurück zu den Wurzeln zurück zu kehren. Dann kam deine Solo-CD, Geoff, wo du sehr viel mit elektronischen Sachen experimentiert hast, und auch diese Scheibe war deutlich ruhiger. Das selbe trifft für mich auch bei "Tribe" zu. Für mich klingt das stellenweise wie der nächste Schritt von "Hear In The Now Frontier".

Scott: Vermutlich sind das die Songs, die Chris geschrieben hat. Ich kann dazu nur sagen, hör dir die Scheibe noch ein paar mal an. Klingt ja nicht danach, als ob sie dir nicht gefallen würde.

Nein, ganz im Gegenteil, mir gefällt "Tribe" durchaus. Der härteste Track ist meiner Meinung nach "Desert Dance".

Scott: Du findest den hart?

Ja schon, das ist einfach der mit der meisten Power.

Geoff: Power? Was ist deine Definition von Power?

Die Atmosphäre des Songs hat etwas kraftvolles. Die Drums, die Art wie du singst, die Intonation.

Geoff: Verbindest du Power mit Geschwindigkeit?

Nein, überhaupt nicht. Es ist einfach die Emotion, die beim Hören der Musik rüberkommt. Balladen haben die Kraft, deine Gefühle durcheinander zu bringen. Ich hab mir "Desert Dance" vorhin im Auto angehört und hatte das Bedürfnis aufs Gas zu treten.

Scott: Als wir damals "Empire" aufgenommen hatte, haben wir unzählige Interviews gemacht. Irgendwer hat dann über "Silent Lucidity" gesagt, dass das der schönste und softeste Song wäre, den wir je geschrieben hätten. Der nächste kam an und sagte, dass dies der kraftvollste Song wäre, den wir je geschrieben hätten. Beide haben Power komplett anders definiert.

Ich würde einfach sagen, Balladen haben die Power, deine Seele zu ergreifen und zu bewegen. Die andere Power bewegt deinen Arsch.

Scott: Hahaha, ja "Desert Dance" kann durchaus deinen Arsch bewegen. Diese Power hat der Song.

Wie kam es eigentlich dazu, dass du bei dem Song ein paar Raps einstreust?

Geoff: Tu ich das? Naja ein wenig. Das hab ich aber auf Empire auch schon ansatzweise gemacht.

Scott. Eigentlich hatten wir solche Parts schon während der "Rage For Order"-Phase, aber die haben es dann nicht auf's Album geschafft. Aber als Raps würde ich das nicht bezeichnen.

Ihr seid ja demnächst mit Dream Theater auf US-Tour, und die hauen live ja härtetechnisch ganz gut auf die Kacke. Zieht ihr da dann mit, oder was für Songs werdet ihr spielen?

Scott: Haben die harte Songs? Hm, ich hab die Jungs schon ein paar mal getroffen und mich gut mit ihnen unterhalten, bin aber total im Dunkeln darüber, wie ihre Songs klingen. Ich hab mir ihre CDs bisher nicht angehört. Wenn ich mal dazu komme, Musik zu hören, ist es meist der Kram, den meine Kinder in ihren Zimmern laufen lassen.

Geoff: Wir haben während den Proben in etwas 40 Song eingeübt und können also aus dem Vollen schöpfen. Wenn wir aus denen dann die entsprechenden Stücke im normalen Tempo spielen, sind wir gute zwei Stunden auf der Bühne. Wir werden 20 oder 22 Stücke spielen, und davon werden wahrscheinlich gerade mal drei von der neuen Scheibe stammen. So ähnlich wie die Setlist für "Live Evolution" eben. Wir werden versuchen, unsere komplette History abzudecken. Da wir eine Co-Headlinershow mit Dream Theater spielen werden, können wir beide natürlich auch eine entsprechende Spielzeit auffahren.

Geoff, was ist eigentlich aus diesem Trinity Projekt geworden, das du mit Bruce Dickinson und Rob Halford mal geplant hattest?

