laut.de-Kritik

Rücksturz zur Erde.

Review von

"The orbit never ends"? Oh, doch, doch. Da kann das "Intro" noch so bedeutungsschwanger brummen, schillern, flirren und sich verdichten. Am Ende zählt der Countdown trotzdem runter. "Zehn ... Neun ... Acht ..." Rücksturz zur Erde. Bei Null ist "Tone Time". Obacht, die Landung fällt - in verschiedener Hinsicht - hart aus.

Als ungebrochen hammerhart entpuppen sich die Ansagen, die Tone seiner imaginären Gegnerschaft noch immer freigebig um die Ohren haut. Imaginär dürfte die auch bleiben: Um sich einem kampfbereiten Frankfurter Panzer in den Weg zu stellen, müsste einen schon mindestens mittelschwerer Wahnsinn reiten.

Das "Flowgewitter", das Tone in seinem unvergleichlichen vernuschelt hessischen Zungenschlag über seine Hörer hereinbrechen lässt, ginge genau so gut als Mündungsfeuer durch. "Schnäppsche" auf "Häppsche" reimen, das dürfen sich sonst höchstens Azad und vielleicht noch Caser Nova erlauben.

Tones ausgetüftelte Reimschemata garantieren auch 2013 "ungestraften Genuss ohne schlechtes Gewissen". Wie zwei-, drei-, vierfach verschachtelt er seine Zeilen anlegt, lässt auf "T.O.N.E." einmal mehr noch nach dem dritten, fünften und zehnten Durchlauf die Kinnlade auf Kniehöhe sinken - "weil ich unglaublich geile Reime feile".

Auch Tones Talent für ausgesprochen phantasievolle Beleidigungen hat über die Jahre nicht gelitten: "Ich kanns, also misshandel' ich sie." Anders ausgedrückt: "Ich überwältige dich Pissnelkengesicht mit dem schnellsten Gedicht, das es gibt."

Bewaffnet mit rasiermesserscharfem Stift und der "Gatling Gun" veranstaltet das Frankfurter "Phänomen" ein grandios garstiges Gemetzel. Die Kluft zwischen dem höchst kultivierten, klassisch angehauchten Streicherbeat und dem kompromisslosen Verbal-Kung-Fu überflankt Tone mit erhabener Leichtigkeit, die seine Worte noch untermauert: "Es gibt niemand hier, der so tödlich präzise trifft."

Doch Tone beherrscht keineswegs nur das Haudrauf-Metier. Er beobachtet, analysiert und beschwört Atmosphären herauf, wie etwa in "Nicht Ohne Dich", dem lasziv-schwülen "Dreh Den Bass Tief" oder als Pilot auf dem "Nachtflug 808": "Vertrau' dem Kapitän: Diese Reise wird angenehm." So weit, so wahr. Trotzdem krankt "T.O.N.E." an mindestens zwei großen Schwächen.

Wenn einem abseits des Schlachtfeldes wirklich nichts Originelleres mehr einfällt als ein "Ich werde mich ändern, Babe, ich versprech' es dir"-Schwur ("Lächeln Von Dir"), die, obwohl gut umgesetzte, so doch gefühlt einhundertelfte Liebeserklärung an die Musik ("Nie Ohne Dich") oder die zehntausendste Ausgabe der Pack-dein-Leben-an-Parole ("Wertvoll"), dann sollte man es vielleicht lassen und gleich konsequent in der Battle-Arena bleiben.

Als noch viel störender empfinde ich allerdings Tones offenbar völlig fehlendes Händchen für Hooklines. Viel zu oft verplempert er ausgerechnet die Stellen, die einen Track im Ohr verankern könnten, an schmerzhaft flache Plattitüden. "Es gibt niemand, der uns halten kann. Komm, wir fliegen und halten niemals an", und das dann noch Autotune-verbrämt. Ernsthaft? Schade, solches ruiniert den wundervollen Einklang von Worten und Sound, der in den Versen regiert, fast komplett.

Schlimmer wirds noch, wenn Bintia in "Killer" "Uuh, Baby, uuh, Baby" schmachtet. Dem Fass die Krone ins Gesicht schlägt dann Sherita mit ihrem "Nichts ist so wertvoll wie duuuuuuu"-Geheul in "Wertvoll". "Doch die Welt ist krank", auch für diese Scheiße gibt es sicher Fans. Zum Glück steht dieser Track nicht ganz am Ende.

Das als letzten Eindruck zurück zu behalten, würde Tone nicht gerecht, denn: "Jeder Rap, den ich kick', ist so dick wie der Arsch von Nicki Minaj." Hätte er sich das schauderhafte Gesinge in jedem zweiten Chorus einfach verkniffen, die konkurrierende Welt tanzte wirklich kollektiv abwechselnd den einbeinigen Moonwalk und den Kackvogel-Chickendance, ehe sie Tones Statement dann doch unterschreiben müsste: "Nicht ich zu sein, muss beschissen sein."

