laut.de-Kritik

Tiefgründige Texte, grauenhafte Musik.

Review von

In den unzähligen Interviews, die er in letzter Zeit gegeben hat, erzählt Leonard Cohen immer wieder das Gleiche. Von seinem Leben in einem Zen-Kloster als Koch seines Meisters Roshi. Über die Schwermut seiner alten Lieder. Über das neue Album, sein erstes seit zehn Jahren.

Die Sammlung mit dem Titel "Ten New Songs" entstand hauptsächlich in der Zurückgezogenheit seiner Zelle. Dennoch ist von der Ruhe und dem Frieden, die Cohen in seinen Gesprächen ausstrahlt, wenig zu spüren. Die Ironie, die 1991 auf "The Future" eine wichtige Rolle gespielt hat, wird diesmal durch tiefgreifende, oft düstere Gedanken über das Leben ersetzt. Heißt es in den ersten Zeilen des Openers noch recht zuversichtlich "I know what is wrong, I know what is right," folgt wenige Zeilen später ein ernüchterndes "I bite my lip. I buy what I'm told: From the latest hit to the wisdom of the old." Persönlicher Standpunkt und Wille sind irrelevant, ist zentrale Botschaft: der Mensch wird getrieben; von wem und wohin bleibt für Cohen nach wie vor ein Rätsel.

So hinterlässt selbst die mystische Erfahrung, die er in "Love Itself" schildert, ein Gefühl der Leere. Liebe ist auch keine Zuflucht mehr, es gibt keine Suzanne oder Sisters of Mercy aus früheren Zeiten, die ihn abzulenken vermögen. "I said I'd be your lover. You laughed at what I said," heißt es in "You Have Loved Enough," bei "Alexandra Leaving" ist der Titel allein schon bezeichnend.

Ein alter Mann auf dem Weg zur Bitterkeit? Nein, denn trotz eines undurchdringlichen "Masterplans" ("A Thousand Kisses Deep") und eines düsteren "Babylons" ("By The Rivers Dark") ist er zurück im Geschäft. Eine Rückkehr, die ihn scheinbar selbst überrascht hat: "A sip of wine, a cigarette, and then it's time to go ... They're saving me a seat. I'm what I am, and what I am is back on Boogie Street." Boogie Street ist die alltägliche Welt, die Musik, die Interviews, das Showbiz. Das Leben im Kloster scheint doch nicht die richtigen Antworten hervor gebracht zu haben, deshalb geht die Suche weiter, nach einem fernen Ziel namens "Land Of Plenty," in dem "das Licht eines Tages die Wahrheit beleuchten möge".

Wer mit Cohens Werk vertraut ist, weiß, welche Mühe er sich mit seinen Versen gibt. Ein Gedicht ist bei ihm ein Prozess, der Jahre andauern kann. Wären die Texte in einem Gedichtband erschienen, hätten sie bestimmt Aufmerksamkeit erregt. Hätte er die Band ins Studio gebeten, die ihn Anfang der 90er Jahre jazzig angehaucht begleitete, wäre "Ten New Songs" ein Meisterwerk geworden. Die Frage, die sich deshalb aufdrängt, ist: Warum muss das Album mit einem billigen Drumcomputer starten? Die Musik ist einfach grauenhaft, bestehend aus 80er Jahre Pop-Sound inklusive Synthie und ätherisch-gospeligen Background Vocals, die Cohens charismatische Stimme ohne Modularität auf 'tief, noch tiefer, etwas weniger tief' reduzieren. Für Arrangements, Produktion und einen guten Teil der 'Melodien' ist zwar Sharon Robinson verantwortlich, dennoch ist es hauptsächlich Cohens Schuld, dass er sein Werk so verhunzen lässt.

Von cohenschen Zweifeln erfasst ist es schwierig, eine eindeutige Antwort auf die Frage zu finden, ob sich seine Rückkehr gelohnt hat oder nicht. Einerseits ja, denn jedes neue Album von ihm ist eine Bereicherung. Andererseits nein, denn seine Verse gehen in der misslungenen Begleitung unter. "Ten New Songs" fügt seinem musikalischen Schaffen kein neues Kapitel hinzu. Es handelt sich leider nur um eine Fußnote.

Trackliste

  1. 1. In My Secret Life
  2. 2. A Thousand Kisses Deep
  3. 3. That Don't Make It Junk
  4. 4. Here It Is
  5. 5. Love Itself
  6. 6. By The Rivers Dark
  7. 7. Alexandra Leaving
  8. 8. You Have Loved Enough
  9. 9. Boogie Street
  10. 10. The Land Of Plenty

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1 Kommentar

  • Vor 17 Jahren

    Für mich sind der Drum-Computer und der simple Synthiesound ein bewusst gewähltes Stilmittel, durch das die Tiefe und Kraft der Texte Leonard Cohens umso deutlicher hervortreten. Der so entstehende Kontrast ist zudem extrem Zen-like, entspricht also auch exakt seiner selbst gewählten Lebenssituation, in der er nach meinem Empfinden versucht, seinem Lehrer durch seinen Dienst im Zen-Kloster etwas von der Liebe und Güte zurückzugeben, die er depressionsgequält gerade auf schweren Tourneen durch ihn erfahren durfte.

    Im Wabi-Sabi, der Ästhetik des Zen, ist es einfach so, dass etwas im allgemeinen Geschmack als "nicht schön" Bezeichnetes (wie möglicherweise die Musik auf "Ten New Songs") gerade die Schönheit von etwas anderem (Cohens Lyrics) unterstreichen kann. Insofern hat Sharon Robinson durch ihre Musik die dienende Rolle übernommen, das "Hässliche" als Thronsitz des "Schönen" zu schaffen ... dass Cohen selbst hier nicht protestiert, wie er das bei der musikalisch ebenfalls heiß diskutierten Co-Produktion mit Phil Spector auf "Death of a Ladies Man" ja noch getan hatte, deutet nach meinem Empfinden auch darauf hin, dass dieses Album aus Leonard Cohens Sicht genauso sein sollte, wie es ist ...

    In diesem Sinne sind die "Ten New Songs" für mich eines der tiefsten und demütigsten Alben Leonard Cohens. Er bekleidet sich und seine Texte nicht mehr mit brillanten Musikern, sondern steht hier gleichsam nackt vor uns, was mich sehr berührt ...