laut.de-Kritik

Nach 24 Sekunden hat die Ruhe ein Ende.

Review von

Warum sich Evan Dando letztlich zehn Jahre Zeit ließ, bevor der Entschluss in ihm reifte, ein neues Kapitel in der Lemonheads-Historie aufzuschlagen, wir werden es wohl nie erfahren. Es könnte allerdings sein, dass eines seiner jüngeren Zitate hinsichtlich der Veröffentlichung des schlicht "The Lemonheads" betitelten, achten Studioalbums der Wahrheit schon sehr nahe kommt: "Ab und zu", so der mittlerweile 39-Jährige, "muss ich einfach eine Rock-Platte machen." Alle zehn Jahre also.

Diese salopp formulierte Definition erklärt zumindest recht plausibel den Umstand, warum Dandos großartiges und von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriertes 2003er Album "Baby, I'm Bored" unter seinem eigenen Namen erschien. Darauf fanden sich vorwiegend ruhige Songs in der Tradition der vergessenen Country Rock-Ikone Gram Parsons ein, die in ihrer abgehangenen Perfektion allesamt die spätestens seit "My Drug Buddy" (1992) aufgekommene Vermutung nährten, dass Dando seine wahre Bestimmung als Songwriter in den zart-melancholischen Momenten gefunden hat.

"The Lemonheads" widerlegt diese These nach exakt 24 Sekunden Spielzeit so schroff wie eindrucksvoll. Zwar wägt "Black Gown" die Balladenfreunde mit seinem behäbigen Piano-Beginn noch in trügerischer Sicherheit, doch urplötzlich hat die Ruhe ein Ende: die E-Gitarren röhren und das Schlagzeug prescht unvernünftig drauflos, bringt en passant die Hi-Hat-Becken zum Glühen und arbeitet schließlich auf ein verzögertes Break hin, dass man es kaum fassen kann, wie Dando in diesem Tohuwabohu eigentlich noch ruhig bleiben kann. Welcome home, buddy!

Denn da ist sie wieder, die sanfte Stimme des Gestrauchelten, der zur Freude aller Nostalgiker im Leben wie im Hauptberuf einfach nicht totzukriegen ist. Zu den Vorzügen des Comebacks zählt nicht allein die anhaltende Kreativität des Ex-Junkies, sondern auch sein Gespür für die richtigen Mitglieder zur richtigen Zeit. Die Lemonheads, seit jeher ein mehr oder weniger loses Musikeraufkommen um den blonden Bandboss, sind heute auch Spielwiese für die Ex-Descendents-Männer Karl Alvarez (Bass) und Bill Stevenson (Drums), deren Rhythmusgerüst in Kombination mit der trocken-metallischen Produktion ein echter Glücksfall ist.

Bis auf dieses technische Detail verschleiert "The Lemonheads" nämlich eindrucksvoll, dass seit "Car Button Cloth" tatsächlich zehn Jahre vergangen sind. Trotzdem ist man heilfroh, die Zeit überdauert zu haben, in der man Schlabberpullis oder Batik-Klamotten anziehen musste, um diesen lässigen Folk-Pop mit zackigen Punk-Exkursen gut zu heißen. Herrlich, wie nahtlos die zähen Strophen von "Become The Enemy" in einen dieser überzuckerten Dando-Refrains hinübergleiten, wie "Pittsburgh" nur ein weiteres Up-Tempo-Highlight in der Bandgeschichte markiert und die Leadgitarre in "No Backbone" auch noch den ewigen Riffquietscher J. Mascis ins Zentrum des Geschehens zerrt.

Derweil findet Dando seine helle Freude daran, Zeilen über Orte wie Poughkeepsie, Spanish Harlem oder Pittsburgh zu dichten und seine nach der Heirat mit Langzeitfreundin Elizabeth Moses wieder gewonnene Lebensfreude zu verschleiern, indem er sich in die Rolle des gehörnten und rachsüchtigen Ehemannes wagt ("Baby's Home"). Dass die beiden vom Ex-Black Flag-Haudegen Stevenson verfassten Songs "Become The Enemy" und "Steve's Boy" dem hohen Level standhalten, spricht für die Einheit der neuen Männerrunde, bei der man unartigerweise nicht einmal Juliana Hatfield als Backgroundsängerin vermisst.

Wie es weiter geht mit den Lemonheads? Da klingt eine Albumzeile besonders visionär: "We can never do anything about anything anyway / whatever will be / I guess we'll see / so let's just laugh."

Trackliste

  1. 1. Black Gown
  2. 2. Become the Enemy
  3. 3. Pittsburgh
  4. 4. Let's Just Laugh
  5. 5. Poughkeepsie
  6. 6. Rule of Three
  7. 7. No Backbone
  8. 8. Baby's Home
  9. 9. In Passing
  10. 10. Steve's Boy
  11. 11. December

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Lemonheads

"Bring me the head of Evan Dando!", prangte es von der Bassdrum des Social Distortion-Drummers herab. Anfang der Neunziger zeigte der Beliebtheitsgrad …

10 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    wobei ich ja finde, dass auf dem nachfolgealbum "come on feel the lemonheads" noch bessere melodien und interessantere songs drauf sind. (was die qualität der "it's a shame about ray" aber in keinster weise schmälern soll.)

  • Vor 17 Jahren

    schon überraschend. der herr dando und sein soloalbum von vor 3? jahren. da sah es ja wirklich nach ende aus. dazu live-auftritte, die ich aufgrund seiner z.T. recht lustlosen und verkoksten art nach der hälfte fristriert verlassen musste..und nun knallt er mit den lemonheads ein albzum auf den tisch, welches wirklich verdammt gelungen ist. ohne schnörkel...einfach da irgendwo vor zig jahren aufgehört wurde...wird weitergemacht. sowas können sonst nur die bluetones. zeitloses zeug! gutes zeug

  • Vor 17 Jahren

    @olsen: also ich find schon dass die sehr gut mit den anderen alben mithalten kann. ich würde sogar sagen die ist noch ein tick ausgereifter.