laut.de-Kritik

Elektrisierende Rückkehr der Noisepop-Pioniere.

Review von

Ob Oasis, The Kinks oder Creedence Clearwater Revival: Bands mit Brüdern fielen oft dem Streit zum Opfer. Dass es nach einem Split aber durchaus auch zur Versöhnung kommen kann, bewiesen die schottischen Noisepop-Pioniere von The Jesus and Mary Chain.

1983 starteten Jim und William Reid ihre Band und lösten sie nach einer großen Erfolgsgeschichte kurz vor der Jahrtausendwende wieder auf. Doch bei einem Coachella-Auftritt im Jahr 2007 rauften sich die Brüder noch einmal zusammen. Zehn Jahre später veröffentlichten sie sogar das Comeback-Album "Damage and Joy".

Seit der Reunion steht für die Brüder schöpferisches Wut-Management auf dem Programm: "Wir streiten, wir werden immer streiten, wir haben immer gestritten", erzählt Sänger Jim im Gespräch mit grammy.com, "Aber es ist jetzt produktiver und weniger gemein. Wenn es aktuell schlimm zu werden droht, denken wir uns: 'Oh, wir nähern uns dieser Grenze, machen wir lieber einen Schritt zurück'. Es funktioniert viel besser als früher. Es geht uns gut".

"I'm alright, I'm okay", heißt es entsprechend im Opener "Venal Joy". Es sind die letzten Zeilen in einem Song, der perfekt auf den Punkt bringt, wie viel Energie und Kreativität weiterhin in dieser Band steckt. Mit ekstatisch überreizten, messerscharfen Synthlines, die den Chemical Brothers den Rang streitig machen, starten die Könige der Rückkopplung in einen rotzfrechen, mitreißenden Groove und in ein elektrisierendes achtes Album.

Aufgenommen in Mogwais Castle of Doom Studios in Glasgow integriert der JAMC-Sound verstärkt elektronische und sogar jazzige Elemente. Auch wenn da nicht jeder Track ganz hinterherkommt ("Discotheque", "Silver Strings"), liefert das Album ein spannendes Klangspektrum mit gezielten Schwenks zu Kraftwerk, D.A.F. oder Can.

"Jamcod", die erste Singleauskopplung, rattert in einen hypnotischen Elektro-Rock-Sog zwischen Primal Scream und Nine Inch Nails. Aufregend steuert "Mediterranean X Film" seine Postpunk-Poesie in eine Improvisation aus flirrenden Voice- und Synthfragmenten.

Vier Dekaden nach ihrem umjubelten Debüt "Psychocandy" revitalisieren die Reid-Brüder aus East Kilbride ihren Signature-Mix aus Shoegaze-Dröhnen und süßen Melodien. Als würde die Band den Feedback-Rock erneut aus der Taufe heben, türmt sie in "Pure Poor" meisterlich Schichten der Verzerrung übereinander.

"Hey Lou Reid" lässt keinen Zweifel an seinem Vorbild. In sechs Minuten schlägt die Velvet-Underground-Hommage einen Bogen von einer coolen Garagerock-Skizze zu einer experimentell ausschweifenden, träumerisch schwebenden Klangkulisse mit 'girls', 'sunglasses' und 'television'.

Zwischen Reife und Frische, zwischen dem Blick zurück und der Vision für die Zukunft, entstehen hinreißende Noisepop-Bonbons. Mit Krach und klassischen Harmonien feiert "The Eagles And The Beatles" nicht nur die im Titel genannten Inspirationen, sondern auch Bob Dylan, die Beach Boys, und die Rolling Stones.

Im Powerpop-Modus dreht schließlich die Liebesgeschichte "Girl 71" eine pessimistische Haltung in einen herrlich zuversichtlichen Ausblick. Aus "We got nothing" wird "Hey, hey, we got what we need". Diese Brüder wird hoffentlich nichts mehr trennen können.

Trackliste

  1. 1. Venal Joy
  2. 2. American Born
  3. 3. Mediterranean X Film
  4. 4. Jamcod
  5. 5. Discotheque
  6. 6. Pure Poor
  7. 7. The Eagles And The Beatles
  8. 8. Silver Strings
  9. 9. Chemical Animal
  10. 10. Second Of June
  11. 11. Girl 71
  12. 12. Hey Lou Reid

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2 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor einem Monat

    Wäre sehr schade, wenn diese Platte im üblichen Kaffeekränzchen von laut de untergehen würde. Entsprechend mal dicke Props für die Platte. Die beiden schaffen es wirklich, interessant zu bleiben, sich nicht zu sehr zu wiederholen :)

    • Vor 30 Tagen

      Gut, dass du hier noch einmal insistiert hast. Ich hatte das Release auf dem Radar, aber hätte sonst vielleicht nicht reingehört. Das wäre ein Versäumnis gewesen :)

  • Vor 29 Tagen

    Wirklich ne schöne Scheibe!
    Ich bin jetzt kein Kenner deren Hauptwerks, habe natürlich Psychcandy ein paar Mal gehört, bin aber vor allem von Attitüde und Coolness beeindruckt.
    Ich finds gut, dass die neue Scheibe etwas dynamischer und druckvoller klingt, als vieles von deren alten Songs.
    Favoriten wären Venal Joy, Silver Strings und Girl 71.
    Vielleicht gönne ich mir das Konzert in Berlin.

    • Vor 28 Tagen

      Hm gerade die von dir genannten Songs... muss man schon mögen, die Kombi mit diesen Drum PC Sounds. Jims Stimme schon immer noch Alleinstellungsmerkmal(von einem Mr. E vllt mal abgesehen)

      Werds weiter probieren und ist schon schön, dass die immer noch guten Output haben. An die großen Meisterwerke kommts für mich nicht ran, was es ja aber auch nicht unbedingt muss.