15. März 2018

"Wir glauben nicht, dass alle Menschen gleich sind"

Interview geführt von

Nach Van Halen sind Three Days Grace die erfolgreichste Band in den US-amerikanischen Rock-Single-Charts. Mit dem hitgespickten neuen Album "Outsider" in petto könnten sie bald die Regentschaft übernehmen.

Barry Stock stammt zwar wie der gesamte Kern der Band aus Ontario, Kanada, heute klingelt der Three Days Grace-Bassist aber aus New York durch. Eine Woche vor dem Release des neuen Albums "Outsider" sind der Mann und seine Bandkollegen im Headquarter ihrer Plattenfirma schwer beschäftigt, Presseanfragen aus aller Welt zu beantworten. Offenbar so beschäftigt, dass seine Label-Verantwortliche uns spontan das auf eine halbe Stunde angesetzte Interview auf 15 Minuten zurechtstutzt.

Seit dem Debüt veröffentlicht ihr schön regelmäßig im Drejahrestakt neue Alben. Wie schafft ihr es denn, diesen Takt so lange aufrechtzuhalten?

Haha, wir machen das nicht bewusst, es passiert einfach. In der Regel nehmen wir uns ein Jahr Zeit, um ein Album zu machen, dann touren wir damit 18 bis 20 Monate, bevor wir uns wieder etwa ein Jahr zurückziehen, um am nächsten Album zu schreiben. So lief es letztlich immer ziemlich genau auf drei Jahre hinaus.

Ist dieser geordnete, regelmäßige Ablauf Teil eurer Erfolgsformel und ein Grund, warum ihr all die Jahre als Band überdauert habt?

Definitiv. Es hilft vor allem, Familie und Band unter einen Hut zu bekommen. Wir sind alle große Familienmenschen und dieses Jahr, das wir uns immer freihalten, um ein neues Album zu machen, nutzen wir natürlich auch, um Zeit mit unseren Familien und Freunden zu verbringen. Wenn du zuvor lange auf Tour bist, sehnst du dich einfach nach Zuhause. Und wenn du ein Jahr zuhause verbracht hast, bist du wieder heiß drauf, rauszukommen. So funktioniert das für uns sehr gut.

Sprechen wir übers neue Album. Zu Beginn des Openers "Right Left Wrong" hört man ein deutsches Vocal-Sample. Wie hat es das denn aufs Album geschafft?

Jill, eine unserer Assistenz-Toningenieurinnen, stammt aus Deutschland. Fürs Demo von "Right Left Wrong" nutzten wir so eine Art Telefonsprech. Das wollten wir aber nicht auf dem Album haben. Also fragten wir Jill, ob sie Lust hätte, das für uns zu übernehmen. Sie war sofort dabei und streute dann einmal die deutsche Version dessen, was sie sagte ("Ich weiß nicht, was du meinst") ein. Wir fanden das supercool.

Mit "Outsider" habt ihr einen schnörkellosen, recht gewöhnlichen Titel gewählt – manche würden wohl sagen "unoriginell". Damit verbunden ist natürlich ein zeitloses Thema. Warum habt ihr euch für diesen Titel entschieden?

Wir feiern lieber unsere Unterschiede als zu denken, wir wären alle gleich. Niemand in der Band glaubt daran, dass wir alle gleich sind. Die Menschen sollten alle gleich behandelt werden und die gleiche Würde erfahren, aber es ist doch ganz klar, dass wir als Personen nicht alle gleich sind. Es ist okay zu sagen, dass du dich von einer bestimmten Gruppe unterscheidest oder in eine andere nicht hineinpasst. Diese Thematik beschäftigte uns in letzter Zeit und "Outsider" bot sich an, um sie zu behandeln – es passt einfach momentan. Wir sind doch keine Roboter, sondern Individuen. Es ist okay, anders zu sein als alle anderen. Es ist okay, du selbst zu sein. Liebe dich selbst! Darum gehts.

Die Kernthematik des Albums ist also Individualität.

Ja, es ist eine Feier unserer Einzigartigkeit und der Akzeptanz dessen.

"Wir arbeiten am besten in Abgeschiedenheit"

Vergangenes Jahr hat ja bereits eine andere kanadische Band ihr Album "Outsider" genannt.

Echt? Wer denn?

Comeback Kid.

Oh, von davon habe ich noch gar nicht gehört.

Ihnen ging es vor allem auch um Ideen, nicht nur Personen – revolutionäre Ideen, die in ihrer Zeit nicht anerkannt wurden, weil sie mit der Denkweise des Mainstreams nicht vereinbar waren. Spielt das bei euch auch eine Rolle oder konzentriert ihr euch einzig auf Individuen?

Mh, für uns hat das Ganze definitiv nichts Politisches. Besonders hier in Amerika wirst du ja gerne wegen deiner politischen Ansichten als Außenseiter bezeichnet. Darum ging es uns aber ausdrücklich nicht, sondern schon mehr um eine persönliche Sichtweise. Manche fühlen sich eben als 'der, der nicht dazupasst'. Trotzdem ist eine ziemlich große Gruppe an Leuten der Meinung, wir wären alle gleich, woran ich nicht glaube. Wir sind alle total verschieden und das ist gut so. Einige Menschen sind über zwei Meter groß und haben damit beste Voraussetzungen als Basketballspieler. Andere sind nur 1,50 Meter hoch – die werden beim Basketball ganz sicher nicht ebenbürtig sein. Im Hinblick darauf kannst du einfach nicht sagen, alle Menschen wären gleich. Wir alle sind einzigartig. Lasst uns das feiern!

Fürs Songwriting zogt ihr euch teilweise in eine Garage zurück, back to the roots quasi. Erzähl doch mal.