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Tone Time feat. Magic
  3. 3. Nachtflug 808
  4. 4. Phänomen
  5. 5. Lächeln Von Dir
  6. 6. Gatling Gun
  7. 7. Dreh Den Bass Tief
  8. 8. Wahnsinn
  9. 9. Nicht Ohne Dich feat. Chima
  10. 10. Ufo Flugshow
  11. 11. Chickenshit
  12. 12. Killer feat. Bintia
  13. 13. Minen Im Paradies
  14. 14. Wertvoll feat. Sherita
  15. 15. Schluck Meinen Staub

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8 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    yo, die review unterschreib ich mal voll und ganz. leider schon immer ein problem von tone - extreme skills in puncto lines und reimketten aber relativ bescheidene hooks bzw. teils unausstehliche hooks. ich würde ihm ja gerne auf albumlänge zuhören aber gesülze wie das von chima in "nicht ohne dich" zwingen einen zum skippen...schade!

  • Vor 10 Jahren

    Tone ist halt ein typischer Feature-Rapper. Seine Alben sind immer okay bis nett, aber nie komplett von vorne bis hinten durchhörbar.

  • Vor 10 Jahren

    Ziemlich mieße Ernüchterung beim ersten Durchlauf - will mir einfach nicht runter, wie ihm das, was da teilweise aus den Boxen schallt, selbst gefallen kann. Hoffe sehr, dass sich zu Gatling Gun, Wahnsinn und Killer noch der ein oder andere Spätzünder dazuschleicht, sonst muss ich die Box wohl unter Fehlkauf ablegen. Ich weiß gar nicht, wann ich einen Track auf ner CD das Letzte mal so schnell geskippt hab wie "Ohne Dich" :(

  • Vor 10 Jahren

    Okay, 3 Tage und x Rotationen später fällt mein Urteil schon gemäßigter aus. Eigentlich ist es wieder ein typisches Tone-Album, Battle und Schmalz geben sich die Klinke in die Hand.
    2 wesentliche Probleme:
    1. Die schon immer etwas geschmäcklerischen Nummern geraten diesmal noch ne Ecke finsterer (Nachtflug 808, Lächeln Von Dir, NICHT Ohne Dich!, Wertvoll)
    2. Die überragenden 5-Sterne-Tracks, mit denen Zukunftsmusik noch vollgestopft war und von denen Phantom mit dem Einstieg, Savas-Feat. und "Wahnsinnsflows" auch stolze 3 vorweisen kann, gehen "T.O.N.E." völlig ab.
    Starke Flowpassagen wie in Phantom oder der UFO Flugshow reichen eben nicht, weil die Mukke und/oder Hook nicht zünden.
    Auch Killer (dem ich diesen Status noch am ehesten zugestehen würde, weil der Track ganz schön zeigt, dass man mit entsprechender Technik auch mit den hinterletzten Assi-Bumsbeats top harmonieren kann) taugt letzten Endes nicht zum Daueranspieler, weil mir die, wenngleich sicher nicht ganz unbeabsichtigt trashige, Deppen-Hook dann doch zu schnell auf die Eier geht.
    Das Gute: Bis auf die Totalausfälle durchgehend recht hohes Niveau, auch einen Club-Track wie "Dreh den Bass tief" find ich überraschend gelungen.
    Unterm Strich also doch einiges auf der Haben-Seite, 3/5 auch von mir. Dass das bei Tone eigentlich nicht der Anspruch sein kann, sollte klar sein, hmm?
    Ein Wort vielleicht noch bissl Gelaber zum Stichwort "Gesamtkonzept", von dem er ja immer wieder betonet (höhö, ja ich geh mich schämen), dass es ihm sehr wichtig sei:
    Das gerät hier extrem albern. Fängt mit dem Namen an (TheOrbitNeverEnds=Tone? Das kann doch nicht sein Ernst sein, solcherlei "Wortspiele" gibts sonst nur im Lustigen Taschenbuch), geht mit den daran angepassten Namen der Tracks weiter, auch wenn er (natürlich und zum Glück) inhaltlich ja gar nix zum Thema Weltall beizutragen hat und endet damit, dass ich das Aufteilungs-Prinzip Battle/Schmonz/Battle/Schmonz... für jemanden, der angibt, sich darüber lange Gedanken zu machen, schon arg plump finde.
    Auf gut Deutsch: Battle doch bitte einfach mal NUR! Reicht auch dicke, genau wie dieser Post eigentlich nach den ersten 3 Zeilen.
    Wie üblich sorry fürs logorrhoeisieren.

  • Vor 2 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.