Porträt

laut.de-Biographie

Serge Gainsbourg

Chansonnier, Charismatiker, unbeugsamer Provokateur und Skandal-Nudel, Maler, Autor, Schauspieler, Komponist und Sänger; obwohl Serge Gainsbourg am 2. März 1991 in Paris stirbt, gilt er nach wie vor als der größte Popstar, den Frankreich jemals hervor gebracht hat. Fast scheint es so, dass für viele Landsleute die Einzigartigkeit seines Schaffens erst nach seinem Tod erfahrbar wird, als die Zeitungen voller Lobeshymnen sind über einen Mann, der die Republik zu Lebzeiten so manches Mal mit gesellschaftlichen Tabubrüchen spaltete und zur Verzweiflung brachte.

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Die Ikone der französischen Popkultur und frühere Muse von Serge Gainsbourg ("Je t'aime") wurde 76 Jahre alt.
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Den privaten, eher schüchternen Gainsbourg bekam die Öffentlichkeit dagegen selten zu Gesicht. "Da Serge nicht so war, wie er sein wollte, suchte er seine Bestätigung durch den Skandal", meinte Jane Birkin einmal über ihren einstigen Lebensgefährten. 1968 trifft sie als 22 Jahre junge englische Schauspielerin ("Blow-Up") mit dem 40-jährigen Pariser Enfant Terrible auf einem Filmset zusammen, woraus sich eine flammende Liebesbeziehung entwickelt, die erst Anfang der 80er Jahre zerbricht.

Ende der 60er, zum Zeitpunkt ihres Zusammentreffens, ist Gainsbourg in der Heimat bereits eine lebende Legende und feiert mit Birkin 1969 prompt seinen größten Single-Erfolg, obwohl der Song ursprünglich seiner Ex-Geliebten Brigitte Bardot gewidmet und auch mit ihr eingestöhnt war: "Je t'aime ... moi non plus". Doch Bardot, damals noch mit Playboy Gunther Sachs verheiratet, flehte Gainsbourg innigst an, die anzügliche Keuch-Orgie nicht zu veröffentlichen. So ist es schließlich Birkins erotische Stimme, die halb Europa auf die Barrikaden bringt (Die Version mit Bardot erscheint erst 1986).

Serge Gainsbourg kommt unter seinem bürgerlichen Namen Lucien Ginzburg am 2. April 1928 mit Zwillingsschwester Lilianne in Paris zur Welt. Er ist Sohn jüdischer Eltern, die 1921 aus Russland nach Frankreich emigrierten. Sein Vater Joseph ist ausgebildeter Musiker und treibt sich bald in den angesagten Jazz-Bars der Hauptstadt herum. Früh erhält auch sein Sohn eine Klavierausbildung und spielt als Achtjähriger bereits Stücke von Bach, Chopin und Stravinski gemeisam mit dem Vater. Um Luciens frisch erwachtes Interesse an der Malerei zu fördern, schickt ihn der Vater an eine Kunstschule am Montmartre. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs endet Luciens sorgenfreie Jugend abrupt, er muss einen Judenstern tragen und flieht 1941 mit seiner Familie nach Limoges. In den folgenden angsterfüllten Jahren erlebt er hautnah, wie aus friedvollen Menschen feige Kollaborateure werden, eine Erfahrung, die ihm für den Rest seines Lebens nachhängt.

Nach Kriegsende kehrt er nach Paris zurück und geht seiner Leidenschaft für Malerei auf einer Kunstschule nach, in der Hoffnung, der neue Picasso zu werden. Doch schon die ständige Unzufriedenheit mit seinen Werken steht diesem Ziel im Wege und entwickelt sich recht bald zu einem ausgewachsenen Komplex. Die Nächte verbringt der Jungzwanziger in den verrauchten Cafés auf der berühmten Sündermeile Pigalle, wo er wohl auch seine erste Ehefrau Elisabeth Levitsky kennen lernt. Nach der Heirat 1951 hält sich Lucien durch die Kontakte seines Vaters als Pianist über Wasser, ab '54 fertigt er erste Eigenkompositionen an.

1958, Luciens Ehe ist gerade an seinen zahlreichen Frauenbekanntschaften gescheitert, legt er sich einen neuen Namen zu: Serge Gainsbourg. Die Legende besagt, die Wahl des Namens sei einerseits ein Verweis auf seine russischen Ahnen (Serge) als auch eine Reverenz an den englischen Maler Gainsborough. Andere Quellen behaupten, dass schon Serges Vater den Namen benutzte, um die jüdische Abstammung seiner Familie im Dritten Reich zu kaschieren.