Am besten arbeiten in Abgeschiedenheit. In der Stadt, wo so viel los ist, verlieren wir uns. Wir sind leicht abzulenken. Wir stammen ursprünglich aus ländlicher Gegend und kehren gerne dorthin zurück. Diesmal versammelten wir uns bei Brad (Walst, Bassist; Anm. d. Red.). Er hat eine vom Haus separierte Garage und obendrauf ein Studio gebaut. Dort quartierten wir uns ein zum Jammen und Schreiben. Ein Teil des Materials entstand auch in Neils (Sanderson, Drummer; Anm. d. Red.) Farmhaus. Das war auch super, da wir alle gern draußen in der Natur sind. Wir konnten Schreiben, dann mal kurz eine Runde mit dem Schneemobil drehen und wieder weiterschreiben. Es gab nur uns und friedliche Ruhe.

Ihr habt dasselbe Produktionsteam angeheuert, das schon bei "One-X" mit dabei war – mit der Begründung, ihr hättet euch in ähnlicher Stimmung befunden. Welche Stimmung war das genau?

Wir sind einfach sehr stolz auf dieses Album und wie damals alles geklappt hat. Wir hatten ein gutes Gefühl beim Songwriting und überlegten, wie wir das am besten weiterführen könnten. Mit Gavin Brown arbeiteten wir recht früh zusammen. Er hat unser erstes Album produziert und auch unser vorangegangenes. Mit ihm konzentrierten wir uns auf die Frage: Was ist Three Days Grace? Er ist super darin, uns dazu zu bringen, in uns zu gehen und die Themen zu finden, über die wir schreiben möchten. Bei "One-X" und "Life Starts Now" hatten wir Howard Benson an Bord, wir vertrauten ihm voll und ganz – er ist spitze in seinem Feld. Schließlich dachten wir uns: Warum bringen wir nicht das beste beider Welten zusammen? Gavin war dabei, half uns mit den Arrangements, schon bevor wir ins Studio gingen. Dann kam Howard ins Spiel, nahm Vocals, Produktion und so weiter in die Hand.

"Wir haben immer unsere Fans im Sinn"

Bei den Electronics griff euch teilweise Rhys Fulber von Front Line Assembly unter die Arme. War sein Einfluss insgesamt groß oder bezog er sich eher auf die Details und der Hauptteil kam von Neil (neben Drums auch für Keyboards zuständig; Anm. d. Red.)?

Das meiste hatten wir vorab schon in Demoform vorliegen. Wenn wir ins Studio gehen, sollte eigentlich soweit alles vorbereitet sein. Aber manchmal ist es natürlich schön, eine andere Perspektive einzuholen. Neil hatte schon viel mit Keyboards ge-demo-t, Rhys kennt sich super mit analogem Equipment aus. Alles was er einbrachte, setzte er mittels Oldschool-Synthesizer um. Manches von der Keyboard-Basis, die du auf der Platte hörst, übernahmen wir tatsächlich von den Demos. An anderen Stellen lieferten wir Rhys die Vorlage und trugen ihm auf, einfach etwas draus zu machen. Das gefiel uns gut, also entschieden wir uns, ihm noch mehr zu geben.

In einem Interview hast du verraten, dass dein Lieblingstrack aus den Sessions zu "Human" es nicht aufs fertige Album geschafft hat. Hat es diesmal geklappt?

Haha, ja, diesmal lief alles super. Aber wir sind eine Band, die sich lieber nicht zu sehr auf einzelne Dinge festlegt, denn bis wir uns nach dem Mix high-fiven und wirklich offiziell am Ende angelangt sind, kann sich alles ändern. An einigen Songs arbeiten wir wesentlich länger als an anderen. Bei "The Mountain" vom aktuellen Album zum Beispiel verwendeten wir viel Zeit aufs Umschreiben und probierten mehrere verschiedene Versionen aus. So lief das bisher bei den meisten unseren Alben. Einige Songs werden immer komplett auseinander genommen und oft läuft es darauf hinaus, dass wir verschiedene Versionen davon durchprobieren und schauen, welche am besten funktioniert. Manchmal gehen wir in ganz andere Richtungen, manchmal landen wir schlussendlich wieder genau dort, wo wir angefangen haben. Der Instinkt entscheidet. High-Five bedeutet: Cool! Du arbeitest eben mit drei anderen Typen zusammen und jeder hat seine eigene Meinung. Klar kommt es vor, dass du dich mal auf einen Part besonders einschießt, der dann schließlich abgeändert wird. Aber bisher kam am Ende noch immer das insgesamt Beste raus, glaube ich.

Vorhin sagtest du bereits, dass ihr für die Lyrics auf persönliche Erfahrungen zurückgreift. Kommt es manchmal auch vor, dass ihr überlegt, welche Themen die Fans beschäftigen, und ihr dann daraus eine Geschichte spinnt?

Wir haben unsere Fans immer im Sinn, schreiben die Songs aber nicht in erster Linie danach. Trotzdem berücksichtigen wir sie und wissen auch, was sie von uns vielleicht nicht so hören wollen. Es stimmt, viel kommt aus dem Persönlichen. Wobei es nicht zwingend etwas sein muss, dass wirklich mir selbst zugestoßen ist. Es kann auch in unserem Umfeld passiert sein. Politik zum Beispiel kann beeinflussen, auch wenn wir wie gesagt keine politische Band sind. Sie beeinflusst ja trotzdem die Welt um uns herum. Im Prozess zu diesem Album beobachteten wir einen großen Wandel – das beeinflusste sowohl unser Schreiben als auch unsere persönliche Situation. Die Inspiration kann im Grunde von überall kommen. Und dann suchen wir nach Catchphrases und coolen Titeln und schreiben drumherum, was wir uns fühlen.

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