Geoff: Das ist irgendwie nie über die Planungsphase hinaus gekommen. Seit dieser Tour vor ein paar Jahren hab ich auch nichts mehr von den anderen beiden gehört. Als wir damals darüber geredet haben, klang das alles ziemlich cool, aber ich glaube, wir drei haben musikalisch eh nicht die selben Grundlagen.

Wäre nicht gerade das ein interessanter Ansatzpunkt?

Geoff: An sich schon, aber ich hatte irgendwie auch das Gefühl, dass diese Sache von einem zu kommerziellen Standpunkt aus gestartet werden sollte. Da hatte ich aber gar keinen Bock drauf, da ich das dann doch zu sehr als Verarschung ansehe. Es war auch kein richtiger Enthusiasmus zu spüren. Wenn wir drei uns zusammen gesetzt hätten und gleich losgelegt hätten so nach dem Motto: "Hey, lass und das und das tun. Ja und dann so ..." Dann wäre ich sicher eher davon zu überzeugen gewesen. Für mich klang das aber mehr wie das Gerede von Managern. Wie viele Platten können wir davon wohl absetzen. Das ist nicht wirklich ehrlich.

Scott: Die haben ja schon die Poster geplant und wie sie darauf aussehen sollen. Da war von der musikalischen Seite noch gar keine Rede, hahaha. Ich hab übrigens gehört, dass Maiden gerade wieder auf Tour wären. Stimmt das?

Naja, sie haben ein paar Gigs gespielt, um Geld für ihren ehemaligen Drummer Clive Burr zu sammeln, der schwer erkrankt ist. Kommen wir aber wieder zu Queensryche. Geoff, ich hab gehört, dass es von deinem Soloprojekt demnächst auch eine DVD geben wird?

Geoff: Ja eine Art Live DVD. Ich hab die Scheibe gerade noch fertig gemacht, bevor wir nach Europa geflogen sind.

Scott: Geoff und ich haben uns auf dem Flug hierher erst darüber unterhalten, wie weit die Industrie und Technologie mit solchen Sachen inzwischen ist. Das ist schon erstaunlich, was sich da inzwischen alles machen lässt, und ich bin mir sicher, dass mehr und mehr Bands dazu über gehen werden, dieses Medium zu nutzen. Haben wir von "Empire" nicht auch eine DVD? Glaub schon, hahaha. "Tribe" werden wir auf jeden Fall auch als Audio DVD veröffentlichen. Es wird aber wohl auch in naher Zukunft ein paar Backgroundszenen von uns und den Leuten geben, die mit uns arbeiten. Es ist für die Fans immer interessant zu sehen, was ihre Lieblingsbands neben der Musik ausmacht, und wir sammeln immer Material, was wir bei Auftritten oder im Studio aufnehmen. Irgendwie werden wir das wohl bald mal verwenden.

Wie sind die Songs entstanden? Hattest du diese Trip Hop-schon im Kopf als du die Songs geschrieben hast?

Geoff: Ja, das war so ziemlich genau das, was ich machen wollte. Ich wollte ein paar Musikstile miteinander vermischen. Ich hab mir dann die entsprechenden Leute rausgesucht, von denen ich ein paar Sachen kannte, die mir gefallen hatten und fragte sie, ob sie mit mir zusammen arbeiten wollten. Drei davon haben schließlich zugestimmt. Ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden und werde bestimmt noch etwas ähnliches machen. Ob das jetzt mit den selben Leuten sein wird, weiß ich noch nicht und auch über die musikalische Ausrichtung bin ich mir noch nicht im klaren. Ich versuche einfach, Grenzen zu sprengen, genau wie wir das mit Queensryche auch schon seit Jahren versuchen. Es geht mir darum, mir mit meiner Musik eher vorzustellen, was sein kann, denn einfach nur zu sehen, was tatsächlich ist.

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