Im selben Jahr fabriziert Serge sein erstes Happening, indem er alle selbst gefertigten Bilder und Skizzen vernichtet. Fortan will er sein Geld mit Musik verdienen. Wieder ist ihm sein Vater behilflich, der ihm einen Gastauftritt im Pariser In-Laden "Milord l'arsouille" verschafft, dem Club, in dem schon der Chanson- und Variété-Star Charles Trenet ("La mer") seine Karriere startete. Kurz darauf überredet ihn ein Späher der Plattenfirma Philipps, ein Demotape aufzunehmen. Mit einem Arrangeur des Jazz-Trompeters Boris Vian entsteht das Debütalbum "Du Chant à la Une", das wie sein Nachfolge-Album noch keinen öffentlichen Aufruhr verursacht.

Doch bereits Anfang der 60er kommt man nicht mehr an ihm vorbei. Sein drittes Album enthält den Single-Hit "La Chanson De Maglia" und auch sein an literarischen Querverweisen (Victor Hugo, Jacques Prévert) reiches Album findet zahlreiche Käufer. Gainsbourg tritt im Vorprogramm von Jacques Brel und Juliette Gréco auf und schreibt weiter fleißig Songs für andere Künstler. 1964 heiratet er seine zweite Frau Francoise-Antoinette Pancrazzi, die ihm eine Tochter schenkt.

Mit dem Album "Gainsbourg Percussions" nähert sich der Komponist erstmals afrikanischen Rhythmen und Gesängen und landet mit dem Song "Couleur Café" erneut einen Hit. Als sein Stern durch die aufkommende Rock'n'Roll-Bewegung langsam sinkt, schießt 1965 wie aus dem Nichts das von ihm geschriebene "Les Sucettes" an die Chartspitze, eingefiepst von der 18-jährigen France Gall. Mit der Gainsbourg-Nummer "Poupée de cire, poupée de son" holt sich die Blondine noch im selben Jahr die begehrte Trophäe des Grand Prix d'Eurovision de la Chanson. Angezogen vom Talent des Mannes im Hintergrund, klopfen internationale Stars wie Marianne Faithfull ("Hier ou Demain"), Petula Clark und Brigitte Bardot ("Harley Davidson") bei Serge an und bestellen Hitsingles. Bardot überredet ihn gar zu einer gemeinsamen Tournee, doch Gainsbourg, während der ersten Nächte mit einem extrem feindseligen Publikum konfrontiert, bricht die Reise vorzeitig ab. Bis 1979 betritt er daraufhin keine Bühne mehr.

1966 geht seine zweite Ehe zu Ende. Gainsbourg schreibt viele Filmsoundtracks ("La Pacha"), tritt in zahlreichen Filmen (u.a. mit Jean Gabin) auf und feiert weitere Songwriting-Erfolge. Die junge Francoise Hardy katapultieren seine Songs "L'anamour" und "Comment Te Dire Adieu" in oberste Chartsregionen. 1968 beginnt die Ära "Birkin", deren britischer Akzent maßgeblich zum Erfolg der Skandalsingle "Je T'aime ... Moi Non Plus" beiträgt. Mittlerweile verkaufen sich auch in Rest-Europa und Amerika sämtliche Artikel, die den Namen Gainsbourg tragen.

1971 ziert die nackte Jane Birkin das Cover von Gainsbourgs so skandalösem wie bahnbrechendem Konzeptalbum "Histoire De Melody Nelson". Das nicht einmal halbstündige Werk beschreibt pseudo-autobiographisch einen Verkehrsunfall eines Mannes mittleren Alters mit der 15-jährigen Melody, aus dem sich eine Liebesbeziehung entwickelt. Man ahnt bereits, dass Vladmir Nabokovs "Lolita" Pate für die Geschichte stand. Die Liste der Bewunderer von "Melody Nelson" ist lang. Künstler wie Portishead, Air oder Beck zählen das Album zu ihren Lieblingsplatten.

Serge Gainsbourg - Histoire De Melody Nelson
Serge Gainsbourg Histoire De Melody Nelson
Streckenweise abstoßend, durchaus fordernd, aber immer fesselnd.
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Der Star lehnt sich nun erstmals in seiner Karriere zurück und genießt ausgiebig sein Privatleben. In den 70er Jahren beginnt sein Stern langsam zu sinken und Serge manifestiert sein Kult-Image als unrasierter, kettenrauchender und scheinbar daueralkoholisierter Rebell, den weder Birkin noch eine Herzattacke (1973) vom ungesunden Weg abbringen.

1975 erscheint das kontroverse Album "Rock Around The Bunker", auf dem der Franzose recht plump mit Nazi-Symbolik spielt. Mit Single-Titeln wie "Nazi Rock" und "SS in Uruguay" ist ihm erwartungsgemäß kein Erfolg beschieden. Ein Jahr später erscheint mit "Je T'aime .. Moi Non Plus" Gainsbourgs Regie-Debüt mit Jane Birkin in der Hauptrolle und einem Kurzauftritt des jungen Gérard Depardieu. Musikalisch sorgt der Franzose erst 1979 wieder für Aufsehen, als er sein in Jamaica aufgenommenes Reggae-Album "Aux Armes Et Caetera" veröffentlicht.

Darauf ist sowohl Peter Toshs Rhythmus-Sektion als auch Bob Marleys Frau Rita mit einigen Marley-Background-Sängern zu hören. In der Kunst des Unruhestiftens ist Gainsbourg wieder ganz der Alte: zunächst bringt er Rita Marley dazu, erotische Texte zu singen, was Ehemann Bob auf die karibische Palme bringt. Und schließlich covert er die heiligste Melodie Frankreichs, die "Marseillaise", indem er sie mit einem Reggae-Beat unterlegt. Das Ergebnis heißt wenig ehrfurchtsgebietend "Aux Armes Et Caetera" ("Zu den Waffen usw.") und bringt vor allem Politiker und altgediente Generäle seiner Heimat in Rage. Auf seiner ersten Konzertreise seit den 60ern erlebt Gainsbourg teilweise ungetrübten Hass, der in Straßburg eskaliert: Bei Einsetzen des Reggae-Beats im "Marseillaise"-Song buht eine ehemalige Fallschirmjäger-Truppe im Publikum so hartnäckig, dass die Wailers verstört die Bühne verlassen. Gainsbourg singt die Nationalhymne daraufhin acapella, woraufhin sich der Randale-Mob kleinlaut aus der Halle verzieht. "Aux Armes Et Caetera" wird Serges erstes Gold-Album dank 500.000 verkaufter Einheiten.

In den 80ern schreibt er ein Album für den Kollegen Jacques Dutronc, dem er Anfang der 70er schon einen Song komponiert hatte und nimmt ein weiteres Reggae-Album auf den Bahamas in Angriff. Neben einigen Soundtracks arbeitet er auch mit Ex-Freundin Jane Birkin für deren Soloalbum zusammen und landet 1984 mit dem Funk-infizierten "Love On The Boat"-Album nochmals einen unerwarteten Kassenschlager. Die Nation darf sich derweil an seinem Inzest-Song "Lemon Incest" erregen, den Gainsbourg mit seiner Tochter Charlotte aufnimmt.

Sein Querschläger-Image in der Öffentlichkeit prägen außerdem einige TV-Auftritte. So setzt er eines Abends einen 500 Franc-Schein in Brand, in einer anderen Live-Übertragung äußert er gegenüber seiner Nebensitzerin, der US-Sängerin Whitney Houston, ungalante Wunschvorstellungen: "I would like to fuck you". Im privaten Leben wird der 58-Jährige noch einmal Vater eines Sohnes. Mittlerweile ist er mit der 32 Jahre jüngeren Freundin Bambou liiert. Ende der 80er geht er ein letztes Mal auf Tournee und präsentiert sich seinem Publikum als ein in die Jahre gekommener Kultsänger, der seinen labilen Gesundheitszustand kaum noch verbergen kann. Seiner starken Abhängigkeit von Nikotin und diversen Alkoholika begegnet er mit Kalauern: "In Alkohol legt man Früchte ein und Fleisch wird geräuchert."

1990 nimmt er sich in alter Tradition noch einmal einer jungen Sängerin an und schreibt für das zweite Album von Vanessa Paradis die Texte. Am 2. März 1991 findet ihn seine Freundin Bambou tot im Badezimmer auf. Serge Gainsbourg erlitt eine Herzattacke. Am Tag seiner Beerdigung auf dem Friedhof Montparnasse kommt der Pariser Verkehr fast zum Erliegen; zahlreiche Prominenz erweist der französischen Ikone die letzte Ehre. Clermont-Ferrand verleiht 2001 als erste Stadt Frankreichs einer Straße den Namen "Rue Serge-Gainsbourg". Nach diversen "Greatest Hits"-Veröffentlichungen erscheint im Jahr 2003, pünktlich zu Gainsbourgs 75. Geburtstag, sein berühmtes Reggae-Album "Aux Armes Et Caetera" in einer Wiederauflage mit bislang unveröffentlichten Song-Versionen und ausführlichem Booklet.

Im Mai 2006 erscheint zu Gainsbourgs 15. Todestag eine fett bestückte Compilation, auf der angesagte Bands und verdiente Künstler im Vermächtnis des Franzosen wildern. Mit dabei sind u.a. Franz Ferdinand mit Jane Birkin ("Sorry Angel"), Jarvis Cocker mit Kid Loco ("Je suis venu te dire que je m'en vais"), Placebo ("Ballade de Melody Nelson"), Michael Stipe ("L'Hôtel particulier") und Tricky ("Goodbye Emmanuelle").

Im Herbst 2010 flimmert "Gainsbourg. Der Mann, der die Frauen liebte" über die Kino-Leinwände. In Szene gesetzt von Joann Sfar, einem Star der französischen Comicszene, tendiert der Film mit surrealen und fantastischen Sequenzen eher in Richtung Märchen denn Biopic. 2016 jährt sich Gainsbourgs Tod zum 25. Mal, weshalb mit "London Paris 1963 - 1971" eine Art Best Of erscheint. Auch fünfzig Jahre später kann man den Wirbel, den seine Lieder damals entfachten, noch gut nachempfinden.

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