laut.de-Kritik

Neue Wehmutsweisen aus Weilheim.

Review von

Die neue Notwist-Platte kommt im selben Post-Päckchen wie Portishead. So ist das eben im Leben: Monatelang passiert überhaupt nichts und plötzlich kollidieren wie aus dem Nichts zwei bis zum Rand beladene Tanker. Die begehrte Fracht: Musikalische Wirkstoffe für über die Jahre mächtig ausgezehrte Hörer.

Sicher: Mit ihren sechs Jahren Auszeit kommt die Weilheim-Gang im Gegensatz zu den Königen der Langsamkeit aus Bristol noch relativ zackig rüber. "Neon Golden" ist trotzdem unendlich lange her und obwohl wir nicht recht wussten worauf, warteten wir doch insgeheim Jahr für Jahr auf neue alte Wehmutsweisen aus Weilheim.

Auf "The Devil, You + Me" sind wir nun endlich wieder eins mit den Freaks. Die Begrüßung fällt herzlich aus, allerdings mit einer gewissen Distanz - jeder hat ja einiges ohne den anderen erlebt.

"Good Lies" an den Anfang der Platte zu setzen bzw. ihn als Vorab-MP3 vom Label um die Welt schicken zu lassen, war eine gute Entscheidung, denn sie erleichtert das Wiedersehen. Markus Acher singt mit seiner leisen, brüchigen Stimme über Bruder Michas Gitarren, die schon das ansprechende Übergangsprojekt 13&God vor drei Jahren eindeutig als Notwist-Produktion auswiesen.

"Where In This World" offenbart anschließend sogleich die düstere Schwere, die sich im Laufe des Albums zu entfesseln gedenkt. Grollende Celli, Moll-Abgründe und ein mit sanften Knistergeräuschen erstmals vorstellig werdender Martin Gretschmann bestimmen das intime Bild. Und noch während sich Achers Zeile "There's no escape from this circling place" mantragleich ins Hirn hämmert, kämpft der Console-Soundmagier am Zirppult gegen das Crescendo des extra einbestellten Orchesters.

Dem roten "Neon Golden"-Album müsste demnach in visueller Hinsicht ein dunkelgraues folgen. Doch im Gegensatz zu Portishead setzten The Notwist nicht auf eine Artwork-Identität. Die Talk Talk-Platte "The Spirit Of Eden" kommt ins Gedächtnis, betrachtet man das seltsam naturalistische Cover. Ähnlich wie die großen Pop-Verweigerer der späten 80er Jahre suchen nun auch die bayerischen Eigenbrötler bewusst die Reduktion, kehren schnell fassbaren Melodiebögen den Rücken zu und verlangen erhöhte Aufmerksamkeit. Wenn auch nicht ganz so eskapistisch wie einst die Briten.

Anschmiegsame Pop-Momente wie "Pick Up The Phone" oder gar ein zweites "Pilot" sind dennoch Mangelware. Einzig in "Boneless" lässt man die 2002 zur Kunstform erhobene Upbeat-Symbiose aus Rock und Elektronik noch einmal souverän als Fingerübung aufblitzen.

Ansonsten stehen die Akustikgitarre und Achers Gesang im Mittelpunkt, um die dann ein Gerüst entsteht, wobei das Arrangement meist nicht allzu üppig ausfällt.

Wie stark sich die Wirkung dieser Vorgehensweise entfaltet, belegt besonders die Tatsache, dass es einzelne Textfragmente Achers sind, die noch viel später vom Gehörten hängen bleiben. Beim funkelnden Titelsong etwa die Refrainzeile "Bring it on home / And keep it warm / Won't leave you anyhow" oder der Refrainabgang im wunderschönen "Sleep".

Und hat man sich dem zurück genommenen Klangkosmos einmal ergeben, zeigen Songs wie "Gravity" oder das wieder symphonisch und feingliedrig umgesetzte "Hands On Us" plötzlich eine sehr zugängliche Seite. Die Klasse des auf einem Samplebeat aufbauenden, leicht an Massive Attack erinnernden "On Planet Off" springt einen da im Vergleich schon fast an. Fans der Gruppe kennen den Song bereits aus den letztjährigen Festivalshows.

Der nunmehr auf drei Personen runtergeschraubte Notwist-Nukleus (Schlagzeuger Messerschmidt verließ vor den Aufnahmen nach über fünfzehn Jahren die Band) garantiert also noch immer für ergreifende, berührende Musik. Dass "The Devil, You + Me" kommerziell ähnlich einschlägt wie sein Vorgänger, erscheint derweil mindestens so zweifelhaft wie ein gestiegenes Interesse der Notwister an Absatzzahlen.

Und doch wird die gerne als starrköpfig beschriebene Band dank einer scheinbar ebenso wenig von Moden und Trends beeinflussbaren Gefolgschaft auf den Bühnen von Tokyo bis Seattle gefeiert werden. Nicht nur "The Devil, You + Me", ihre ganze Karriere scheint wie ein Monument gewordenes Statement gegen die Wegwerf-Gesellschaft unserer Zeit.

Trackliste

  1. 1. Good Lies
  2. 2. Where In This World
  3. 3. Gloomy Planets
  4. 4. Alphabet
  5. 5. The Devil, You + Me
  6. 6. Gravity
  7. 7. Sleep
  8. 8. On Planet Off
  9. 9. Boneless
  10. 10. Hands On Us
  11. 11. Gone Gone Gone

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