laut.de-Kritik

Politik auf musikalisch hohem Niveau.

Review von

Mit einem Knall beginnt "There's Me And There's You". Rauschen, Knistern, ein Beat, Jazz hält Einzug, dann erhebt Eska Mtungwazi ihre liebliche Stimme. "Das ist die Geschichte, über die du nichts liest." Jedem Song liegt eine Beschreibung der verwendeten Materialien zugrunde. Für "The Story" waren es zahlreiche Zeitungen, verbunden mit der Aufforderung, www.projectcensored.org zu besuchen.

Wie geht man mit einem Musik-Album um, das derart aggressiv Politik betreibt? Es geht um Macht, den Irak-Krieg, Guantanamo, den israelisch-palästinensischen Konflikt, Konsum, Medien … kaum ein wichtiges Thema fehlt. Dabei, so Matthew Herbert, "erübrigt sich die Frage nach Musik und Genre: Es geht um Leben und Tod."

Erlauben darf man sich solch eine Einstellung natürlich nur, wenn das Transportmedium überzeugt. Einem Politiker nimmt man seine Botschaft wohl auch schwerlich ab, wenn er sie ungenügend kommuniziert. Ein Musiker, der mittels seiner Musik Politik macht, muss zuallererst mit seiner Musik überzeugen. Kann er überhaupt Musik machen, oder redet er nur?

Er kann! Matthew Herbert entlockt ungewöhnlichen Gegenständen ungewöhnliche Geräusche und bettet diese trotzdem in eine musikalische Struktur, die schön anzuhören ist. Er hat ein Gefühl dafür, was gute Musik ist und setzt dieses Gefühl konsequent um.

Neben der guten Big Band überzeugt vor allem die exzellente Sängerin Eska Mtungwazi. Wo z.B. in "Battery" die sich immer stärker aufbauende Geräuschkulisse nach dem vorläufigen Höhepunkt urplötzlich stoppt und in eine überraschende Stille übergeht, folgt Eska all diesen Wendungen mit einer vielstimmigen Leichtigkeit. Sie schmettert in einem Moment vollmundig und gewaltig ihre gesamte Kraft hinaus, nur um im folgenden Augenblick zart flüsternd eine sanfte Ruhe zu beschwören.

Ein Highlight ist das treibende "Yesness", in dem hundert mächtige Leute "ja" sagen, wie etwa Ex-Premier John Major. Eska singt dazu mit ebenso mächtiger Stimme: "I wanna here Yes! Yes, Yes, Yes". So wie das traurige "One Life", mit dem piependen Geräusch des Brutkastens von Herberts Sohn, das mit jedem Schlag für jeweils hundert im Irakkrieg getötete Menschen steht. Im genialen "Nonsounds" begleiteten anrührende Bläser die Geräusche auf Palästinas Straßen - Hahnengeschrei, Grillenzirpen - es geht aber um erschossene Demonstranten an der palästinensischen Grenzmauer.

Die Verbindung schöner Musik mit politischen Themen ist in dieser konsequenten Form etwas Einmaliges. Das schlechte Gewissen der Pop- und Konsumwelt, das den anzeigenden Finger unerbittlich auf ihre Missstände legt! Kaufen! Hören! Nachdenken! Die Welt besser machen! "Das Glas ist definitiv halb voll."

Trackliste

  1. 1. The Story
  2. 2. Pontificate
  3. 3. Waiting
  4. 4. Yessness
  5. 5. Battery
  6. 6. Regina
  7. 7. Rich Man's Prayer
  8. 8. Breathe
  9. 9. Knowing
  10. 10. Nonsounds
  11. 11. One Life
  12. 12. Just Swing

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1 Kommentar

  • Vor 15 Jahren

    Ich sehe dieses Album als den Beginn einer neuen Ära in Herberts Schaffen an. Dani Siciliano hatte zwar eine traumhafte Stimme, war jedoch technisch begrenzt. Mit Eska eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten und das merkt man hier voll und ganz.

    Ich habe das Album jetzt ein paar Tage und bin total weggeblasen. Das passiert bei Matthew Herberts komplexen und teilweise schwer zugänglichen Arrangements nicht alle Tage.
    Auch wenn ich es schade finde, dass Danis und Herberts Ehe gescheitert ist und man sie nicht mehr auf Herberts Alben zu hören bekommt. Künstlerisch ist eine derart hochklassige Sängerin wie Eska eine Weiterentwicklung und lässt - vor allem mit Herberts und Eskas Ankündigung, dass dies eine längere Zusammenarbeit werden wird - nur auf weiteres hoffen. Eskas Solo-Album wird wohl auch von Herbert produziert werden.
    Ich bin gespannt. Bis dahin heißt es genießen. :phones:

    PS: Bei iTunes gibt's einen Bonus-Track namens "Blow The Final Whistle". Ebenfalls sehr sempfehlenswert. :smug: