laut.de-Kritik

Was Mannheimer Sex-Partys alles anrichten können ...

Review von

Es geht doch nichts über die richtigen Telefonnummern im Handy. Als Jake Shears zwei Jahre nach "Ta-Dah!" immer noch keinen Schimmer hatte, wie ein neues Scissor Sisters-Album klingen könnte, telefonierte er kurz mit Neil Tennant, der erwähnte den Namen Stuart Price und schon kurz darauf gingen Shears und Kollege Babydaddy mit Price in Berlin clubben.

Eine gute Entscheidung. Nochmal zwei Jahre später wird erst so richtig sichtbar, wie ähnlich "Ta-Dah!" dem erfolgreichen Debüt "Scissor Sisters" am Ende doch war und wie zielsicher der Queer Pop-Vierer seinerzeit auf die künstlerische Sackgasse zusteuerte.

Stattdessen impfte Stuart dem Sound der Amis sein ganz eigenes Dancefloor-Gen ein, gegen das in den letzten Jahren eigentlich keiner seiner Klienten immun war ... Seal mal ausgenommen. "Es ist ein Album mit einem großen Herzen, einigen Killer-Dance-Moves und ein paar gigantischen Nummern geworden", finden die Sisters, und dem ist ausnahmsweise mal nichts hinzuzufügen.

Wer im Angesicht des grandiosen Spandex-Cover-Arschs etwas anderes erwartet als ein flirrendes Non Stop Erotic Cabaret, ist sowieso auf dem falschen Dampfer. Wie auf jeder guten Party bringt einen der Opener "Night Work" mit Kopfstimmen-Gedöns erstmal in gewohnter Weise auf Betriebstemperatur, bevor in "Whole New Day" der Griff allmählich in den Schritt wandert.

"I found a whole new way to love you", jauchzt Shears zu einem herrlich reduzierten Electro-Funk-Brett, das endlich mal auf den Punkt programmiert ist und ohne das ganze Elton John-Geschwurbel auskommt, das so manchen Sisters-Track oft eintönig gestaltete.

Recht so, denn "Night Work" soll den Schweiß der Tanzfläche hörbar machen und da sind die Hi-NRG-Väter Giorgio Moroder und Sylvester ("You Make Me Feel Mighty Real") noch nie falsche Style-Berater gewesen. Wozu deren pumpende Disco-Beats schon vor 30 Jahren allnächtlich hinführen sollten, weiß wohl eh niemand besser als Shears: "And when everyone's gone home / I've got your tail between my legs."

Dagegen schwingt die epische Single "Fire With Fire" derbe die Kitsch-Keule, wenngleich Robbie Williams für so eine Nummer wohl seinen rechten Arm hergeben würde.

Der neue Robot-Groove lässt auch in "Any Which Way" und "Running Out" kräftig seine Muskeln spielen, bevor mit dem minimalen 4/4-Klopfer "Something Like This" (inkl. Kraftwerk-Zitat) ein weiteres Highlight erreicht ist und man zwischendurch noch die Zeile aufschnappt: "We're running out of drugs / of patience / of air". Confessions On A Dance Floor, Teil zwei (zumindest für Price).

Als gewiefte Clubber setzen die Scissor Sisters ihren Höhepunkt natürlich ans Ende: Die düstere Beat-Walhalla "Invisible Light" fasst nicht nur den neuen Disco-Ansatz der Gruppe in sechs Minuten zusammen, sondern bringt es mit "Thriller"-Zitat (gesprochen von Gandalf aka Ian McKellen) und perfekt adaptierter Pet Shop Boys-Wärme zum Instant Classic.

Dass Shears die alles entscheidende Eingebung für die soundtechnische Richtung der Platte um sechs Uhr morgens auf der Tanzfläche einer Sex-Party in Mannheim traf, macht das Ganze nur noch reizvoller. Is Mannem jetzt the next New York? Babbel net!

Trackliste

  1. 1. Night Work
  2. 2. Whole New Way
  3. 3. Fire With Fire
  4. 4. Any Which Way
  5. 5. Harder You Get
  6. 6. Running Out
  7. 7. Something Like This
  8. 8. Skin This Cat
  9. 9. Skin Tight
  10. 10. Sex And Violence
  11. 11. Night Life
  12. 12. Invisible Light

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Scissor Sisters

Wer denkt, dass der Achtziger-Retro-Hype bereits alles ausgeschlachtet hat, was damals so passiert ist, der soll sich mal diese Version der Village People …

3 Kommentare