laut.de-Kritik

Metal und Dancehall kreuzt sonst keiner.

Review von

Als ich in meiner ersten Reggae-Radiosendung vor neun Jahren einen Titel von Skindred aufgelegt habe, war die englische Band mit ihrem kruden Genre-Crossover zwar schon ein alter Hut, sorgte aber für Empörung. "Mogelpackung", schäumte eine Hörerin, "purer Roots Reggae" wurde eingefordert. Dabei kombinieren Skindred so intelligent die Welten von Heavy Metal, Rap-Metal, Punk-Ska, Roots Reggae, Dancehall, Adult Oriented Rock, dass sie damit jeden einzelnen Stil aufwerten.

Wer generell lieber das hört, was erwartbar ist, wird insbesondere mit "Smile" jetzt gewisse Probleme haben. Etwa, dass Nickelback-Sound mit übersteuert kehligem Gesang und der Aura von Ward 21 und T.O.K. im Track "If I Could" ungewohnt wirkt und eine Grenze überschreitet. Die Härte des Dancehall des Jahrtausendwechsels mit den ikonischen Fauch-Tiraden Capletons und Bounty Killers lädt geradewegs dazu ein, harte Metal-Breaks zu unterlegen. Hochspannungs-Einheiz-Hymnen wie Mr. Vegas' "Nike Air" oder Lady Saws "Sycamore Tree" sind mit oder trotz ihrer ungeschliffenen Rawness urjamaikanische Kultur-Erzeugnisse, denen gegenüber mancher als "purer Roots Reggae" verstandene Weichspül-Soulpop-auf-Rasta-Beats viel kompromisshafter auf die Billboard-Charts schielt.

So gesehen kann man Skindred dazu beglückwünschen, dass sie zitternde Punk-Metal-Bass-Riffs unter diesen Dancehall legen, einen 'echten' Schlagzeuger für diese Tanzflächen-Schlacht bereit stellen und ein Lied wie "Set Fazers" noch dazu nutzen, Kriegs-Rhetorik zu dechiffrieren und Musik als pazifistische Gegenwehr zu feiern: "The people dem a rock and everything is fine / We no need violence we no need no crime". Sicher, die Botschaften sind einfach gestrickt, teils eine Aneinanderreihung von Party-MC-Slogans ("move your body to the bass / We're hitting hard and coming strong"), und das Patois aus der walisischen Ferne wirkt mitunter ungelenk.

Manche Nummern, zum Beispiel das allzu routinierte "Unstoppable", das nervtötend stupide "Gimme That Boom" oder das langweilige "Life That's Free", stellen Versatzstückhaftigkeit über Fantasie. Sie ergehen sich in durchgekauten Endlos-Wiederholungen ("rip it up again"), simplen Laut-Leise-Gefällen, lasch herunter gespielten Grunge-Dissonanzen, die Rossdale bis heute besser drauf hat, und jeder Menge Peitschenhiebe auf die Snares zum Selbstzweck statt Ausdruck.

Im Vergleich mit deutschen Acts wie Le Fly, Irie Revoltés oder Mono & Nikitaman fällt gleichwohl auf, dass Großbritannien offenbar genauso wie Deutschland und Österreich solche linkslastigen Bands mit deftigen Lyrics braucht, die Weltanschaulichkeit, Wissen ums Alternativ-Sein und flache Wortspiele mit Sound, der abgeht, körperlichen Shout-Out-Vorträgen und Shake-your-ass-Rhythmik verknoten. Heraus kommen soll jedes Mal politisch korrekt gedachte und rotzig formulierte Party-Mucke, also Identitätsstiftung durch gemeinsames Open Air-Schwitzen mit Chucks statt drei Streifen an den Füßen.

Rational ist der Erfolg solcher Musik nicht erklärbar, Harmonielehre und Genre-Analysen versagen - es geht um den Zusammenhalt und das Anders-Sein, und das vermitteln Skindred seit einem Vierteljahrhundert. Wäre es nur das Ziel, scheinbar unvereinbare Stile miteinander überkreuz zu legen, müsste eine ebenso dienstalte Band wie SOJA von der US-Ostküste mindestens denselben Stellenwert einnehmen. Aber im Vergleich sind die wohl zu gleichmütig, denn genau das politisch Pazifistische braucht manchmal mehr Wumms im Sound, als 'nur' Rock-, Rap- und Reggae-Elemente zu verschmelzen.

Ob der kraftvolle Zwerchfell-Gesang, die gerollten 'R' oder die Drum'n'Bass-Elemente in "L.O.V.E. (Smile Please)" den Reiz ausmachen, Skindred stellen in ihren besseren Tracks sogar alles in den Schatten, was aus Amerika an Rock-Reggae so herüber schwappt. (Obwohl der Drummer der Tribal Seeds uns sagte, Rage Against The Machine sei seine Lieblingsband.) Drum'n'Bass ist auch das Stichwort fürs erfrischend leichtfüßig zuckelnde "Mama" und fürs geschickt aufgebaute "State Of The Union". Vertrackt, exotisch-dubbig, mit Melodica-Zitaten und vibig rockend, bietet das Lied verschiedene Schattierungen kompakt vereint.

Auf der 'Real' Roots Reggae-Ebene beweisen sie etwa im Intro von "This Appointed Love", dass sie sehr genau wissen, wie gute alte Keyboards-Lovers Tunes eines Freddie McGregor klingen. Sie wissen, was sie da tun, auch wenn sie am Ende desselben Tracks in brüllendem Midtempo-Groove Metal landen.

Rap-Strophen mit Metal-Refrains wie in "Black Stars" wirken heute dagegen etwas überholt. Den Versuch des Throat-Singing in "Our Religion" hätte man gerne lassen können. Eine stringente Hardcore-Nummer wie "Addicted" zündet dagegen mehr. Insgesamt entsteht ein durchwachsener Eindruck mit immer wieder interessanten Ansätzen.

Diese vielseitige Band gehört primär auf die Bühne. Die Studio-Takes hier vermitteln relativ wenig von der Energie einer Live-Show. Und der CD-Titel "Smile" leitet etwas in die Irre. Vornehmlich lässt diese Scheibe Wut raus. Wer darauf Lust hat, wird mit herzhaften Riffs bedient und bekommt gleichzeitig noch ein Füllhorn an gestalterischer Aufbereitung.

Trackliste

  1. 1. Our Religion
  2. 2. Gimme That Boom
  3. 3. Set Fazers
  4. 4. Life That's Free
  5. 5. If I Could
  6. 6. L.O.V.E. (Smile Please)
  7. 7. This Appointed Love
  8. 8. Black Stars
  9. 9. State Of The Union
  10. 10. Addicted
  11. 11. Mama
  12. 12. Unstoppable

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